Leben unter fremder Flagge. Thomas GAST

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Leben unter fremder Flagge - Thomas GAST


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sorgt die Legion. Dieser Prozess, die Disziplin vorneweg, kommt niemals schleichend. Er ist brutal, weil oft im Feuer der Realität erworben. Und die Légionnaires sind gerüstet mit grenzenloser Dankbarkeit. Dankgefühl ist eine Waffe, die man nicht unterschätzen darf, denn in ihrem Schatten lauert die schrankenlose Loyalität. Im Rahmen der Recherchen für mein Buch „Die Legion 2. B.E.P: Die Fallschirmjäger im Indochina-Krieg“ unternahm ich im November 2010 eine Gewalttour. Ich verbrachte zahlreiche Stunden damit, mich durch Militärarchive zu wühlen. Ich verabredete mich mit Veteranen, mit Zeitzeugen der Indochina-Epoche. Ihre Geschichten glichen einer atemlosen Berg-und-Tal-Fahrt. Heute, mit etwas Abstand, mich an meine eigene Zeit in der Legion (1985 – 2002) erinnernd, fällt es mir leichter, Vergleiche zwischen einst und jetzt zu ziehen. Ich verstand mit einem Mal, was in den Köpfen der Anciens (Ehemaligen) heute vorgeht. Und mir gelang es, nachzuvollziehen, was sie angetrieben hatte, weitab der Heimat einen menschenverachtenden, blutigen und an Dramatik nicht zu überbietenden Krieg zu führen. Der Legionär 2016 ist dem Krieger der Reisfelder Indochinas von 1954 ähnlich. Mehr noch: Beide sind vom Ansatz her identisch. Identisch, weil dieselben Werte, Traditionen, Abläufe und der Esprit Légion von einer Generation an die nächste übermittelt wurden. Ein Unterschied besteht. Einmal die Erfahrungen der Anciens analysiert, erfolgt eine Auswahl à la „die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“. Für „nicht gut“ Befundenes wird herausgefiltert und fällt durch das Raster. Das Positive wird übernommen und weitergegeben. Nicht zuletzt führt dieser stetige Prozess dazu, dass der Legionär von heute nicht nur von der Erfahrung einer ganzen Kriegergeneration profitieren kann, sondern die in der Vergangenheit begangenen Fehler vermeidet. Auch zieht er kritischer in seine Einsätze, würde, wenn überhaupt, dann nur im absoluten Ausnahmefall Befehle ausführen, die Straftaten beinhalten, gegen Menschenrechte verstoßen oder in der Tat abscheulich sind. Von ihrer Anzahl her fallen die heutigen Einsätze nicht knapper aus, nur hat sich ihr Charakter verändert. Sie gleichen Nadelstichen reaktionsschneller Einheiten, werden mobil, kompakt, blitzschnell geführt. Des Weiteren geht man in diesen Einsätzen ans absolute Limit, überschreitet es, wann immer es von Vorteil ist, wann immer es der Sache dient. Als Beispiel nenne ich gerne den Einsatzsprung über Timbuktu im Jahr 2013. Die am Sprung beteiligten Fallschirmjäger der Legion führten Lastensäcke mit sich, die, den Vorschriften nach, viel zu schwer waren. Sich aber über die Vorschriften hinwegzusetzen, hieß: mehr Munition, mehr Effizienz, mehr Aussicht auf Erfolg! Kaum zur Sprungtür hinaus, zogen die Legionäre nebst Haupt- auch sofort den Reserveschirm. Das war eine reine Vorsichtsmaßnahme, weil eben das Gepäck zu schwer wog. Diese Prozedur war nicht nur verboten, sondern auch im höchsten Maße riskant. Die Risiken? Das Duo Mann/Schirm gerät ins Trudeln und der Reserveschirm wickelt sich, Pech hinzukommend, um den Hauptschirm. Der Krieger schmiert ab und findet seinen Platz in Walhalla. Aber mit Blick auf das Resultat war es das einzig richtige Verhalten. Das situationsgerechte Anwenden solcher Feinheiten, wenn auch unkonventionell, setzte sich über den gesamten Einsatz bis zum Endkampf gegen al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM), im Adrargebirge hin fort. Beispiele, in denen Kompaniechefs (oder Zugführer) der Legion ihren Blick ausschließlich auf den Erfolg richteten und aus jahrelanger Erfahrung heraus „nicht regelkonforme“ Befehle erteilten, gab es immer. Auch zu meiner Zeit. Insofern heiligte der Zweck hie und da die Mittel, wobei Recht und Moral nie wirklich infrage gestellt wurden. Im Gegensatz zu anderen Armeen vergisst die Legion vor, während und nach den Einsätzen nie, dass der Mann im Soldaten, der Mensch hinter der Kampfuniform zählt. Sie stählt daher dessen Körper, schärft seinen Geist, seinen Willen und seinen Sinn für Solidarität.

Grafik 156

       Solidarität unter Waffenbrüdern. Fallschirmjäger der Legion bei der Ausbildung in Französisch Guyana / Südamerika

      Die Offiziere setzen heute Akzente. Der Legionär soll gerne Soldat, muss von seinem Handeln überzeugt sein. Diese willige, moderne Legion ist dieser Tage ständig in Opérations extérieures (OPEX – Auslandseinsätze) verstrickt. Der Rhythmus der Kampfregimenter ist infernalisch. In diesem Zusammenhang ist es von hoher Bedeutung, dass etwa 85 Prozent aller Legionäre sowie auch viele Kader nicht verheiratet sind. Die Einsatzbereitschaft ist daher außergewöhnlich. Zwei, drei oder vier Mal hintereinander, und ohne eine nennenswerte Pause einzulegen, von einem Einsatz zum nächsten überzugehen, wie mir oft widerfahren, ist Normalität. So zum Beispiel verbrachte ich im Jahr 1995 neun Monate mit nur einer unwesentlichen Unterbrechung von knapp zwei Wochen in der Ausbildung und im Einsatz zunächst in der Zentralafrikanischen Republik und im Anschluss in Gabun. Das stellte keinen Einzelfall dar, sondern eher schon die Regel. Unternehmen wir einen Spaziergang durch die verschiedenen Waffengattungen der Fremdenlegion, so stellen wir fest, dass dieses Korps in jeder Hinsicht komplett ist. Die Rekruten haben die Wahl zwischen Fallschirmjäger, Panzersoldat, Sturm-, Gebirgs- und Brückenpionier oder Infanterist. Sonderausbildungen folgen in der Regel in den Stammeinheiten, in denen sich jeder Einzelne, seinen persönlichen Neigungen oder den Anforderungen des Korps nach, spezialisieren kann. Koch, Scharfschütze, Sekretär, Schreiner, Kampfschwimmer, Krankenpfleger, Saboteur, Musiker, Kommando-Soldat, Fahrer, Gebirgsjäger etc. Die Liste lässt sich unendlich fortführen. Eines sind sie alle, egal ob Pionier oder Fallschirmjäger, ob Koch oder Kampfschimmer: Hervorragende Kämpfer! Blutrünstige, hirnlose Killer? Mit absoluter Sicherheit nicht! Der positive Zukunftstrend der Legion lässt sich nicht aufhalten. Um sich ein Bild über dieses Korps zu machen und um die folgenden Erzählungen über mein Leben und meine Einsätze mit der Legion zu verstehen, sollte man, wenn auch nur in groben Zügen, die Tradition und die Vergangenheit der Légion étrangère kennen. Ein kurzer Überblick findet sich diesbezüglich im Anhang.

      Prolog

       La Légion étrangère – Die Fremdenlegion !

      Dreizehn Lettern, die sich dicht aneinanderreihen. Dreizehn Buchstaben, von denen jeder einzelne einem Hauch von Abenteuer gleichkommt. Buchstaben, die klingen wie Romantik, Effizienz, Verwegenheit und Heldentum.

      … auch wie Nostalgie?

      Es ist seltsam still geworden um die Legion. Hat sie ihren Mythos eingebüßt? Hat die Fremdenlegion ihre Romantik in die längst erkalteten Grüfte Indochinas gelegt, sie darin begraben? Wo ist der Hauch von Abenteuer geblieben? In den Wadis, den Ergs oder auf den Djebels Marokkos oder Algeriens, für immer verloren?

       Nein. Ganz entschieden: Nein!

      Haben die Zeiten sich auch geändert, so ist die Fremdenlegion sich treu geblieben. Der Legionär von heute ist identisch mit dem, der im September 1918 mit aufgepflanztem Bajonett Schulter an Schulter mit seinen Kameraden die Hindenburglinie stürmte und siegte. Und oh ja, es wird eine Zeit kommen, in der man den Abenteuern der gegenwärtigen Legion genauso viel Aufmerksamkeit widmet, wie man heutzutage mit größter Bewunderung die Taten der Fremdenlegion des vergangenen Jahrhunderts beklatscht. Es ist eine eingefahrene Sache, dass die meisten Menschen denken: Früher war alles besser! Einst waren Männer noch Männer! Zu unserer Zeit zählte ein Wort etwas! Ich widerspreche dem nicht, weise ungeachtet dessen mit Vehemenz darauf hin, dass es Sprüche ins Leere sind. Jede Generation generiert ein „Plus“, birgt ihre Vorteile. Keine erlebte Epoche ist von minderer Güte, im günstigsten Fall ist die jeweilig aktuelle Generation einfach nur anders. Von dem Jetzt, dem Heute will ich berichten, nicht vom Anno Dazumal. Doch zwei Dinge vorweg. Zuallererst muss betont werden, dass dieses Werk nicht den Anspruch erhebt, eine schriftstellerische Glanzleistung zu sein. Das ist nicht mein Ansinnen. Ich möchte über Ereignisse erzählen, nicht sie schönreden bzw. schönschreiben. Ich will auch nicht irgendetwas beweisen, höchstens hoffen, dass der Unterhaltungswert sowie die Informationen über die Fremdenlegion den Mangel an schriftstellerischer Eleganz aufwiegen. Um die Wahrheit geht es mir. Wer dieses Buch mit der Idee aufschlägt, jede Seite sei mit Blut besudelt und auf jeder zweiten wird sich ein muskelbepackter Fremdenlegionär, furchtlos und ohne eine Schramme abzubekommen, erfolgreich gegen eine gesamte Armee behaupten, dem gebe ich einen Rat: Träumen Sie weiter oder lesen Sie einen Schmöker von Stephen King, denn keines von diesen Klischees oder Hirngespinsten werde ich nähren.

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