Der Mord bleibt ungesühnt. Walter Brendel

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Der Mord bleibt ungesühnt - Walter Brendel


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und der ebenfalls getötete Liebknecht bekamen ein Grab auf dem Friedhof in Friedrichsfelde, in einem weitab gelegenen Feld, nicht leicht erreichbar für Kundgebungen, wie es die Berliner Behörden angeordnet hatten.

      Mies van der Rohe errichtete dort 1926 ein Revolutionsdenkmal, die Nazis zerstörten

      es neun Jahre später mitsamt dem Grab. Von Rosa Luxemburgs Zinksarg blieb nichts als ein metallener Griff übrig.

      Seit 1951 steht die neue Gedenkstätte am Haupteingang zum Friedhof. Aus der alljährlichen Demonstration zu "Rosa und Karl" machte die SED einen der üblichen

      Vorbeimärsche zur Huldigung der Märtyrer der Arbeiterbewegung. Mittlerweile erhebt

      die Linke so etwas wie ein Monopol auf Rosa Luxemburg.

      Rosa Luxemburg dürfte die am meisten verkannte und vereinnahmte Person in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung sein - und das „große I“ können wir uns

      im Begriff „Arbeiterbewegung“ tatsächlich sparen; ein erheblicher Teil der vielfachen Fehlinterpretationen von Luxemburg ist gerade der Tatsache geschuldet, dass in dieser Männer-dominierten Bewegung eine authentische Frau und Revolutionärin nicht den ihr angemessenen Platz haben sollte, was im Übrigen nicht im Widerspruch zu dem interessanten Vorgang steht, dass linke Männer zu dieser großen Revolutionärin durchweg ein intimes Verhältnis haben und diese postum ausschließlich mit Vornamen ansprechen, was meines Wissens bei keinem einzigen Mann, z. B. Karl Liebknecht, Leo Trotzki, Wladimir Iljitsch Lenin, und wohl auch bei keiner anderen Frau, z. B. Clara Zetkin, erfolgt.

      Eine klassische falsche Frontstellung, die aufgemacht und wo Rosa Luxemburg vereinnahmt wird, ist diejenige zwischen „Massenspontanität“ und „Parteidisziplin“. Diese Frontstellung ist an ihren beiden Polen fragwürdig, wenn nicht falsch. Es ging Rosa Luxemburg zum einen um die Betonung der entscheidenden Bedeutung von Massenaktionen. Zum anderen wandte sie sich zwar gegen eine zentralistisch definierte Parteidisziplin; gleichzeitig betonte sie jedoch die Notwendigkeit einer revolutionären Organisation - und zwar als logisches Pendant zu den Massenaktionen.

      Zunächst sollten wir uns verdeutlichen, in welchen Zeiten Rosa Luxemburg ihre politischen Positionen hinsichtlich der Bedeutung von Massenaktionen entwickelte. Es

      gab überall in den industrialisierten Ländern große sozialdemokratische und revolutionäre Organisationen. Diese hatten wirklichen Masseneinfluss und orientierten ihre Anhängerschaft auf eine revolutionäre Veränderung. Anfang des 20. Jahrhunderts, als viele sozialdemokratische Führer einen graduellen Marsch in den Sozialismus vorgaukelten, ihr Programm in „Minimal-“ und „Maximal“-Programme aufteilten, wobei das letztere auf Sonntagsreden begrenzt blieb, legte Rosa Luxemburg den Akzent auf die Massen und ihre selbständigen Aktionen.

      Zumindest ein Teil der Wirklichkeit Anfang des Jahrhunderts bestätigte die Richtigkeit dieser Orientierung. 1902 gab es den großen belgischen Generalstreik, 1905 kam es zur Russischen Revolution - mit der Bildung von Räten und noch gering verankerten revolutionären Parteien; 1910 entwickelte die deutsche SPD die Kampagne zum preußischen Wahlrecht; vor dem Ersten Weltkrieg gab es auf internationaler Ebene breite Demonstrationen für Frieden; 1914 kippte die Stimmung, und die Massen zogen Gegeneinander, unter nationalen Fahnen, in den Krieg; 1917 fand die – siegreiche - Oktoberrevolution in Russland statt, geprägt von einer fast ideal zu nennenden Mischung von Massenaktionen und organisierendem Eingreifen der (bolschewistischen) Partei; 1918 kam es in Deutschland zur Novemberrevolution, eine im erheblichem Maß durch spontane Massenaktionen getragener Revolte mit nur schwachen - aber gezielt eingreifenden - Kräften einer organisierenden Partei (Spartakusbund, KPD, Obleute). Rosa Luxemburg äußerte vor diesem Hintergrund der realen Klassenkämpfe, Revolten und Revolutionen: „Die Massen(...) lernen nicht aus Broschüren und Flugblättern, sondern bloß aus der lebendigen politischen Schule, aus dem Kampf und in dem Kampf, in dem fortschreitenden Verlauf der Revolution.“

      Sie ging in ihrer Analyse von vergleichbaren Überlegungen aus, wie sie von Marx in

      seinen „Pariser Manuskripten“ und später im „Kapital“ formuliert worden waren: Die arbeitende Klasse ist zunächst einmal atomisiert, zersplittert, individualisiert, entfremdet - ist „Klasse an sich“ und damit nicht revolutionär. In Massenaktionen allerdings kann punktuell die „Klasse für sich“ aufscheinen - in diesen Aktionen können

      Massen diese, ihnen von den herrschenden Verhältnissen aufgezwungene Verdummung und Manipulation sprengen und emanzipatives Bewusstsein entwickeln. Das Proletariat müsse sich „zur Masse wieder sammeln,(...) aus Fabriken und Werkstätten, aus Schächten und Hütten heraustreten(...), die Pulverisierung und Zerbröckelung(...) überwinden, zu der es im täglichen Joch des Kapitals verurteilt ist“.

      Rosa Luxemburg plädierte dafür, die Massen durchaus kritisch zu sehen und all ihre

      reaktionären, aus dem beschriebenen Alltag entspringenden Tendenzen zu bekämpfen.

      Gleichzeitig gibt es bei ihr nicht die Spur jener Massenverachtung, die heute oft gerade in der radikalen Linken gepflegt wird. Dabei hätte Rosa Luxemburg ausreichend Anlass für eine vergleichbare Haltung gehabt - der massenhafte Gang des europäischen Proletariats in den jeweils nationalen Krieg gegen die eigenen Klassenbrüder und -schwestern, den dieses 1914 - 1918 praktizierte, war ernüchternd

      und hätte Anlass sein können, Massenaktionen mit fortschrittlichem Inhalt ganz abzuschreiben.

      Doch gerade sie war es, die nach der schrecklichen Erfahrung mit 1914 weiter auf die Massen setzte, die jede kleine Regung wie Arbeitsverweigerung in der Rüstungsproduktion, Kriegsdienstverweigerung, Friedensdemonstrationen usw. als

      Hoffnungsschimmer aufnahm und im November 1918 recht behalten sollte, als massenhaft dasselbe Proletariat dem Kriegswahn ein Ende setzte. Im Dezember 1918, auf der Gründungsversammlung der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund), appellierte Luxemburg:

      „Wir müssen die Massen erst darin schulen, dass der Arbeiter- und Soldatenrat der Hebel der Staatsmaschine nach allen Richtungen hin sein soll, dass er jede Gewalt übernehmen muss und sie alle in dasselbe Fahrwasser der sozialistischen Umwälzung

      leiten muss. Davon sind auch noch diejenigen Arbeitermassen, die schon in den Arbeiter- und Soldatenräten organisiert sind, meilenweit entfernt (...) Aber das ist nicht ein Mangel, sondern das ist gerade das Normale. Die Klasse muss, indem sie Macht ausübt, lernen, Macht auszuüben. Es gibt kein anderes Mittel, es ihr beizubringen.

      Wir sind nämlich zum Glück über die Zeiten hinaus, wo es hieß, das Proletariat sozialistisch schulen, das heißt: ihnen Vorträge halten und Flugblätter und Broschüren verbreiten. Nein, die sozialistische Proletarierschule braucht das alles nicht. Sie werden geschult, indem sie zur Tat greifen.“

      Massenaktion war in Luxemburgs Denken strategische Voraussetzung für die revolutionäre Veränderung der Gesellschaft. Worman Geras formulierte dazu in seinem Buch über Luxemburg: „Die Schaffung eines revolutionären Bewusstseins in den breitesten Massen hat zur unabdingbaren Voraussetzung, dass diese Massen an

      Kämpfen von außerordentlicher Reichweite und Kampfbereitschaft teilnehmen. Die

      Massen lernen in der Aktion.“ Zu einem früheren Zeitpunkt argumentierte Luxemburg:

      „In der Revolution, wo die Masse selbst auf dem politischen Schauplatz erscheint, wird das Klassenbewusstsein ein praktisches, aktives. Dem russischen Proletariat hat deshalb ein Jahr der Revolution jene >Schulung< gegeben, welche dem deutschen Proletariats 30 Jahre parlamentarischen und gewerkschaftlichen Kampfes nicht künstlich geben können.“

      Auch der erstgenannte Pol in dieser Frontstellung ist schwerlich mit Rosa Luxemburg Theorie und Praxis vereinbar. Richtig ist, dass sich Luxemburg gegen einen Kadavergehorsam in der revolutionären Partei wandte. Gleichzeitig betonte sie jedoch

      die Notwendigkeit der Organisierung, der Organisation bzw. Partei, ja, der Führung der Massen durch eine lebendige Partei, die zwischen Massenaktion und politisch-strategischer Orientierung gewissermaßen die „Vermittlung“ darstellen würde.

      Just


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