was Leiden schafft. Hermann Brünjes

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was Leiden schafft - Hermann Brünjes


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Junge erschrickt. Eben noch cool, klingt er jetzt ängstlich und kleinlaut.

      „Dennis muss Ihnen wirklich extrem vertrauen, wenn er davon erzählt hat.“

      „Das kannst du auch. Ich werde weder euch noch Malik Yilmatz in die Pfanne hauen, es sei denn, dort geschieht Unrecht und es treffen sich Nazis oder Reichsbürger oder sowas …“

      „Blödsinn. Was Malle macht, hat mit Nazis nichts zu tun. Wir sind einfach nur Pfadfinder ohne Kluft.“

      Er wirkt aufgebracht.

      „Aber im Krater tragt ihr Tarnuniformen.“

      „Ja. Es macht einfach Spaß, im Gebüsch herumzustrolchen. Aber wir haben mit Politik absolut nichts zu tun.“

      „Und du bist der Chef? Oder Malle?“

      „Malle ist Chef bei den Fischteichen, ich mehr oder weniger im Krater. Na, das ist ja jetzt wohl vorbei. Das mit der Handgranate war jedenfalls ein dicker Fehler.“

      „Allerdings. Man könnte auch sagen ein tödlicher Fehler.“

      „Zum Glück nicht. Wie konnte ich nur so blöd sein. Da war Ben damals schlauer.“

      „Ben?“

      „Ja, von ihm habe ich den Krater gewissermaßen übernommen. Er ist im letzten Jahr hier im Krankenhaus gestorben.“

      Ich weiß sofort, von wem er redet. Im Sommer letzten Jahres war Ben Lohse gemeinsam mit seiner Mutter hier im Krankenhaus. Beide wurden mit einer unbekannten Krankheit eingeliefert. Zuerst dachte man an Corona, dann an eine Vergiftung und zuletzt an eine unbekannte allergische Reaktion. Die Mutter schaffte es, ihr vierzehnjähriger Sohn nicht. Ich habe von dieser Tragödie berichtet, die Eltern kennengelernt und mit ihnen gelitten. Ben war also auch in dieser Clique.

      „Und Ben war gegen die Sprengung der Handgranaten?“

      „Ja. Er war extrem vorsichtig. Wann immer wir eine Granate oder andere Munition gefunden hatten, holten wir sofort Malle. Er kannte sich aus, weil er sowas bei der Bundeswehr gelernt hatte. Malle sicherte die Bomben und brachte sie auf seinem Quad zu den Fischteichen. Uns hat er jedes Mal weggeschickt.“

      „Was hat Malle mit der alten Munition gemacht?“

      „Genau weiß ich es nicht. Ich glaube, er hat die Zünder entfernt und die Granaten dann verkauft. Aber nicht an Nazis.“

      „Woher weißt du das?“

      „Malle ist gegen Nazis. Er kannte einige abgedrehte Typen, das stimmt. Die nannte er Siedler.“ Linus verzieht das Gesicht. „Aber Malle hat oft gesagt, dass politischer Extremismus, egal ob von rechts oder links, Blödsinn ist.“

      „Hat Malle euch von dem Geld, das er für eure Funde gekriegt hat, etwas abgegeben?“

      „Nein. Er hat davon Jungfische gekauft, Angeln, Kompass, Kartenmaterial, Sportbögen, Tarnklamotten und sowas eben. Letztlich hat er mit dem Geld unser Hobby finanziert.“

      „Und er hatte kein anderes Einkommen?“

      Linus überlegt einen Moment und kratzt sich dabei den Arm mit dem Brandverband. „Ich glaube nicht. Vielleicht kriegt er noch was vom Bund. Er war dort bei den Panzerfahrern.“

      Jemand taucht in der Tür auf, die ich einen Spalt weit offengelassen habe. Es ist Schwester Grimmig.

      „Sie sind ja immer noch hier! Fünfzehn Minuten habe ich Ihnen erlaubt.“ Ihre Mine bestätigt meine Namensgebung. Der Onkel muss das Zimmer verlassen.

      Linus ist ein cleverer Bursche. Er spielt mit.

      „Danke für das Handy, Onkel Jens!“

      „Gern geschehen, Linus. Hoffentlich hast du hier Empfang. Und ich hoffe, du wirst schnell wieder gesund.“ Mit einem nachdenklichen Blick auf die Krankenschwester ergänze ich: „Immerhin bist du ja im Krankenhaus.“

      Die Bemerkung meine ich ernst. Mich machen Krankenhäuser eher krank als gesund. Dreimal war ich hier. Einmal waren sie überfordert und mussten mich deshalb nach Hamburg transportieren, zweimal habe ich mich erst zuhause erholt.

      Als ich durch die Drehtür ins kühlfeuchte Draußen trete, atme ich tief durch und fühle mich deutlich besser. Seltsam, wie Räume uns auf Gemüt und Stimmung schlagen können.

      *

      Als ich gegen drei Uhr zurück in Himmelstal bin, hat sich Maren einen Kaffee gekocht und sitzt in der Küche.

      Sie war, wie ich, in Quarantäne und hat ab heute Frühdienst. Ich ziehe mir einen Kaffee aus der Maschine und geselle mich zu ihr. „Und, wie war dein erster Tag?“

      Sie lächelt, nippt an ihrer Tasse und schaut mich an. „Vor allem nerven die Hygienemaßnahmen wegen Corona. Ansonsten sind wir in Lüneburg noch nicht wieder am Limit.“

      Dann erzählt sie davon, dass nun auch zwei ihrer Kollegen in Quarantäne sind. Ein Arzt hat sich krankgemeldet. Die Schwestern munkeln, er sei schlicht überarbeitet. Allerdings sei die „Omikron-Wand“ nicht so steil ausgefallen, wie in den Medien befürchtet und hat sich sowohl auf der Intensivstation als auch auf den anderen Stationen nur mäßig ausgewirkt. Es sei also alles in Ordnung, meint Maren – und es würde mich auch wundern, wenn meine Liebste jammern oder klagen würde.

      „Trotzdem muss ich mich ganz schön umstellen“, beendet sie ihren Bericht. „Zwei Wochen Zwangsurlaub mit Ausschlafen, Fernsehen, Lesen und Zeit im Überfluss – und nun wieder der ganz normale Wahnsinn. Aber vermutlich ist es bei dir ähnlich. Wie war die Konferenz? Sind alle gesund? Und wie geht’s der hübschen Elske?“

      Verschmitzt und herausfordernd lächelnd schaut sie über den Tisch. Maren und meine junge Kollegin verstehen sich hervorragend. Manchmal gehen sie in Lüneburg gemeinsam shoppen oder treffen sich auf einen Kaffee. Ich habe den Verdacht, dann reden sie auch über mich. Natürlich weiß Maren, dass ich Elske toll finde. Sie mag auch gelegentlich ein bisschen eifersüchtig sein – aber sie weiß genau, dass da nichts läuft, was unserer Beziehung schädlich wäre. Trotzdem, gelegentliches Sticheln wegen Elske kann sich Maren nicht verkneifen. Am besten, ich ignoriere das.

      „Ach Maren, wie soll eine Konferenz an einem Aschermittwoch schon sein. Steini erschien mit Braunschweiger Karnevalshirt und dummen Sprüchen, Florian hat sich mal wieder mit unsensiblen Komplimenten ins Fettnäpfchen gesetzt und Elske wickelt ihn lässig um den Finger.“

      Ich erzähle ihr von den Ergebnissen.

      „Dann wirst du also wieder mit Elske zusammenarbeiten. Vergiss nicht, sie mal mitzubringen!“ Sie lacht. „Und ihr habt tatsächlich drei Reportagen zur Passionszeit gekriegt. Das ist ja toll! Weißt du schon, wie ihr es angehen wollt?“

      „Zuerst will ich in der Sache mit der Explosion gestern Abend weiterkommen. Von Themen rund um Altlasten aus beiden Weltkriegen und der heutigen Rüstungsindustrie ist es zum Thema ‚Leiden und Sterben‘ nicht mehr weit. Ich will dann in der Woche vor Karfreitag die religiösen Akzente stärker betonen.“

      „Verstehe. Du willst also zunächst mal Detektiv spielen.“

      „Genau. Damit habe ich schon begonnen. Es gibt da im Zusammenhang mit der Jungen-Clique, die mit Handgranaten spielt, noch ein paar weitere Fragen.“ Mir fällt etwas Gutes ein. „Hast du Lust auf einen Spaziergang? Dann erzähle ich dir unterwegs davon.“

      „Ich bin zwar ziemlich K.O., aber vielleicht tut uns die frische Luft ganz gut.“ Maren ist einverstanden.

      Die „frische Luft“ erweist sich als immer noch feucht. Wir nehmen unseren gewohnten Rundweg durchs Dorf, dann an der Mühle mit den Teichen vorbei und am Pferdehof biegen wir rechts ab. Nun haben wir freien Blick auf den kleinen runden Kraterwald oberhalb des Wirtschaftsweges, den wir einschlagen. Auf dem Acker stehen zwei blaue Kleinlaster. Ich vermute, sie gehören zur Kampfmittelbeseitigung. An der Straße, dort wo gestern mein Fahrrad am Baum lehnte, parkt ein Polizeiwagen. Die Untersuchungen des Kraters gehen heute also


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