Die toten Seelen. Nikolai Gogol
Читать онлайн книгу.»Die Seelen setze ich mit hundert Rubeln ein!«
»Warum denn mit hundert? Es genügt, wenn du sie mit fünfzig einsetzt.«
»Fünfzig ist doch kein Betrag! Lieber gebe ich für die gleichen hundert Rubel auch noch einen jungen Hund mittlerer Sorte oder ein goldenes Anhängsel in Form eines Petschaftes dazu.«
»Also gut!« sagte Tschitschikow.
»Und was gibst du mir vor?« fragte Nosdrjow.
»Warum soll ich dir was vorgeben? Natürlich nichts.«
»Dann will ich wenigstens die beiden ersten Züge haben.«
»Ich will nicht: ich spiele selbst schlecht.«
»Das wissen wir, wie schlecht ihr spielt!« sagte Nosdrjow, einen Zug machend.
»Schon lange habe ich keinen Stein in der Hand gehabt!« sagte Tschitschikow, gleichfalls einen Stein vorrückend.
»Das wissen wir, wie schlecht ihr spielt!« sagte Nosdrjow beim zweiten Zug.
»Schon lange habe ich keinen Stein in der Hand gehabt!« sagte Tschitschikow, wieder einen Stein vorrückend.
»Das wissen wir, wie schlecht ihr spielt!« sagte Nosdrjow, indem er mit der Hand einen Stein und zugleich mit dem Ärmel einen zweiten vorschob.
»Schon lange habe ich keinen Stein in der Hand gehabt! . . . He! he! . . . was ist denn das, Bruder? Schieb ihn doch zurück!« sagte Tschitschikow.
»Wen denn?«
»Nun, den Stein!« sagte Tschitschikow. Im selben Moment bemerkte er dicht vor seiner Nase auch noch einen zweiten Stein, der eben im Begriff war, Dame zu werden. Woher dieser Stein plötzlich aufgetaucht war, das wußte Gott allein. »Nein,« sagte Tschitschikow, sich erhebend, »mit dir kann man unmöglich spielen. Das geht nicht: drei Züge auf einmal!«
»Warum denn drei? Es war ein Versehen. Der eine Stein hat sich zufällig verschoben, ich will ihn gern zurückschieben.«
»Und wo kommt der andere her?«
»Welcher andere?«
»Dieser da, der eben Dame werden will?«
»Da haben wir's, als ob du es nicht mehr wüßtest!«
»Nein, Bruder, ich habe alle Züge gezählt und habe alles im Kopf. Du hast ihn eben erst hergesetzt. Sein Platz ist hier!«
»Wie, wo ist sein Platz?« sagte Nosdrjow errötend. »Wie ich sehe, Bruder, bist du gar ein Dichter!«
»Nein, Bruder, du scheinst eher Dichter zu sein, doch einer ohne Erfolg.«
»Für wen hältst du mich denn?« sagte Nosdrjow. »Werde ich etwa mogeln?«
»Für gar nichts halte ich dich, aber ich will nicht mehr mit dir spielen.«
»Nein, du darfst nicht mehr zurücktreten,« sagte Nosdrjow, sich immer mehr ereifernd, »das Spiel ist angefangen!«
»Ich darf wohl zurücktreten, denn du spielst nicht so, wie es einem anständigen Menschen geziemt.«
»Nein, du lügst, das darfst du nicht sagen!«
»Nein, Bruder, du lügst selbst!«
»Ich habe nicht gemogelt, und du darfst nicht mehr zurücktreten, du mußt die Partie zu Ende spielen!«
»Dazu kannst du mich nicht zwingen«, sagte Tschitschikow kaltblütig. Er trat ans Brett und warf alle Steine durcheinander.
Nosdrjow geriet in Wut und ging so nahe an Tschitschikow heran, daß dieser zwei Schritte zurückwich.
»Ich werde dich zwingen, zu spielen. Das macht nichts, daß du die Steine durcheinander geworfen hast. Ich kann mich aller Züge erinnern. Wir stellen sie wieder so auf, wie sie standen.«
»Nein, Bruder, die Sache ist erledigt: ich werde mit dir nicht mehr spielen.«
»Du willst also nicht spielen?«
»Du siehst doch selbst, daß es unmöglich ist, mit dir zu spielen.«
»Nein, sage es gerade heraus: du wirst nicht mehr spielen?« sagte Nosdrjow, immer näher an Tschitschikow herantretend.
»Ich will nicht«, sagte Tschitschikow, indem er sich für jeden Fall beide Hände vors Gesicht hielt, denn die Situation wurde tatsächlich brenzlig. Seine Vorsicht war durchaus am Platze, denn Nosdrjow holte schon mit der Hand aus . . . und es hätte leicht passieren können, daß eine der anmutigen, vollen Backen unseres Helden mit unverwischbarer Schmach bedeckt worden wäre; er parierte aber geschickt den Schlag, packte Nosdrjows beide kampflustigen Hände und hielt ihn fest.
»Porfirij, Pawluschka!« schrie Nosdrjow in seiner Wut, indem er sich zu befreien versuchte.
Als Tschitschikow diese Worte hörte, ließ er ihn los, da er die Leibeigenen nicht zu Zeugen dieser ärgerniserregenden Szene machen wollte und zugleich fühlte, daß es doch nutzlos wäre, Nosdrjow festzuhalten. In diesem Augenblick kamen Porfirij und Pawluschka ins Zimmer; der letztere war ein handfester Bursche, und es schien gar nicht vorteilhaft, mit ihm etwas zu tun zu haben.
»Du willst also die Partie nicht zu Ende spielen?« fragte Nosdrjow. »Antworte!«
»Es ist unmöglich, die Partie zu Ende zu spielen«, sagte Tschitschikow und blickte zum Fenster hinaus. Er sah seinen Wagen fertig im Hofe stehen, und Sselifan schien nur auf den Wink zu warten, um vorzufahren; es war aber gar keine Möglichkeit, aus dem Zimmer herauszukommen: In der Türe standen die beiden handfesten leibeigenen Narren.
»Du willst also die Partie nicht zu Ende spielen?« wiederholte Nosdrjow, feuerrot vor Zorn.
»Wenn du spielen würdest, wie es einem anständigen Menschen geziemt . . . so kann ich aber nicht.«
»Aha! du kannst also nicht, Schurke! Weil du siehst, dass du bei mir nicht gewinnen kannst, sagst du plötzlich, dass du nicht kannst! Haut ihn«, schrie er wütend, sich an Porfirij und Pawluschka wendend, während er selbst ein Pfeifenrohr aus Weichselholz in die Hand nahm. Tschitschikow wurde bleich wie Leinwand. Er wollte etwas sagen, fühlte aber, dass seine Lippen sich nur lautlos bewegten.
»Haut ihn«, schrie Nosdrjow, mit dem Pfeifenrohr in der Hand auf ihn losstürzend, ganz in Feuer und Schweiß, als gelte es, eine unbezwingbare Festung zu erobern. »Haut ihn«, schrie er mit einer Stimme, mit der bei einem wichtigen Sturmangriffe ein tollkühner Leutnant, dessen wahnsinnige Tapferkeit solche Berühmtheit erlangt hat, dass ein eigener Befehl ergangen ist, ihn in den entscheidendsten Augenblicken bei den Händen zu halten, seinen Soldaten: »Vorwärts, Kinder!« zuzurufen pflegt. Der Leutnant ist aber schon ganz im Banne der Schlacht, in seinem Kopfe dreht sich alles; das Vorbild Ssuworows schwebt ihm vor, es gilt eine große Tat. »Vorwärts, Kinder!« schreit er, vorwärts drängend, ohne sich zu überlegen, daß er dem vorberechneten allgemeinen Angriffsplan schadet, daß Millionen von Gewehrläufen aus den Schießscharten der unbezwingbaren, in die Wolken ragenden Festungsmauern starren, daß seine ohnmächtige Kompanie wie Flaum in die Luft fliegen wird und daß schon die verhängnisvolle Kugel pfeift, die ihm seinen vorlauten Mund verschließen wird. Wenn aber Nosdrjow einen solchen tollkühnen, besinnungslosen, eine Festung bestürmenden Leutnant darstellte, so machte die Festung, gegen die er zog, durchaus keinen unbezwingbaren Eindruck. Die Festung hatte im Gegenteil solche Angst, daß ihr das Herz in die Hosen gefallen war. Schon war ihm der Stuhl, mit dem er sich verteidigen wollte, von den Leibeigenen entrissen; schon war er, mehr tot als lebendig, mit geschlossenen Augen bereit, das tscherkessische Pfeifenrohr des Hausherrn zu kosten; doch dem Schicksale war es angenehm, die Seiten, die Schultern und alle die edlen Körperteile unseres Helden zu retten. Ganz unerwartet erklang plötzlich wie aus den Wolken Schellengeläute, ein Wagen fuhr dröhnend vor, und das schwere Schnaufen und Schnarchen einer erhitzten Troika wurde sogar im Zimmer vernehmbar. Alle blickten unwillkürlich zum Fenster hinaus: ein Mann mit Schnurrbart, in halb militärischer Uniform, stieg aus dem Wagen. Nachdem er sich im Vorzimmer erkundigt hatte, trat er ins