Die toten Seelen. Nikolai Gogol
Читать онлайн книгу.angefüllt, die er sich zum Andenken aufzuheben pflegte. Der ganze obere Kasten mit allen Fächern ließ sich herausnehmen, und darunter befand sich ein Raum für Papiere in Bogengröße; dann gab es noch ein kleines Geheimfach für Geld, das sich unauffällig von der Seite herausschieben ließ. Der Besitzer pflegte dieses Fach immer so schnell heraus- und hineinzuschieben, daß man unmöglich sagen konnte, wieviel Geld es enthielt. Tschitschikow schnitt sich sofort eine Feder zurecht und begann zu schreiben. In diesem Augenblick kam die Hausfrau ins Zimmer.
»Einen schönen Kasten hast du, Väterchen«, sagte sie, sich zu ihm heransetzend. »Hast ihn wohl in Moskau gekauft?«
»Ja, in Moskau«, antwortete Tschitschikow, weiterschreibend.
»Das sehe ich eben: Moskauer Arbeit ist immer gut. Vor drei Jahren hat meine Schwester von dort warme Schühchen für die Kinder mitgebracht; das war eine so dauerhafte Ware, daß sie sie auch heute noch tragen. Du lieber Gott, wieviel Stempelpapier du da hast!« fuhr sie fort, in seine Schatulle hineinblickend. Es lag auch tatsächlich nicht wenig Stempelpapier darin. »Wenn du mir wenigstens ein Blättchen schenken wolltest! Mir fehlt immer solches Papier: manchmal muß ich ein Gesuch ans Gericht schreiben und habe nicht, worauf.«
Tschitschikow erklärte ihr, daß es ein anderes Papier sei: es sei für Kaufverträge bestimmt und nicht für Gesuche. Um sie zu beruhigen, schenkte er ihr übrigens einen Bogen im Werte eines Rubels. Nachdem er den Brief fertig hatte, ließ er ihn von ihr unterschreiben und verlangte eine kurze Liste der Bauern. Es zeigte sich, daß die Gutsbesitzerin weder Aufzeichnungen noch Listen führte, sondern fast alle Bauern im Kopfe hatte. Er ließ sich sofort alle Namen vordiktieren. Manche Bauern setzten ihn durch ihre Familiennamen und noch mehr durch ihre Spitznamen in Erstaunen: sooft er so einen Namen hörte, hielt er erst inne, ehe er ihn aufschrieb. Einen besonderen Eindruck machte auf ihn ein gewisser Pjotr Ssaweljew Neuwaschaj-Koryto (Trogverächter), und er konnte sich nicht der Bemerkung enthalten: »Wie lang der ist!« Ein anderer hatte das Wort »Korowij-Kirpitsch« (Kuhziegel) an seinem Namen hängen, ein dritter hieß einfach Iwan Kolesso (Rad). Als er mit dem Schreiben fertig war, schnupperte er mit der Nase und spürte den Duft von etwas in Butter Gebratenem.
»Ich bitte ergebenst zum Frühstück!« sagte die Hausfrau. Tschitschikow sah sich um: auf dem Tische standen Pilze, Pastetchen, Pfannkuchen und Fladen mit allerlei Zutaten: mit Zwiebeln, mit Mohn, mit Quark, mit Stinten und weiß Gott, mit was sonst noch allem.
»Das ist die Pastete aus Eierteig!« sagte die Hausfrau.
Tschitschikow rückte näher an die Pastete aus Eierteig heran, verzehrte mehr als die Hälfte und lobte sie. Die Pastete war in der Tat schon an sich recht schmackhaft, aber nach all den Schwierigkeiten mit der Alten schmeckte sie noch besser.
»Und Pfannkuchen?« fragte die Hausfrau.
Als Antwort rollte Tschitschikow drei Pfannkuchen zusammen, tunkte sie in geschmolzene Butter und beförderte sie in den Mund; die Lippen und die Hände wischte er sich aber mit der Serviette ab. Nachdem er dieses dreimal wiederholt hatte, bat er die Hausfrau, seine Pferde anspannen zu lassen. Nastassja Petrowna schickte sofort die Fetinja hinaus und gab ihr zugleich den Auftrag, noch eine Portion heiße Pfannkuchen mitzubringen.
»Ihre Pfannkuchen schmecken vortrefflich, Mütterchen«, sagte Tschitschikow, indem er sich an die neue heiße Portion machte.
»Ja, bei mir im Hause werden sie recht gut zubereitet«, erwiderte die Hausfrau. »Leider hatten wir eine schlechte Ernte, und das Mehl ist nicht gut . . . Warum haben Sie aber solche Eile, Väterchen?« sagte sie, als sie sah, daß Tschitschikow schon seine Mütze in der Hand hielt. »Der Wagen ist ja auch noch gar nicht angespannt.«
»Man wird ihn schon anspannen, Mütterchen. Bei mir wird so was schnell gemacht.«
»Sie vergessen mich also nicht bei den Lieferungen.«
»Nein, ich vergesse Sie nicht«, sagte Tschitschikow, in den Flur tretend.
»Kaufen Sie nicht auch Schweineschmalz?« fragte die Hausfrau, indem sie ihm folgte.
»Warum soll ich keines kaufen? Ich kaufe auch Schweineschmalz, aber erst später einmal.«
»Um die Weihnachtszeit werde ich auch Schweineschmalz haben.«
»Wir werden es kaufen, wir werden alles kaufen, auch Schweineschmalz.«
»Vielleicht brauchen Sie einmal Daunen? Um die Weihnachtsfasten werde ich auch Daunen haben.«
»Schön, sehr schön«, sagte Tschitschikow.
»Nun siehst du es, Väterchen, dein Wagen ist noch gar nicht fertig«, sagte die Hausfrau, als sie vor die Türe traten.
»Er wird schon fertig werden. Erklären Sie mir nur, wie ich auf die Landstraße komme.«
»Wie ist das nur zu machen?« sagte die Hausfrau. »Es läßt sich schwer erklären, weil man unterwegs sehr oft wenden muß; vielleicht gebe ich dir ein Mädel mit, das dir den Weg zeigt. Du hast doch noch Platz auf dem Bock, wo sie sich hinsetzen kann?«
»Gewiß habe ich Platz.«
»Vielleicht gebe ich dir das Mädel mit: es kennt den Weg. Aber paß auf, entführe es mir nicht, ein Mädel haben mir schon einmal die Kaufleute entführt.«
Tschitschikow versprach ihr, das Mädel nicht zu entführen, und die Korobotschka beruhigte sich und richtete ihre Aufmerksamkeit auf alles, was auf ihrem Hofe vorging: sie glotzte die Haushälterin an, die aus der Speisekammer eine hölzerne Kanne mit Honig trug, dann einen Bauern, der im Tore erschien, und ging allmählich ganz in ihren Wirtschaftssorgen auf. Warum sollen wir uns aber so lange bei der Korobotschka aufhalten? Ob es die Korobotschka ist oder Manilow, der wirtschaftliche oder der nichtwirtschaftliche Teil – lassen wir das! Es ist doch wirklich wunderbar in dieser Welt eingerichtet: das Lustige verwandelt sich schnell in Trauriges, wenn man sich lange dabei aufhält, und dann kann einem Gott weiß was in den Sinn kommen. Man kommt vielleicht gar auf den Gedanken: »Steht denn die Korobotschka wirklich so tief auf der unendlichen Stufenleiter der menschlichen Vollkommenheit? Ist denn der Abgrund so groß, der sie von ihrer Schwester trennt, die hinter der undurchdringlichen Mauer des aristokratischen Hauses, mit wohlduftenden gußeisernen Treppen, glänzendem Kupfer, Mahagoni und kostbaren Teppichen und über einem nicht zu Ende gelesenen Buche gähnt, in Erwartung eines eleganten und geistreichen Besuches, vor dem sie Gelegenheit haben wird, ihren Geist zu zeigen und auswendig gelernte Gedanken auszusprechen, – Gedanken, die nach den Vorschriften der Mode eine Woche lang die ganze Stadt beschäftigen und die sich nicht darauf beziehen, was in ihrem Hause und auf ihren Gütern, die infolge der Unkenntnis der Wirtschaft in Unordnung geraten sind, vorgeht, sondern darauf, welche politische Umwälzung in Frankreich bevorsteht und welche Richtung der moderne Katholizismus genommen hat. Doch weiter, weiter! Warum soll ich darüber reden? Warum dringt plötzlich in die gedankenlosen, lustigen und sorglosen Minuten ganz von selbst ein anderer, wunderbarer Strahl hinein? Das Lachen ist noch nicht ganz vom Gesichte verschwunden, und doch ist es unter den gleichen Menschen schon zu einem anderen geworden, und das Gesicht strahlt in einem neuen Lichte . . .«
»Da ist ja der Wagen!« rief Tschitschikow, als er seine Equipage heranrollen sah. »Warum hat es wieder so lange gedauert, du Esel? Der gestrige Rausch ist wohl noch nicht ganz verflogen?«
Sselifan gab darauf keine Antwort.
»Leben Sie wohl, Mütterchen! Und wo ist Ihr Mädel?«
»He, Pelageja!« sagte die Gutsbesitzerin zu einem etwa elfjährigen Mädel, das in der Nähe stand. Es hatte ein Kleid aus hausgemachter Leinwand an und bloße Füße, die man aus der Ferne für Stiefel halten konnte: so dick waren sie mit frischem Schmutz bedeckt. »Zeig' mal dem Herrn den Weg.«
Sselifan half dem Mädel auf den Bock. Es trat zuerst mit dem einen Fuß auf den herrschaftlichen Tritt, der sofort schmutzig wurde, kletterte dann in die Höhe und setzte sich neben den Kutscher. Gleich nach ihr setzte auch Tschitschikow seinen Fuß auf das Trittbrett; da er recht schwer geworden war, neigte sich der Wagen auf die rechte Seite. Endlich setzte sich Tschitschikow zurecht und sagte: »Jetzt ist es gut! Leben Sie wohl, Mütterchen!«