Charles Dickens. Charles Dickens

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Charles Dickens - Charles Dickens


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Ihren Wahrspruch nach den – Kegeln gibt's heute nicht, die Kegelbahn ist augenblicklich zu sperren, Kirchendiener! – nach den Zeugenaussagen und nach nichts anderm fällen. Zuerst haben wir die Leiche zu besichtigen.«

      »Platz da, Platz!« ruft der Kirchspieldiener.

      Alle verlassen in Prozession wie ein langgestreckter Leichenzug den Saal und begeben sich zur Besichtigung in Mr. Krooks zweiten Stock in das Hinterzimmer. Ein paar der Geschwornen verlassen es blaß und hastig auf der Stelle wieder. Der Kirchspieldiener ist eifrig bemüht, daß zwei um Ärmelaufschläge und Knopflöcher herum nicht sehr sauber aussehende Herren, für die er schon im Saal der »Harmonischen Gesellschaft« neben dem Totenbeschauer ein besonderes Tischchen hingestellt hat, alles genau zu sehen bekommen. Sie sind nämlich die öffentlichen Berichterstatter über solche Untersuchungen – nach der Zeile –, und auch er ist der allgemeinen menschlichen Schwäche unterworfen, zu hoffen, gedruckt zu lesen, was Mooney, der tätige und scharfsinnige Kirchspieldiener des Distriktes, alles gesagt und getan hat. Er wünscht sich innerlich, den Namen Mooney in dem vertraulichen Ton erwähnt zu lesen wie in letzter Zeit den Namen des Henkers.

      Der kleine Swills wartet im Saal auf die Rückkehr des Totenbeschauers und der Geschwornen. Auch Mr. Tulkinghorn wartet. Mr. Tulkinghorn wird mit Ehrfurcht begrüßt und in die Nähe des Totenbeschauers gesetzt. Zwischen diesen hohen Gerichtsbeamten ein Zimmerkegelspiel und eine Kohlenkiste. Die Untersuchung wird fortgesetzt. Die Geschworenen erfahren, wie der Gegenstand ihrer Untersuchung gestorben ist. Über ihn selbst erfahren sie nichts.

      »Ein angesehener Advokat ist hier, meine Herren«, sagt der Totenbeschauer, »der, wie ich höre, zufällig anwesend war, als man die Leiche entdeckte; aber er könnte nur wiederholen, was Sie bereits von dem Arzt, dem Hauswirt, der Mieterin im obern Stock und dem Schreibmaterialenhändler gehört haben, und wir brauchen ihn daher nicht weiter zu inkommodieren. Ist sonst noch jemand hier, der eine Auskunft geben könnte?«

      Mrs. Perkins schiebt Mrs. Piper vor. Mrs. Piper wird vereidigt.

      »Anastasia Piper, meine Herren, verheiratete Frauensperson. Nun, Mrs. Piper, was haben Sie uns über die Sache zu sagen?«

      Mrs. Piper hat sehr viel zu sagen. Besonders in Klammer und ohne jede Interpunktion, kann aber nicht viel Auskunft geben. Mrs. Piper wohnt im Hof (wo ihr Mann Schreiner ist) und es ist seit langer Zeit den Nachbarn wohl bekannt (es war zwei Tage nach dem Tage wo Alexander James Piper der jetzt achtzehn Monate vier Tage alt ist die Nottaufe erhielt weil er aufgegeben war so sehr litt das arme Kind an Krämpfen) daß der Kläger – so nennt immer wieder Mrs. Piper den Verstorbenen sich angeblich dem Teufel verkauft haben sollte. Das Gerücht sei wahrscheinlich entstanden weil der Kläger danach ausgschaut hat. Der Kläger habe immer fuchtig und grimmig ausgschaut und sie habe immer gesagt man dürfe ihn nicht frei herumgehen lassen weil manche Kinder furchtsam sind (und wenn man ihr nicht glaube so solle man Mrs. Perkins fragen die hier ist und die bestätigen kann daß sie und ihr Mann und ihre Familie niemals keine Unwahrheit nicht spricht) sie habe gesehen wie die Kinder den Kläger geneckt und gequält haben (denn Kinder sind Kinder und man kann nicht von ihnen erwarten besonders wenn sie munter und lebhaft sind daß sie sich wie Methuselers benehmen) deswegen und wegen seines finstern Aussehens habe sie oft geträumt daß er eine Axt aus der Tasche gezogen habe um damit Johnny den Kopf zu spalten aber das Kind kenne keine Furcht nicht und habe ihn oft dicht auf dem Fuß noch ausgespottet. In Wirklichkeit habe sie jedoch niemals den Kläger eine Axt aus der Tasche ziehen sehen. Im Gegenteil. Er sei rasch gegangen wenn ihm die Kinder nachliefen oder nachschrien als ob er Kinder nicht gern hätte und sie habe ihn nie mit einem Kind oder Erwachsenen nicht sprechen sehen ausgenommen mit dem Jungen was den Übergang unten im Gäßchen an der Ecke kehrt. Wenn er hier wäre müsse er selbst sagen daß man ihn oft mit ihm habe sprechen sehen.

      Der Totenbeschauer fragt: »Ist der Junge hier?«

      »Nein, Sir, er ist nicht hier«, sagt der Kirchspieldiener.

      »Gehen Sie ihn holen.«

      Während der Abwesenheit des emsigen und erfahrenen Dieners unterhält sich der Totenbeschauer mit Mr. Tulkinghorn.

      »Hier ist der Junge, meine Herren.«

      Hier ist er, schmutzbedeckt, ganz heiser, sehr zerlumpt.

      »Nun, Junge!... Aber halt, einen Augenblick. Vorsicht. Der Knabe muß erst anderweitig verhört werden.«

      Name? Jo. Hat keinen andern, soviel er weiß. Weiß nicht, daß jeder Mensch zwei Namen hat. Hat niemals von so was gehört. Weiß nicht, daß Jo die Abkürzung für einen längern Namen ist. Glaubt, daß er lang genug für ihn ist. Findet nichts daran auszusetzen. Kann er ihn buchstabieren? Nein. Er kann ihn nicht buchstabieren. Hat keinen Vater, keine Mutter, keine Freunde. Ist nie in der Schule gewesen – was ist dös, Elternhaus?? – Weiß, daß ein Besen ein Besen ist, und weiß, daß es eine Sünde ist, zu lügen. Erinnert sich nicht, wer ihm das von dem Besen und der Lüge gesagt hat, aber er weiß beides. Kann nicht genau sagen, was mit ihm nach dem Tode geschehen wird, wenn er den Herren hier eine Lüge sagt, aber er glaubt, daß es ihm zur Strafe sehr schlecht gehen wird und daß ihm dös dann recht gschiecht... Und deshalb will er die Wahrheit sagen.

      »Damit kommen wir zu nichts, meine Herren«, sagt der Totenbeschauer und schüttelt melancholisch den Kopf.

      »Glauben Sie nicht, daß wir seine Aussage anhören sollen, Sir?« fragt ein aufmerksamer Geschworner.

      »Ausgeschlossen. Sie haben den Knaben doch selbst gehört. 'Weiß ich nicht genau' können wir nicht brauchen. In einem Gerichtshof können wir mit dergleichen nichts anfangen, meine Herren. Schreckliche Herabgekommenheit. Schaffen Sie den Jungen weg.«

      Der Knabe tritt ab zur großen Erbauung der Zuhörerschaft – besonders des kleinen Swills, des komischen Sängers.

      »Nun, sind noch andre Zeugen da?«

      Es sind keine andern Zeugen da.

      »Also, meine Herren! Hier ist ein unbekannter Mann infolge Genusses einer zu großen Menge Opium tot aufgefunden worden. Er ist überwiesen, seit anderthalb Jahren aus Gewohnheit Opium in großen Mengen genossen zu haben. Wenn Sie aus den Zeugenaussagen schließen zu dürfen glauben, daß er Selbstmord begangen hat, so haben Sie dementsprechend Ihren Wahrspruch zu fällen. Wenn Sie meinen, es handle sich um einen Zufall, so haben Sie ein dementsprechendes Verdikt zu fällen.«

      Man fällt das entsprechende Verdikt. Selbstmord aus Zufall. Kein Zweifel.

      »Meine Herren, Sie sind entlassen. Guten Nachmittag.«

      Während der Totenbeschauer seinen Überrock zuknöpft, geben er und Mr. Tulkinghorn dem zurückgewiesenen Zeugen in einer Ecke eine Privataudienz. Dieses allen menschlichen Liebreizes bare Geschöpf weiß nur, daß der Tote, den es an seinem gelben Gesicht und schwarzen Haar soeben erkannt hat, manchmal von den Kindern auf der Straße verhöhnt und verfolgt wurde. An einem kalten Winterabend, als es in einem Torwege nicht weit von seinem Straßenübergang vor Kälte zitternd gekauert, habe sich der Mann nach ihm umgesehen, es ausgefragt und erfahren, daß es keinen Freund auf der Welt habe. Darauf hätte er gesagt: Ich auch nicht. Nicht einen! und hätte ihm Geld zu einem Abendessen und einem Obdach für die Nacht gegeben.

      Seitdem hätte der Mann oft mit ihm gesprochen und ihn gefragt, ob er in der Nacht schlafen könnte, wie er Kälte und Hunger vertrüge und ob er sich den Tod wünsche, und ähnliche seltsame Fragen. Und manchmal hätte er im Vorbeigehen zu ihm gesagt: »Ich bin heute so arm wie du, Jo.« Wenn er aber Geld gehabt, habe er immer welches gegeben – und sehr gern. (Wie der Knabe fest überzeugt sei.)

      »Er war sehr gut gegen mich.« Jo wischt sich mit dem zerlumpten Ärmel die Augen. »Wann i n so als a Toter daliegen siech, möcht i, er könnts hören. Er war immer so gut gegen mich.«

      Wie er die Treppe hinunterschlottert, drückt ihm Mr. Snagsby, der im Hinterhalt auf ihn wartet, eine halbe Krone in die Hand.

      »Wenn ich einmal mit meiner kleinen Frau – ich meine mit einer Dame – an deinem Straßenübergang vorbeikomme«, sagt Mr. Snagsby, den Finger an der Nase, »dann kennst


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