Mythos, Pathos und Ethos. Thomas Häring

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Mythos, Pathos und Ethos - Thomas Häring


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Zukunft höchstwahrscheinlich leichter haben, seine Badefotos mit seiner damaligen neuen Flamme, einer Gräfin, waren allen in der Partei noch nur zu gut in Erinnerung. 65 Tage vor der Wahl war so ein Rausschmiß eines Ministers durchaus gewagt, doch im Grunde hatte die SPD nicht mehr viel zu verlieren, deswegen ging sie das Risiko ein.

      Anfang September 2002: Für die PDS wurde es immer enger. Wegen der Bonusmeilen-Affäre war ihr Aushängeschild Igor Fysi als Berliner Wirtschaftssenator zurückgetreten und nun war der Einzug ins Parlament in Gefahr. Dank Flut und drohendem Irak-Krieg, wegen denen Schräder immer mehr Ostdeutsche auf seine Seite zog, drohte der PDS der parlamentarische Garaus. Man hoffte, drei Direktmandate zu erringen, um dadurch den Wiedereinzug in den Bundestag zu schaffen, doch das war mehr als ungewiß. Das Hauptproblem für die Partei war und blieb Westdeutschland, denn dort erreichte man als "Regionalpartei Ost" höchstens ein bis zwei Prozent der Wählerstimmen. Früher hatte immer der dunkelrot wählende Osten das Ganze gerettet, doch dieses Mal sah es da auch nicht so gut aus. Schließlich wollten viele Ostdeutsche Egmont Sträuber als deutschen Bundeskanzler unbedingt verhindern, weshalb sie lieber die SPD als die PDS zu wählen beabsichtigten.

      Hinzu kam, daß die Parteispitze und Fraktionsführung ziemlich blaß und unscheinbar rüberkamen, was die eigenen Erfolgsaussichten nicht unbedingt verstärkte. Sollte die PDS erstmals seit der Wende außen vor bleiben?

      22.09.2002: Der Wahlabend gehörte zu den spannendsten überhaupt und wurde dank unfähiger Meinungsforscher noch viel aufregender als ohnehin. In der ARD wurde Egmont Sträuber bereits recht bald als Wahlsieger und künftiger Bundeskanzler präsentiert, im ZDF sah es eher nach einem Unentschieden oder leichten Vorteilen für Rot-Grün aus. Am Ende lag die SPD ganz knapp vor CDU/CSU, doch die Grünen hatten die FDP über einen Prozentpunkt distanziert, so daß es für Rot-Grün reichen würde, da es die PDS mit vier Prozent und zwei Direktmandaten als Partei nicht ins Parlament geschafft hatte, nur ihre beiden Direktkandidatinnen würden in den Bundestag einziehen.

      Bernhard Schräder und seine SPD waren hochzufrieden. Zwar hatten sie etliche Prozentpunkte verloren und waren nur gerade so stärkste Partei geblieben, doch da sie in den Monaten vor der Wahl in den Meinungsumfragen weitaus schlechter dagestanden waren, konnten sie mit dem Wahlergebnis gut leben.

      Ganz anders sah es bei der Union aus. Sie hatte zwar über drei Prozent an Wählerstimmen dazu gewonnen, aber dennoch keines ihrer drei Wahlziele erreicht.

      Die Grünen freuten sich über einen beachtlichen Zuwachs, die FDP hatte ebenfalls zugelegt, allerdings viel mehr erhofft gehabt und war deswegen sehr enttäuscht.

      Wieder einmal begann nach der Wahl das große Stühlerücken, die Herren Nerz (CDU) und Böllermann (FDP) verabschiedeten sich vorerst aus dem Rampenlicht und in den Parteien wurde das Wahlergebnis gründlich studiert sowie analysiert.

      Gerade so hatte die rot-grüne Koalition ihren Kopf aus der Schlinge gezogen, man verfügte also noch über ausreichend Unterstützung im deutschen Volk, auch wenn man insgesamt betrachtet durchaus Stimmen verloren hatte.

      Es gab einige Beobachter, die an jenem Wahlabend prophezeiten, das rot-grüne Bündnis würde keine vier Jahre durchhalten; da war zweifellos oft auch nur der Wunsch der Vater des Gedankens, doch im Nachhinein kann man konstatieren, daß die Propheten Recht behalten sollten, wenn auch erst im Jahre 2005.

      In diesem Zusammenhang möchte ich die Gelegenheit nutzen und einige Querverweise anstellen, denn genau elf Jahre später, nämlich am 22.09.2013, fand bekanntlich wiederum eine Bundestagswahl statt. Verglichen mit der von 2002 legte die Union noch mal zu, die SPD hatte dramatisch verloren, die Grünen landeten fast beim selben Ergebnis, die FDP deutlich darunter und die Linke (ehemals PDS) gewaltig drüber. Zugegeben, man sollte nicht einfach zwei Bundestagswahlen, die dazwischenlagen, einfach überspringen, aber manchmal macht das durchaus Sinn und bietet erstaunliche Erkenntnisse. Der Fall der FDP zum Beispiel war nämlich bekanntlich viel tiefer, da sie ja nicht von 7,4 % sondern von 14,6 % auf 4,8 Prozent der Wählerstimmen herabgestürzt kam. Für die Grünen waren die 8,4 % auch nur deshalb ein Drama, weil sie von 10,7 % gekommen waren und sich wegen der tollen Werte in den Meinungsumfragen 2011 viel mehr ausgerechnet hatten. Egal, das nur am Rande, damit man mal sehen kann, wie relativ doch alles ist. Am besten erkennt man das natürlich an der SPD, denn die hat im Vergleich zu 2009 2,7 % Wählerstimmen dazu gewonnen und war deshalb gar nicht so traurig.

      Wasserstandsmeldung vom 26.09.2013: Sowohl die SPD als auch die Grünen zieren sich immer noch und haben nicht recht Lust darauf, in eine Koalition mit dem Wahlsieger CDU/CSU zu gehen. Die FDP hofft verständlicherweise auf Neuwahlen, aber den Gefallen wird den Liberalen wohl niemand tun, denn nicht alle sind traurig darüber, daß die Partei der Besserverdienenden aus dem Bundestag geflogen ist.

      Anfang Oktober 2002: Nach der Wahl war bekanntlich immer auch vor der Wahl und so saßen die Parteien sowie ihre jeweiligen Spitzenkandidaten bereits mit ihren Hufen scharrend in den Startlöchern. In Hessen und Niedersachsen wurde Anfang Februar 2003 ein neuer Landtag gewählt und so hoffte die SPD auf die Rückkehr an die Macht in Wiesbaden, wohingegen die CDU mit Tristan Gulf in Niedersachsen darauf setzte, daß aller guten Dinge drei wären und er es nach zwei gescheiterten Anläufen endlich ins Amt des Ministerpräsidenten schaffen würde.

      In Hessen hatten meistens die Sozialdemokraten regiert, entweder alleine oder mit den Grünen, die CDU hatte es dort oft schwer gehabt, doch nun war sie selbstbewußt und optimistisch. Robert Doch wollte unbedingt wiedergewählt werden, hoffte er doch insgeheim auch auf eine mögliche Kanzlerkandidatur 2006. In Hessen wurde es oft sehr eng und spannend, denn die beiden Lager (Schwarz-Gelb und Rot-Grün) waren ungefähr gleich groß. Elf Jahre später sollte auch noch die Linke ein weiteres Mal im Parlament sitzen und damit jegliche Regierungsbildung beinahe unmöglich machen.

      25.11.2002: Österreich hatte gewählt, Rolf Jan Schlüssel und seine ÖVP feierten einen triumphalen Erfolg, da es ihnen gelungen war, die enttäuschten FPÖ-Wähler auf ihre Seite zu ziehen. Vier Jahre zuvor war man noch hinter den Rechtspopulisten geblieben und hatte mit 26,9 Prozent der Wählerstimmen ein desaströses Ergebnis erzielt gehabt, doch nun standen 42,3 % auf der Habenseite und alles war gut. Die FPÖ war böse abgestürzt, würde aber dennoch wieder Platz auf den Regierungsbänken finden, auch wenn sie selbst den Bruch der Koalition herbeigeführt hatte. Die SPÖ hatte zwar zugelegt, lag aber deutlich hinter der ÖVP und auch die Grünen waren nicht an der FPÖ vorbeigekommen. Österreich blieb also so konservativ wie eh und je, die Zeit der SPÖ auf Platz eins in der Wählergunst schien damit vorbei zu sein und Kanzler Schlüssel bereitete sich voller Genugtuung auf eine weitere Amtszeit vor. Auch der Verweis auf das rot-grüne Chaos in Berlin hatte der ÖVP scheinbar Stimmen gebracht und den Grünen wohl Stimmen gekostet.

      In Deutschland ärgerte sich Egmont Sträuber derweil nach wie vor darüber, daß er nur im Süden so beliebt war, denn die West- und Norddeutschen, aber in allererster Linie die Ostdeutschen, hatten dafür gesorgt gehabt, daß er nicht ins Kanzleramt hatte einziehen können. Die Niederlage nagte immer noch an ihm, er warf Finanzminister Weichel und Kanzler Schräder Wahllügen vor und ließ sogar einen Untersuchungsausschuß ins Leben rufen, welcher jene Vorwürfe überprüfen sollte. So jemanden wie Sträuber nannte man gemeinhin einen schlechten Verlierer, aber der hoffte nach wie vor darauf, daß Rot-Grün bald am Ende sein würde. In den Meinungsumfragen stand die Koalition bereits zwei Monate nach der Bundestagswahl katastrophal da, so daß es auch für die Landtagswahlen im Februar 2003 sehr schlecht ausschaute. Genau darauf spekulierte die Union: Zwei heftige Niederlagen in Hessen und Niedersachsen, dann würde den "rot-grünen Chaoten in Berlin" der Wind so scharf ins Gesicht wehen, daß sie vielleicht aufgeben müßten. Na ja, Träumen mußte eben erlaubt sein, Sträuber hoffte halt nach wie vor immer noch darauf, womöglich doch irgendwie Bundeskanzler werden zu können, aber je mehr Zeit verstrich, desto unwahrscheinlicher wurde das.

      Die FDP beschäftigte sich derweil lieber ausgiebig mit sich selbst, schließlich saß man schon wieder auf den Oppositionsbänken, weshalb man genügend Zeit dafür hatte. Als alleiniger Sündenbock für das unbefriedigende Wahlergebnis wurde Jörg D. Böllermann auserkoren, der mit seinen antisemitischen Tiraden die FDP eben nicht zu einer rechtspopulistischen, erfolgreichen Partei hatte machen können, obwohl es am rechten Rand


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