was Leiden schafft. Hermann Brünjes

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was Leiden schafft - Hermann Brünjes


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den Namen des Mannes zunächst nicht rausrücken. Die Jungen lieben und bewundern ihren ‚Malle‘. Er grillt mit ihnen, lehrt sie schwimmen und tauchen, zeigt ihnen wie man angelt, bringt ihnen Knoten und Überlebenstricks bei und hängt mit ihnen auch einfach nur ab …“

      „Malle? Das klingt doppeldeutig. Kommt er von Mallorca?“

      „Nein, Malle ist sein Spitzname. Malnik Yilmatz heißt der Mann.“

      „Und dieser Malle hat die Jungs der Gefahr im Krater ausgesetzt und sie sogar noch für ihre tödlichen Funde bezahlt?“

      „Allerdings. Bezahlt hat er sie vor allem mit seiner, sagen wir, pfadfinderischen Betreuung und mit Fisch.“

      „Mit Fisch?“

      „Ja, alles was sie geangelt haben, durften sie behalten. Auf diese Weise haben die Jungen ihre Familien versorgt und manchmal sogar noch Fische verschenkt.“

      Elske schaut mich angewidert an. Von Fisch hält sie nicht besonders viel, das weiß ich. Ich dagegen liebe Fisch und angle sogar gerne, wenngleich ich auch keinen Angelschein habe.

      „Ja, Elske, ich weiß … aber Dennis und seine Kumpels waren nun mal begeistert von Malle und seinen Fischteichen.“

      „Du sagst, die Jungen trugen Tarnuniformen. Das hört sich für mich ziemlich militärisch und damit verdächtig an.“

      „So sehen wir es, ja. Aber auch Pfadfinder lieben Uniformen. Was die Clique da im Krater und auch bei Malle und an seinen Teichen getrieben hat, klingt teilweise nach Kriegsspiel und paramilitärischem Training – aber man kann es auch als naturverbundenes Waldläuferdasein betrachten. Hütte bauen, Bogenschießen, Knotenkunde, Überlebenstraining, Spurensuche, Fischen … das hat schon was für manche Jugendliche.“

      „Aber du bist sicher, dass dieser Malle kein Kinderschänder ist? Oder ein Nazi? Oder eine andere Art von Wolf im Schafspelz?“

      „Nein. Sicher bin ich mir da ganz und gar nicht. Ich werde diesen Fischteichen und deren Besitzer sobald wie möglich einen Besuch abstatten. Vielleicht kriege ich es raus.“

      „Wenn nicht die Polizei ihn bereits eingebuchtet hat!“ Elske weiß auch jetzt sofort, was Sache ist und liest in meiner Mine. „Oh. Oder weiß die Polizei von Malle und den Fischteichen noch gar nichts?“

      Sie hat es erfasst. Dennis und seine Kumpels haben sich geweigert, der Polizei von Malle zu erzählen. Ich habe ihnen nicht widersprochen. Auch der Junge im Krankenhaus wird nicht mehr erzählen, als unbedingt nötig. Da sind die Jungs sich sicher. In die Zeitung habe ich davon natürlich auch nichts gebracht. Ich zucke also unschuldig mit den Achseln.

      „Ich überlasse es den Jungen, was sie der Polizei verraten – und der Polizei, eigenständig zu ermitteln. Im Moment jedenfalls weiß die Presse ein bisschen mehr als die Polizei.“

      „Und du willst nicht mit denen kooperieren?“

      „Doch, natürlich. Sie werden mich sicher wegen des Artikels kontaktieren.“

      „Aber von Dennis und dem Geheimnis der Clique wirst du nichts verraten, wie ich dich kenne.“

      Ich grinse mein verschlagenes Reportergrinsen. „Informantenschutz. Davon müsstest selbst du schon gehört haben.“

      *

      Nachdem Elske in ihrem weißen T-Cross davongerauscht ist, gönne ich mir einen Döner. Auch wenn ich nicht allzu gerne am Schreibtisch in der Redaktion sitze, ich genieße doch den Aufenthalt in der Stadt. Für jemanden, der in Himmelstal wohnt, erscheint selbst unsere Provinzhauptstadt wie eine Metropole. Drei oder vier Dönerbuden zur Auswahl, mehrere Eisdielen und Cafés – da zieht es Jens Jahnke nicht so schnell zurück ins Dorf.

      Heute allerdings will ich nicht nur schlemmen, sondern noch einen Besuch im Kreiskrankenhaus machen.

      Ich parke meinen Golf außerhalb der Schranke auf dem Seitenstreifen und erspare mir so die Parkgebühr. Anmeldung, Impfbescheinigung, Desinfektion, FFP2 Maske … in diesen Zeiten ein Krankenhaus zu besuchen ist nicht so einfach.

      Wir surfen trotz Lockerungen immer noch ein wenig haltlos auf der vierten Coronawelle und leben in schwierigen Zeiten. An der Rezeption gebe ich mich als Onkel des Jungen aus. Ohne elterliche Vollmacht würden sie mich vermutlich sonst nicht mit ihm sprechen lassen.

      Oben auf Station faucht mich eine vollschlanke Schwester an, als wolle ich ihr und ihren Patienten an den Kragen.

      „Zu wem wollen Sie? Besuche sind nicht erwünscht.“

      „Mein Neffe braucht sein Handy“, lüge ich. „Sie wissen ja, die Jugend von heute …“.

      Sie wirkt jetzt zugänglicher.

      „Wie heißt Ihr Neffe denn?“

      Oh je, ich kenne seinen Nachnamen noch nicht.

      „Linus“, antworte ich und hole Luft.

      „Ah, Linus Bornkamp.“

      „Richtig, genau der.“

      „Na gut, aber nicht länger als eine Viertelstunde. Und hier nochmal die Hände desinfizieren!“

      Sie schiebt mich in einen vom Hauptgang abzweigenden Flur, an dessen Ende sich ein Fenster und davor eine Sitzecke mit kleinem Fernseher an der Wand befindet. Ich desinfiziere meine Hände und schiebe dann die Tür an der rechten Seite auf. Linus liegt allein in einem geräumigen Zweibettzimmer. Sein rechtes Bein ist mit einem dicken Verband versehen und etwas erhöht fixiert. Auch ein Arm ist verbunden. Der Rest des Jungen macht allerdings einen munteren Eindruck.

      „Wer sind Sie denn!“ begrüßt er mich. Schwester Grimmig ist zum Glück nicht mehr da. „Wie ein Arzt sehen Sie nicht aus.“

      Ich ziehe mir einen Stuhl ans Bett.

      „Ich bin dein Onkel und bringe dir dein Handy.“

      Er schaut mich an, als wäre ich Gustav Gans.

      Dann lacht er. „Das ist gut! Mein Onkel wohnt in München und mein Handy liegt hier auf dem Nachtschrank.“

      Tatsächlich. Dort liegt ein Smartphone. Gut, dass die Schwester es nicht bemerkt hat. Auch ich lache – und gemeinsames Lachen schafft bekanntermaßen immer eine gute Basis.

      „Ich heiße Jens Jahnke. Ohne die kleine Lüge mit dem Onkel und dem Handy hätten sie mich nicht zu dir gelassen.“

      „Sie sind also nicht von der Polizei.“

      „Nein. Ich bin der Nachbar von Dennis und bei der Presse.“

      „Dann haben Sie also diesen netten Artikel geschrieben?“

      Ich schaue mich um, sehe jedoch keine Zeitung. Er lacht und ich bemerke seine Grübchen. Ein netter, hübscher Junge – allemal im Blümchennachthemd und nicht in Tarnklamotten mit einer Granate in der Hand.

      „Wer liest denn heute noch Zeitung? Denken Sie an den Papierverbrauch und das Klima! Nee. Ich habe alles hier drin.“

      Er blickt in Richtung Smartphone. Ich staune. Vierzehn Jahre und schon Abonnent der online-Ausgabe unseres Kreisblattes? Als ich ihn danach frage, grinst er verschmitzt.

      „Meine Mutter hat mir heute Vormittag davon erzählt, dass unser kleiner Unfall in der Zeitung steht. Sie hat mir über WhatsApp ein Foto von Ihrem Artikel geschickt. Nicht übel. Dennis hat Ihnen ganz offensichtlich vertraut.“

      „Ja. Das siehst du auch daran, dass ziemlich viel von eurer bombigen Truppe nicht drinsteht.“ Ich sage ihm, dass ich unter anderem auch seine Rolle bei der Explosion kenne. „Das habe ich der Polizei aber nicht gesagt. Die gehen davon aus, dass ihr die Granaten gefunden habt und eine davon versehentlich hochgegangen ist.“

      „Die Bullen waren schon hier“, bestätigt Linus meine Vermutung. „Sie haben mich befragt und genau diese Version habe ich ihnen präsentiert. Sie wissen auch nichts von anderen Munitionsfunden. Zum Glück haben Sie in Ihrem Artikel


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