Zehn Jahre später. Jules Verne

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Zehn Jahre später - Jules Verne


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und verschwinden. Er gedachte sie als bretonische Fischer zu verkleiden, eine Barke zu mieten und dann nach England hinüberzusegeln. Dort wollte er angeben, der Sturm habe ihn verschlagen, und er war der Zuversicht, daß selbst der mißtrauische Monk dann keinen Argwohn schöpfen würde.

      Am nächsten Morgen machte er sich auf den Weg nach Calais, und dort gelang es ihm dank seinem Scharfblick und seiner großen Menschenkenntnis in sehr kurzer Zeit unter dem Gesindel von Abenteuerern, Landesflüchtlingen, entlassenen Sträflingen und andern zweifelhaften Menschen, von denen Hafenstädte ja immer angefüllt sind, zehn auserlesene Kerle herauszufinden, die seinen Zwecken entsprachen und mit denen er, wenn er sie gut bezahlte, alles wagen konnte.

      Er war es nicht anders gewöhnt, als daß ein General, wenn er mit seiner Truppe auszieht, eine Ansprache hält, und daher hielt er nun auch eine, als er seine kleine Schar vollzählig beisammen hatte. »Leute,« sprach er, »ihr seid vom Schicksal dazu bestimmt, miteinander zu leben, vertragt euch also und brecht euch nicht gegenseitig den Hals! Ich habe euch angeworben, weil ihr mir mutig und standfest erscheint. Ihr sollt nun an einem ruhmvollen Wagestück teilnehmen. Indem ihr für mich arbeitet, leistet ihr dem König einen großen Dienst. Aber vergeßt nicht, daß ihr keinem Menschen eine Silbe davon verraten dürft. Gegen alle andern Menschen seid ihr Fischer, und damit gut. Staatsgeheimnisse, das laßt euch sagen, sind ein tödliches Gift; solange das Gift in einer Büchse fest verschlossen ist, schadet es nichts; kommt es unter die Leute, so ist es von vernichtender Wirkung. Und so würde auch jeder von euch, der etwas verrät, von meiner Hand ohne Gnade sterben. Tretet dicht um mich herum, damit weder der Vogel, der über uns hinfliegt, noch der Fisch, der aus dem Wasser schnellt, etwas hören kann. Wir haben auszukundschaften, wieviel Schaden der englische Schleichhandel den französischen Finanzen bereitet. Wir sind arme Fischer aus der Picardie, der Sturm hat uns an die englische Küste verschlagen. Nur im äußersten Notfall greifen wir zu den Waffen. Im übrigen haben wir einen mächtigen Beschützer im Rücken. Und somit: Glück auf!«

      Vierzehn Tage später befand sich d'Artagnan mit seinen Leuten im Haag, und von hier aus machte er allein einen Ausflug nach dem kleinen Dorf Scheveningen. Dort lag am Meeresstrande das Häuschen, das Wilhelm von Nassau, der Statthalter von Holland, Karl II. als Wohnung eingeräumt hatte. D'Artagnan hatte davon gehört und überzeugte sich nun von der Wahrheit dieses Gerüchts, um zu wissen, wo er im Falle einer glücklichen Rückkehr den König fände. Er sah Karl II. aus seinem Häuschen herauskommen und an den Strand treten. Dort blickte der unglückliche Monarch lange und unbeweglich über das weite Meer hin, als suchten seine Augen den fernen Strand seiner Heimat. D'Artagnan in seiner Schiffertracht blieb unerkannt.

      8. Kapitel. General Monk

      Es ist bisher noch stets der Verlauf einer jeden Revolution gewesen, daß die bis zur Erreichung des hauptsächlichen Zwecks einigen bürgerlichen Parteien sich später entzweien. So war es bei der großen französischen Revolution, so war es auch schon bei jener englischen, durch die König Karl erst seinen Thron und dann den Kopf verlor. Nachdem der gewaltige Oliver Cromwell gestorben war, nachdem sein Sohn das Protektorat niedergelegt hatte, tat sich eine Menge von Mißvergnügten zusammen, denen die Beschlüsse des Parlaments nicht mehr behagten und die eine andere Regierungsform verlangten. An die Spitze dieser Elemente trat der General Lambert, während die Parlamentspartei den General Monk, einen geborenen Schotten, zum Oberhaupt erkor. Von vornherein war dessen Partei im Uebergewicht; man redete Lambert nach, er trachte danach, eine Militärrepublik zu gründen, mit sich selbst am Ruder; dagegen war man fest überzeugt, daß Monk, ohne jedes persönliche Nebeninteresse, nur auf die Stärkung des bürgerlichen Parlaments bedacht sei. Die Sympathien der Mehrzahl der Bevölkerung lagen daher auf Monks Seite. Die Verhältnisse hatten sich bis zur Feindseligkeit zwischen beiden Lagern zugespitzt, und Lambert und Monk standen ein jeder an der Spitze einer Armee bereit, sich in offenem Kampfe zu messen. Das war in der Gegend von Newcastle, und die alte Abtei dieses Namens lag gerade zwischen den Quartieren der feindlichen Heere.

      In Monks Lager herrschte Hungersnot. Der General saß eines Abends, gegen zehn Uhr, in seinem Zelt und kaute Tabak, um den knurrenden Magen zu beruhigen, da eilten mit Freudengeschrei mehrere Soldaten herbei, und ein Offizier trat, ohne sich melden zu lassen, ein und rief: »General! Sie werden heute zu Abend speisen.« – »Das habe ich bereits getan,« antwortete Monk gelassen. »Eben hielt ich mein Verdauungsstündchen. Was führt Euch her?« – »Wir haben eine Fischerbarke abgefangen, die mit einer Ladung Fische an den Strand geworfen wurde.« – »Daran tatet ihr nicht wohl, Kinder,« versetzte der General. »Ihr hättet den Fang Lamberts Leuten lassen sollen. Wenn sie heute abend nichts zu essen haben, werden sie keine Lust verspüren, sich morgen mit uns zu schlagen, wozu sie nach einem guten Abendessen sicher Mut gehabt hätten. Doch was sind das für Fischer?«

      »Sie kommen aus der Picardie.« – »Sprechen sie Englisch?« – »Der Kapitän versteht ein paar Brocken davon.« – »Führt sie her! Und – wie viele sind es? Was für ein Schiff haben sie?« – »Es sind ihrer elf. Ihr Fahrzeug ist eine Barke holländischen Typs.« – »Gut, ich will sie sehen.«

      Der Offizier führte den Kapitän der Fischer herein, einen Mann von etwa 55 Jahren, aber noch sehr rüstig und jugendlich. Unter der tief in die Stirn gezogenen Mütze blitzten ein paar pfiffige Augen. Er hatte den eigentümlich unsichern Gang der Seeleute an sich, die nur auf den schwankenden Brettern eines Schiffes fest aufzutreten vermögen. Monk musterte den Mann mit durchdringendem Blick. Der Fischer antwortete darauf mit einem dummdreisten Lächeln, wie es den französischen Bauern eigen ist.

      »Du sprichst Englisch?« fragte Monk. – »Sehr schlecht,« antwortete jener in südfranzösischem Akzent. »Wir Seeleute schnappen ja von allen Sprachen etwas auf.« – »Du scheinst mehr um Gascogne herum als in der Picardie zu Hause zu sein,« meinte Monk lächelnd. – »Von Geburt bin ich aus Südfrankreich,« war die Antwort, »aber seit langen Jahren fische ich in den nördlichen Gegenden. Habe heute einen guten Fang gemacht. Einen Stör von 30 Pfund, an die 100 Schleien und zahllose Weißfische.« – »Schön, den Fang kaufe ich dir ab. Aber warum bietest du ihn hier aus?« – »Herr, der Fischer stößt das Boot ins Meer, aber Himmel und Wind tun das Uebrige. Ich wollte nicht hier landen.«

      »Wenn du von dort drüben kommst,« fuhr Monk fort, mit einer Handbewegung nach der Richtung, wo jenseits der See die holländische Küste lag, »hast du da vielleicht etwas von Karl II. gehört, dem verstoßenen König von England?« – »Ei freilich, Mylord,« antwortete der Fischer mit täppischer Offenherzigkeit, »als wir nämlich bei Ostende nach Makrelen fischten, sahen wir aus einem am Strande gelegenen Häuschen einen Mann kommen, der zum Gestade schritt. Im Näherkommen erkannten wir in ihm Karl II. Er sah sehr traurig aus. Ich glaube, die Luft in Holland ist ihm nicht dienlich. Er guckte starr nach hier hinüber. Ich denke mir, er hat Heimweh – möchte halt gern wieder hier sein. Sie wissen ja, Wilhelm II. von Nassau, der Statthalter von Holland, wäre ihn auch am liebsten los. Er darf ihm wegen der Freundschaft mit England und Frankreich kaum noch Hilfe leisten.« – »Du scheinst in der Politik gut Bescheid zu wissen,« sagte Monk. – »Wir Seeleute beobachten doch täglich Wasser und Luft, die beiden veränderlichsten Dinge auf der Welt, und seitdem wir gelernt haben, in beidem trotz aller Unbeständigkeit mit Sicherheit zu lesen, irren wir uns auch in andern Dingen nur selten.«

      »Du hast also eine gute Ladung an Bord?« fragte der General. »Wie teuer verkaufst du sie?« – »Ich kann doch keinen Preis machen, Mylord, kraft dem Faustrecht gehören die Fische Ihnen.« – »Ich will kaufen und nicht rauben,« antwortete der Feldherr. »Ich zahle den üblichen Preis. Geh mit dem Offizier dort, er wird dir das Geld geben. Und höre noch eins! Wenn du zu deinem Schiffe zurückkehrst, so geh nicht durch das Moor. Dort stehen ein paar Posten von mir, die Euch anhalten würden. Wenn sie Euch nun das Geld nähmen, so würdest du bei dir zu Hause erzählen, General Monk hätte zwei Hände, eine schottische und eine englische, und mit der schottischen nähme er wieder zurück, was er mit der englischen gegeben.« – »Können Mylord mir einen Zimmermann mitgeben?« fragte der Fischer. »Ihre Soldaten haben mein Boot demoliert und wir haben nun zwei Schuh Wasser drin.« – »Das soll geschehen,« sprach Monk und wendete sich an seinen Adjutanten. »Digby, sorgen Sie dafür, daß der Mann mit seinen Leuten in der Nähe seines Boots


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