Mythos, Pathos und Ethos. Thomas Häring
Читать онлайн книгу.Bei der CSU handelt es sich um eine Marke, ein Unikat, einen Mythos. Den Mythos der absoluten Mehrheit, der Unbesiegbarkeit. Die CSU ist landespolitisch unterfordert, deshalb mischt sie auch in der Bundes- und der Europapolitik munter mit. Man muß sich das einmal vorstellen: Ihr Wahlergebnis bei der Bundestagswahl in Bayern reicht dieser phantastischen Partei locker aus, um über die bundesweite Fünf-Prozent-Hürde zu springen und somit in den Deutschen Bundestag einzuziehen. Außerdem bekommt sie seit Jahrzehnten so viele Direktmandate, daß sie es ohnehin immer in den Reichstag schaffen würde. CSU und Bayern, dabei handelt es sich um eine Symbiose, vielleicht sogar um eine Liebesbeziehung. Die meisten Wähler vertrauen der CSU, weil sie wissen, daß es sich dabei um ihre Bayernpartei handelt. Würde die CSU auch noch in anderen Bundesländern zur Wahl stehen, was sie ja einst ernsthaft erwogen hatte, dann würde sie in Bayern an Reiz und damit auch ihren ureigenen Charme verlieren. So aber kann sie immer und für alle Zeiten so tun, als wäre für sie nur Bayern und damit selbstverständlich auch die Bayern wichtig. Die CSU ist ein Gesamtkunstwerk, daran besteht kein Zweifel.
21.09.2003: "Sehr geehrter Herr Doktor Sträuber, Sie haben mit Ihrer CSU die Zweidrittelmehrheit geschafft. Was sagen Sie dazu?" forschte der Journalist. "Also, ich bin natürlich begeistert, unheimlich stolz und dankbar. Hierbei handelt es sich um einen großartigen Vertrauensbeweis von Seiten der Menschen in Bayern und ich verspreche Ihnen allen, daß ich alles dafür tun werde, um dieses Vertrauen zu rechtfertigen." "Was fällt Ihnen denn zum Ergebnis der SPD ein?" "Äh, also, na ja, wie soll ich das am klügsten ausdrücken, die bayerische SPD hat ja schon immer schlechtere Ergebnisse abgeliefert als die Bundespartei, aber in diesem Fall sind die Fehler natürlich in allererster Linie in Berlin und ganz besonders bei Bundeskanzler Schräder zu suchen." "Werden Sie 2006 noch einmal als Kanzlerkandidat der Union antreten?" "Also, na ja, diese Frage entscheiden wir Ende 2005 oder Anfang 2006, das steht heute Abend nun wirklich nicht zur Debatte. Fest steht jedenfalls, daß die CSU sowohl in Bayern als auch im Bund mit diesem Ergebnis natürlich unheimlich gestärkt worden ist." "Die Zweidrittelmehrheit im bayerischen Landtag, das ist ja nicht nur sensationell, sondern auch schon historisch. Hat man da als CSU und insbesondere Sie als überall beliebter und hochangesehener Ministerpräsident überhaupt noch Ziele?" "Aber selbstverständlich. Unser nächstes Ziel wird die Erringung der Dreiviertelmehrheit sein, danach streben wir die Vierfünftelmehrheit an und irgendwann möchten wir verständlicherweise die Fünfsechstelmehrheit erreichen." "Donnerwetter, da haben Sie sich ja ganz schön was vorgenommen. Wollen Sie etwa die Opposition aus dem Landtag jagen?" "Langfristig schon. Wir brauchen in Bayern keine Opposition, das erledigen wir notfalls auch selbst. Natürlich wird es schwierig werden, die SPD unter die Fünf-Prozent-Hürde zu bringen, aber wir arbeiten daran." "Na wenn das so ist, dann viel Erfolg!" "Vielen Dank! Ich träume davon, in einem Parlament zu sitzen, in dem sich nur Parteifreunde von mir befinden. Stellen Sie sich mal den Bayerischen Landtag mit 180 oder meinetwegen auch 200 Sitzen vor und die werden alle von CSU-Politikern besetzt." "Oh mein Gott, mir wird ganz schwarz vor Augen."
Die SPD hatte ein Waterloo erlebt. 19,6 Prozent, nicht einmal die 2 stand mehr vorne, daß man so tief sinken könnte, hatten sich nicht mal die düstersten Pessimisten vorstellen können. Klar, die Wahlbeteiligung war genauso eingebrochen wie die SPD, aber was half es zu wissen, daß womöglich viele von den eigenen Anhängern aus Frust oder Enttäuschung daheim geblieben waren? Man war es ja gewohnt, seit Jahrzehnten gegen die CSU zu verlieren, aber so eine Schlappe hatte es noch nie zuvor gegeben. Mehr als 40 Prozent lagen nun zwischen CSU und SPD, das war wirklich historisch. Wieder gab es Diskussionen, ob man sich nicht von der Bundes-SPD lösen und eine spezifische bayerische SPD gründen sollte, aber auch solche Überlegungen wurden schnell wieder verworfen. Wie tief würde man als SPD noch in den Keller rutschen?
Andererseits waren das Probleme, die Andere bestimmt gerne gehabt hätten. Klar, die Grünen waren zufrieden, sie hatten zwei Prozent dazu gewonnen und mußten dieses Mal nicht um den Einzug in den Landtag bangen. Aber die Freien Wähler und die FDP hatten es wieder nicht ins Parlament geschafft, genauso wenig wie die Republikaner, die ÖDP und alle anderen kleinen Parteien. Es blieb also bei gerade mal drei Parteien, welche über fünf Prozent der Wählerstimmen gekommen waren und das zeigte mehr als deutlich, wie schwer es war, in Bayern auf einen grünen Zweig zu kommen. Sträuber und die CSU freuten sich, die SPD war am Boden zerstört und die Grünen sahen sich im Aufwind. Kein Wunder, daß der SPD-Landesvorsitzende Haderlein mitsamt seiner Generalsekretärin Dielefeld am Tag nach der Wahl zurücktrat, aber ob das langfristig etwas nützen würde? Erstmals hatte die CSU alle Direktmandate gewonnen, schlimmer konnte es nun wirklich nicht mehr werden, ganz Bayern war tiefschwarz und würde es wohl auch bleiben.
Ende September 2003: Zwei Männer auf der Straße unterhielten sich über Politik, während ihre Ehefrauen miteinander über den neuesten Tratsch klatschten. "Also eines muß man dem Hans Magnet lassen: Das ist schon eine Leistung: Erst so eine historische Niederlage als Spitzenkandidat einzufahren und danach trotzdem als neuer Hoffnungsträger der SPD gehandelt werden", faßte einer der Männer zusammen. "Und wenn schon? Er hat ja keinen Bock drauf, was man auch verstehen kann. Die Süddeutsche nennt ihn deshalb schon Hans mag net. Ich hätte auch keine Lust darauf, so einen Trümmerhaufen wiederaufzubauen. Außerdem: Die nächste Wahlschlappe kommt bestimmt, das ist bei der bayerischen SPD so sicher wie das Amen in der Kirche", behauptete sein Gegenüber. "Ach ja, die Armen in der Kirche, die tun mir auch leid. Wie dem auch sei, die SPD braucht in Bayern neue Leute in den Führungspositionen, sonst sieht sie bald ganz alt aus." "Noch älter als ohnehin? Wer will denn freiwillig so ein Himmelfahrtskommando übernehmen? Die bayerische SPD hat genauso wie die Bundes-SPD in den letzten Jahren extrem abgewirtschaftet und bei den eigenen Anhängern jede Menge Vertrauen verloren." "Das stimmt, aber es wissen doch eigentlich alle, daß Reformen nötig sind." "Natürlich, aber die sollen doch bitte schön die Anderen machen und dafür bei den Wahlen abgestraft werden, aber auf keinen Fall die eigenen Leute. Es gibt inzwischen nicht Wenige bei den Sozen, die sich Hartmut Fohl als Kanzler zurückwünschen, weil sie der festen Überzeugung sind, daß es unter dem seiner Herrschaft in Deutschland sozialer zugegangen ist." "Oh Gott! Das ist ja schrecklich! Meine Güte, vor fünf Jahren bei der Bundestagswahl noch über 40 Prozent und jetzt nicht mal mehr 20 in Bayern, das sagt schon alles." "Wie dem auch sei, ich höre gerade, daß unsere Frauen mit ihrem Austausch von Neuigkeiten fertig sind, also dann, habe die Ehre." "Ja, Du mich auch." Sie gingen froh auseinander.
Derweil hatte die rot-grüne Bundesregierung in Berlin mal wieder so einiges zu überstehen. Mit der Union hatte sie eine Gesundheitsreform ausgehandelt, weshalb von vornherein schon klar war, daß das Ding im Bundestag beschlossen werden würde. Trotzdem oder gerade deswegen legte Bundeskanzler Schräder allergrößten Wert darauf, daß man als Regierung eine eigene Mehrheit im Parlament zustande brachte, weshalb er sich im Vorfeld inständig darum bemüht hatte, die letzten Zweifler, Nörgler, Kritiker und Besserwisser zu überzeugen. Um ganz auf Nummer sicher zu gehen, hatte er mit dem vorzeitigen Ende der Koalition und dem damit verbundenen Abschied von der Macht gedroht, etwas, das sich schon früher immer wieder bewährt hatte.
Für die Kanzlermehrheit reichte es bei der Abstimmung im Bundesrat dennoch nicht, was Bernd aber nicht weiter tangierte, er gab sich mit einer Mehrheit von 297 Stimmen zufrieden, ganz im Gegensatz zu Außenminister Mischer, der extra wegen der Abstimmung aus New York herbei beordert worden war und der sich darüber ärgerte, wegen so etwas einen Jetlag abgekriegt zu haben.
Ende 2003: Jahresrückblicke sind ja auch nicht gerade unbedingt jedermanns Sache. Meistens fallen einem all die peinlichen Geschichten wieder ein, die man schon längst wieder gerne verdrängt hätte. So wie der Gregor U. Push seinen Irak-Krieg zum Beispiel, der ihm jede Menge Nerven kostete und Ärger bereitete, denn obwohl die amerikanischen Truppen, mit ihrer "Koalition der Willigen" im Schlepptau, einen schnellen und eindeutigen Sieg errungen hatten, so gab es im Nahen Osten trotzdem lauter Probleme und Scherereien. Aber da mußten die Amis nun mal durch, schließlich hatten sie sich jenen Feldzug unbedingt eingebildet gehabt, weil Push junior seinem Vater mit demselben Namen imponieren wollte, welcher Saddam Hussein seinerzeit im Golfkrieg 1991 an der Macht gelassen hatte, obwohl jener Kuwait überfallen hatte. Es blieb also alles in der Familie.
Weitaus unterhaltsamer war die Geschichte vom deutsch-jüdischen Michel (Kriegmann), der es sich mit jeder Menge Koksnutten des Öfteren gemütlich gemacht hatte und welcher