Mythos, Pathos und Ethos. Thomas Häring
Читать онлайн книгу.sozusagen, das ja nach jenem Wahlergebnis nicht zustande kommen konnte. Leerhardt wollte sich nicht "wie ein Hund vom Hof jagen lassen" und betonte, das Wahlergebnis hätte "die FDP nicht allein Festerbelle zu verdanken". Das war unstrittig, doch der machtbewußte Dauerdrängler kannte kein Pardon und pochte weiter auf die Abmachung vor der Wahl, obwohl er seinen Teil von jener überhaupt nicht einhalten konnte. Immer schön autistisch bleiben.
Bei den Grünen ging es auch drunter und drüber, es galt die Fraktionsvorsitzenden zu bestimmen und da Mischer abgedankt hatte, fühlten sich auf einmal alle möglichen Leute dazu berufen, die Partei im Parlament anzuführen. Dazu gehörten selbstverständlich auch die beiden bisherigen Bundesminister Knast und Frittin, doch es gab da auch noch andere Bewerberinnen sowie Bewerber. Bei den Gleichberechtigungsfanatikern von den Grünen ging es selbstverständlich nicht nur darum, daß sowohl eine Frau als auch ein Mann an der Spitze der Fraktion standen, sondern es mußte auch deren politische Ausrichtung stimmen. Das sollte heißen, daß es nur einen Realo und eine Fundi, oder eine Reala und einen Fundi als Gespann geben konnte, alles Andere wäre für die Parteimitglieder unzumutbar gewesen, denn Ausgewogenheit war das A und O, sonst konnte man den Laden gleich zusperren und das hatte man mit acht Prozent Wählerstimmen nun wirklich nicht nötig, ganz im Gegenteil, kraftvolle Oppositionsarbeit war zu erwarten.
"Konfusion in der CSU", hieß es in der SZ und das selbstverständlich nicht ohne Grund. Die CSU-Landesgruppe war von 58 auf 46 Abgeordnete geschrumpft und würde fortan als kleinste Partei im Parlament fungieren. Das bedeutete immerhin, daß die CSU-Abgeordneten ihre kraftmeierische Arroganz, insbesondere gegenüber den CDU-Abgeordneten, ablegen würden, aber wohl fühlten sich die Bajuwaren nicht wirklich. Die Aussicht auf eine bevorstehende Große Koalition mit der SPD machte ihnen durchaus zu schaffen, denn in jener Konstellation würde die CSU nicht wirklich gebraucht werden und konnte sich deshalb auch nicht so viel erlauben. Dazu kam die immer gleiche, nervende und langweilende Frage nach der Zukunft von Parteichef Sträuber. Geht er? Bleibt er? Manche CSUler hätten ihren Egmont wohl am liebsten auf den Mond geschossen, im festen Glauben, von dort würde er bestimmt nicht mehr zurückkehren, aber das war dann irgendwie doch nicht möglich. Nun ja, so harrte man also gedrückter Stimmung der Dinge, die da noch kommen würden und hoffte insgeheim auf bessere Zeiten.
Ach ja und da war dann natürlich auch noch die Schuldfrage. Immer schön brav mit dem Stinkefinger auf die Anderen zeigen, so gehörte sich das. Sträuber machte deutlich, daß einzig und allein Kanzlerkandidatin Gerkel und ihr Generalsekretär Frauder für den Wahlkampf der Union verantwortlich gewesen waren und deshalb selbstverständlich die Hauptschuld an dem Desaster trugen. Zwar hatten auch Zuber und Öder von der CSU, die das Wahlprogramm geschrieben hatten, ihren Anteil an der Misere, doch das posaunte man lieber nicht so laut heraus. Die "kalte und herzlose Sprache" der Ost-Schnepfe hatte also die Wählerinnen und Wähler vergrault, so lautete die These des großen Egmontus. Aber so leicht ließ man ihn nicht davonkommen. Es gab Ärger wegen des Sträuber-Flirts mit den Grünen, da fast alle CSU-Politiker nicht mit denen koalieren wollten. Deswegen mußte er öffentlich Abbitte leisten und wieder zurückrudern. Intern verkaufte man das Ganze natürlich so, daß man so tun hätte müssen als ob man Schwarz-Gelb-Grün erwägen würde, damit die Liberalen nicht mit SPD und Grünen gemeinsame Sache machten. Es sah also alles immer mehr nach einer Großen Koalition aus, was die Menschen in Deutschland durchaus zu schätzen wußten.
Bei den Grünen wunderte man sich dagegen darüber, daß die Schwarzen und die Gelben plötzlich so nett und freundlich zu ihnen waren. Noch im Wahlkampf waren sie von jenen übelst beschimpft und auf das Heftigste angegriffen worden, doch auf einmal hörte man kein schlechtes Wort mehr über die "Müslifresser", über die insbesondere FDP-Chef Festerbelle nur allzu gerne gelästert hatte. Was war davon zu halten? Nun ja, man nahm es bei den Grünen zur Kenntnis, wollte es aber auch nicht überbewerten, denn politisch paßten die drei Lager einfach nicht zusammen und selbst wenn man eine Koalition miteinander versucht hätte, dann wäre die Basis der Grünen dagegen aufgestanden und hätte jene verhindert. Aus diesem Grund beschäftigte man sich lieber weiter mit sich selbst, in den kommenden Jahren der Opposition würde man dafür schließlich auch noch ausreichend Zeit dafür haben, deshalb auf sich selbst mit Gebrüll!
Der Streit um die Kanzlerschaft war zwar immer noch nicht gelöst, trotzdem sondierten Union und SPD miteinander. Die Aufspaltung der Unions-Fraktion war plötzlich kein Thema mehr und so traf man sich zu vertraulichen Gesprächen hinter verschlossenen Türen, um mal zu hören, was denn miteinander möglich wäre. Man merkte schon, daß es auf eine Große Koalition hinauslaufen würde, denn insbesondere in der CSU waren die Vorbehalte gegen ein Bündnis mit den Grünen viel zu stark, was vermutlich auch auf Gegenseitigkeit beruhte.
Sträuber hingegen hatte mächtig Ärger mit seinen Leuten. Die geigten ihm nämlich mal gehörig ihre Meinung und machten ihm klar, daß die Zeiten der selbstherrlichen Alleingänge seinerseits nun endgültig und ein für allemal vorbei waren. Nun mußte auch der große Sträuber erfahren, wie es war, wenn das eigene Stimmvieh aufbegehrte und sich wie ein störrischer Esel weigerte, brav in die Richtung zu marschieren, die man selbst vorgegeben hatte. Zwergenaufstand im Bayernland? Nein, ganz so einfach und so weit war es auch wieder nicht, aber die CSU-Abgeordneten bekamen in ihren Wahlkreisen selbstverständlich auch den Unmut der Wählerinnen und Wähler zu spüren, welchen sie dann ungefiltert an die Parteispitze weitergaben. Schließlich standen 2008 Kommunalwahlen an, die man siegreich bestehen wollte, von der Landtagswahl im September 2008 ganz zu schweigen. Egmont spürte, daß er aufpassen mußte, um nicht unterzugehen.
Was aber hatten die Meinungsmacher zu der ganzen Chose zu sagen? Ein Redakteur der Schild-Zeitung traf in einem Nobelrestaurant zufällig auf einen Kollegen von der FZA. "Hallo Frank. Na, freust Du Dich auch schon auf die Große Kotzbrockenkoalition?" forschte der Mann von der Boulevardpresse. "Aber selbstverständlich. Natürlich gibt es da noch einen kleinen Teil in mir, der die Hoffnung auf eine Jamaika-Koalition noch nicht aufgegeben hat, aber mit den bayerischen Bierdimpfeln ist so etwas wohl leider nicht zu machen", glaubte der Mann von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Ja, die Bayern mal wieder, die versauen einfach alles. Die SPDler haben es ja momentan ganz schön auf uns Medien abgesehen, von daher habe ich eigentlich keine Lust darauf, denen ihre Nasen in Ministerämtern betrachten zu müssen." "Und wenn schon? Schlimmer als unter Rot-Grün kann es auch nicht werden. Gibt es eigentlich inzwischen eine Erklärung dafür, daß die Demoskopen dermaßen versagt haben?" "Na ja, die reden sich heraus, wenige Tage vor der Wahl hätte es schon fast so ausgesehen wie am Wahltag, aber da sie die letzte Umfrage neun Tage vor der Wahl veröffentlicht hatten, wäre das nicht mehr bekannt geworden." "Ach, immer diese Ausreden. Entscheidend ist doch etwas ganz Anderes: Zu keiner Zeit war in den Umfragen die Rede davon, daß das linke Lager auf 51 und das bürgerliche lediglich auf 45 Prozent der Stimmen kommen würde. In den ganzen letzten Wochen vor der Wahl war von einem Kopf-an-Kopf-Rennen die Rede gewesen, doch davon war am Wahlabend überhaupt nichts zu sehen." "Ja, die Meinungsforscher haben sich jedenfalls gewaltig blamiert. Genauso wie wir und unsere Kollegen übrigens auch, die wir Schwarz-Gelb quasi schon in die Regierung geschrieben hatten." "Selbstkritik bei der Bild, na das ist ja mal was ganz Neues. Wir haben doch auch nur mit den Zahlen gearbeitet, welche wir von den Umfrageinstituten bekommen hatten und denen zufolge lag die SPD die ganze Zeit über deutlich hinter der Union." "Das stimmt natürlich und ich bin fest davon überzeugt, daß genau jene Umfragen dafür gesorgt haben, daß viele Unionswähler zur FDP gewandert sind, um sicherzustellen, daß es für Schwarz-Gelb reicht." "D’accord. Aber das erklärt immer noch nicht, wohin die drei Prozent verschwunden sind, die zum Unentschieden fehlen. Das wäre doch mal eine Aufgabe für Euch investigative Bild-Journalisten." "Ach, ich weiß nicht so recht. Lieber sitze ich doch hier mit Dir in diesem Nobelschuppen und jammere auf höchstem Niveau. Schwarz-Gelb liegt so deutlich hinter Rot-Rot-Grün, daß nur eines feststeht: Die Leute wollten die Gerkel nicht als Kanzlerin haben." "Und genau aus dem Grund werden sie sie trotzdem bekommen." "Prost!" "Auf unser Wohl!" Daraufhin genossen sie den Wein und das Ambiente.
24.09.2005: Für die Genossen wurde es derweil langsam ernst. Aus einem Bündnis zwischen Union, FDP und Grünen schien nichts zu werden, man hatte sich zwar miteinander getroffen, höchstwahrscheinlich wenig bis nichts zusammen gesoffen und war mit der Feststellung auseinandergegangen, daß nicht zusammenwachsen sollte, was schlicht und einfach