Jenseits des Tweed. Theodor Fontane
Читать онлайн книгу.sich nun aber mal; die ganze Berühmtheit dieses Ortes knüpft sich an jenen baufälligen alten Nordwestturm, der der Zeuge jener Ermordung war. Diesem Nordwestturm gilt jetzt unser Besuch; aus dem Torweg tretend, biegen wir links kurz um, schreiten an der Rückseite des Frontflügels entlang und treten da, wo der linke Flügel auf den Frontflügel stößt, durch eine Ecktür ein. Die Räumlichkeiten dieses Turmes liegen in drei Etagen: Hochparterre die Zimmer Darnleys und eine Gemäldegalerie; eine Treppe hoch die Zimmer Maria Stuarts; zwei Treppen hoch niedrige Zimmerchen, in denen einige Damen vom Haushalt der Königin (vielleicht die sogenannten »vier Marien«) gewohnt haben mögen.
Über diese vier Marien möchte ich hier ein paar Worte einschalten. Sie waren die Töchter aus vornehmen schottischen Familien, standen im selben Alter wie die Königin, hatten schon in Frankreich die nächste Umgebung derselben ausgemacht und waren mit ihr nach Schottland zurückgekehrt. Ihre Namen waren Mary Fleming, Mary Beaton, Mary Livingstone und Mary Seaton. Die Letztere stand ihr besonders nah und war ihre einzige Gesellschafterin während ihrer Gefangenschaft in Schloß Lochleven. Die Idee, eine Königin Maria mit vier Marien zu umgeben, wie man einen Edelstein mit vier ihm verwandten Steinen umgibt, scheint schon zu Lebzeiten Marias die Poeten des Landes vielfach angeregt zu haben, und so existieren mehrere alte Balladen, in denen diese vier Marien eine Rolle spielen. Die vier oben angeführten Familiennamen werden dabei nicht immer festgehalten, und so führt z. B. die schönste und ergreifendste der Marien-Balladen die Überschrift: »Maria Hamilton«.
Wir kehren nach dieser Abschweifung zu unserm Nordwestturme zurück. Das erste, was wir in Augenschein nehmen, ist die Gemäldegalerie. Diese ist ein Unikum, und insofern ganz an ihrem Platze hier, als sie ein heiteres Gegengewicht gegen die Schrecknisse dieses Ortes bildet. Sie enthält hundertundzehn Porträts der schottischen Könige von Fergus I. (330 vor Christo) bis auf Karl Stuart. Der Künstler, der sie schuf, hieß Jakob de Witt, ein Vlamänder. Der Kontrakt, durch den er sich zur Herstellung dieser Porträts verpflichtete, existiert noch; er ist aus dem Jahre 1684 und lautet dahin: »Jakob de Witt verpflichtet sich zur Lieferung von 110 Porträts in zwei Jahren, sowie auch zur Beschaffung der dazu nötigen Farben und Leinwand; das Gouvernement andererseits zahlt besagtem de Witt jährlich 120 Lstr. und macht sich verbindlich, ihm die nötigen Originale zu liefern.« Sehr komisch ist die Kostüm- und Familienähnlichkeit aller, so daß es niemandem auffallen würde, wenn man die Nummern durcheinander werfen und die Namen hinterher durch Los bestimmen wollte! Englische Dragoner zerhieben während des Stuart-Aufstandes (1745) ein Dutzend dieser Porträts, wogegen nicht viel zu sagen ist; das aber muß überraschen, daß man sich hinterher die Mühe gegeben hat, diese zersäbelten Kunstschätze wieder zu restaurieren. Der Saal, in dem sich diese Porträtgalerie befindet, ist dadurch interessant, daß der Prätendent oder »Prinz Charlie«, wie ihn die Schotten zu nennen pflegen, während seiner kurzen Residenz in Holyrood einen prächtigen Ball in demselben gab. Hier tanzten jene Gestalten, die W. Scott in seinem »Waverley« auf viele Jahrhunderte hin der Vergessenheit entrissen hat: Fergus und Flora Mac-Ivor, der alte Bradwardine und seine reizende Tochter.
In gleicher Höhe mit der Gemäldegalerie befinden sich die Zimmer Lord Darnleys. Alte Bilder und Tapeten hängen an den Wänden, aber nichts, was unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen könnte; nur das Schlafzimmer wird dadurch interessant, daß es an einen halbversteckten Treppenturm grenzt, dessen spiralförmige Steintreppe damals eine geheime Verbindung nach unten und nach oben unterhielt. Nach oben führte diese Vertraulichkeitstreppe in die Gemächer der Königin, nach unten auf die Straße. Personen, die im Palast nicht gesehen werden sollten, machten mit Hilfe dieser Treppe ihren Besuch bei Lord Darnley; auch die Verschwörer gegen Rizzio stiegen am Abend des 9. März hier hinauf. Nachdem sie einig geworden, sammelten sie sich draußen auf den obersten Stufen der einen und den untersten Stufen der andern Treppe (der Raum ist so eng, daß an Flur und Treppenabsatz gar nicht zu denken ist), um nun Mann hinter Mann, nicht unähnlich wie man eine Sturmleiter erklimmt, in die Zimmer der Königin vorzudringen. Wir hatten vor, denselben Weg zu machen und wanden uns die Spirale hinauf, auf der an jenem Märzabend Darnley und seine Freunde hinangestiegen waren. Es ward uns ein wenig unheimlich dabei, und dies Gefühl wuchs noch, als wir plötzlich vor einer kleinen, kaum mannsbreiten Tür standen und vergeblich auf die rostige Klinke drücken, um zu öffnen. Lord Ruthven und seine Leute würden durch einen kräftigen Fußtritt das unerwartete Hindernis rasch aus dem Wege geräumt haben, wir aber fanden uns veranlaßt, kehrtzumachen und auf dem eigentlichen Treppenaufgang nunmehr unser Glück zu versuchen.
Die sogenannten »Queen Mary's Apartments«, also die Zimmer der Königin Maria, befinden sich unmittelbar über den Zimmern Lord Darnleys und umfassen vier Räume von verschiedener Größe. Wir treten zuerst in das Audienzzimmer, dem es seinerzeit an Eleganz und Farbenfrische nicht gefehlt haben mag; Gobelintapeten, Holzgetäfel an Wand und Decke und in der Mitte des Zimmers eine Art Staatsbett, in dem Karl I. bei seinem letzten Besuche in Schottland geschlafen haben soll. Hundert Jahre später ruhte Prinz Charlie (nach dem Siege von Prestonpans) auf diesen Kissen aus, schwerlich träumend, daß er sieben Monate später schon ein gehetzter Flüchtling sein und sein Besieger (der Herzog von Cumberland) auf ebenjenen Kissen schlafen werde. Vielleicht, daß das Bett vor hundert Jahren einladender war als jetzt; wie es da vor mir stand, weckte es nur die Empfindung, daß ich mir ein angenehmeres Lager gesucht und selbst ein Biwak auf schottischer Heide vorgezogen haben würde. Was diesem Audienzzimmer eine größere Bedeutung leiht als die Gardinen und die historischen Erinnerungen dieses Betts, ist der Umstand, daß die vielfachen Begegnungen zwischen John Knox und der Königin an dieser Stelle stattfanden. Hier war es, wo sie unter Zorn und Tränen ausrief: »Was kümmert Euch meine Heirat? Wer gibt Euch das Recht zu dieser Sprache? Wer und was seid Ihr in diesem Lande?« Und wo der Mann im Genfer Käppchen, ungeblendet durch Schönheit und unerschüttert durch Macht, standhaft erwiderte: »Ich bin ein Untertan dieses Landes, geboren darin; und ob ich auch kein Graf oder Herr bin, doch bin ich ein nützliches Glied dieser Gemeinschaft.«
Aus dem Audienzzimmer treten wir in das Schlafzimmer, dasselbe, an dessen wurmstichiger Tür wir von außen gepocht hatten. Das Zimmer ist ein Quadrat, aber durch Fenster, Türen, Kamin und Nischen so vielfach unterbrochen, daß es mehr den Eindruck eines Vielecks als eines Vierecks macht. Die Einrichtung ist so ziemlich dieselbe wie die des Audienzzimmers, aber hundert Kleinigkeiten, die durch die Hand der schönen Frau gingen, ihr dienten oder sie erfreuten, finden sich hier zusammen und machen dies Zimmer zu dem interessantesten, das man vielleicht irgendwo betreten kann. Das Bett mit seinen Scharlachbehängen, seinen Schnüren und Quasten ist wohlerhalten, und auf den Polstern und Decken liegt der zwei Hand breite Rest von einer jener wollnen Decken, die nach englisch-französischer Sitte schon damals statt des Federbetts dienten. Es ist bekannt, wie leicht solche Dinge ins Lächerliche umschlagen, aber die ganze Umgebung ist der Art, daß Frivolität nicht aufkommen kann und sich bescheidet, anderen Gedanken das Feld zu räumen. Die Gobelins, die an den Wänden hängen, stellen den Fall des Phaeton dar; man kann darin nicht gut, wie einige gewollt haben, ein sinniges Spiel des Zufalls erkennen, da der Fall der schönen Königin sicherlich keine Vergleichungspunkte mit dem des Phaeton bietet. Sie strebte nie zu hoch, im allgemeinen nicht hoch genug; als sie dem Bothwell die Hand reichte, entschlug sie sich ihrer Würde als Königin und als Frau, das stürzte sie. - Unter den Kleinigkeiten, deren das Zimmer so viele besitzt, sind Stickereien von der Hand der Königin Elisabeth, die diese der Maria Stuart für deren eben geborenen Sohn, den späteren Jakob VI., zum Geschenk machte; daneben Handarbeiten Maria Stuarts selbst, Körbchen, Kästchen, Necessaires usw.
Von diesem Schlafzimmer aus führen zwei Türen nach rechts und links hin in zwei angrenzende kleine Räume, von denen der eine den Namen eines Ankleidezimmers (dressing-room), der andere den eines Eßzimmers (supping-room) führt. Der dressing-room hat kein Blatt in der Geschichte; desto mehr Blätter gehören dem supping-room. Wir werfen noch einen Blick auf die mehrerwähnte wurmstichige kleine Tür, die wir jetzt kaum fußbreit zur Rechten haben, und treten nunmehr in den unmittelbar daneben gelegenen supping-room ein. Wir sehen darin allerhand Rüstungsstücke (Brustharnisch, Schwert, Sporen), die dem Lord Darnley gehört haben sollen; an anderer Stelle befindet sich ein Marmorblock und ein auf Stein gemaltes kleines Altarbild. Dinge, die einstens der Hauskapelle der Königin zugehörten und nun wie in einem Kuriositätenladen, in diesem »supping-room« eine Stelle gefunden haben. So unpassend wie möglich. Dies Zimmer müßte