Zehn Jahre später. Jules Verne

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Zehn Jahre später - Jules Verne


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Leutnants auf, der mit unverhohlener Ironie in das Treiben blickte und oftmals mit einem fast spöttischen Lächeln nach dem König selbst hinblickte.

      »Fürwahr,« dachte d'Artagnan bei sich – denn er war dieser Franzose, »sie überschütten ihn mit Blumen. Wäre er zwei Monate eher gekommen, hätten sie ihn mit Bleikugeln überschüttet. Mich halten die Leute entschieden für etwas ganz Geringes. Für etwas Hohes halten sie nur den König, obwohl er zwölf Jahre verbannt war und fast das Leben eines Bettlers führen mußte. Allenfalls auch noch den General Monk, obgleich er die Reise nach dem Kontinent in einer Kiste gemacht hat.«

      Während er solchen Gedanken nachhing, faßte ihn jemand von hinten am Arm. »Athos!« rief er aus. »Sie hier! Warum sind Sie nicht beim Gefolge? Warum reiten Sie nicht an der linken Seite des Königs wie General Monk an der rechten. Sie haben ihm doch ebenso große Dienste geleistet.« – »Ich gehöre nicht zum Gefolge und stehe nicht im Dienste des Königs,« antwortete Athos. »Als Repräsentant Frankreichs aber mich neben ihm zu zeigen, bin ich nicht befugt. Doch mir scheint gar, die glückliche Rückkehr Karls II. stimmt Sie traurig, statt Sie zu erfreuen. Dabei haben Sie in dieser Sache doch ebensoviel getan wie ich.« – »Wahrhaftig?« versetzte d'Artagnan. »Nun, soviel ich sehe, denkt kein Mensch mehr daran. Sie haben vollständig recht, obwohl ich mich nicht gern selbst lobe. Aber wenn alle andern meine Verdienste immer wieder vergessen, so kann ich selbst sie schon einmal ins rechte Licht rücken. Wenn ich General Monk nicht nach Holland geschleppt hätte, würde der König keine Gelegenheit gehabt haben, sich großmütig gegen ihn zu zeigen, und durch diese Großmut allein hat er Monk bewogen, für ihn einzutreten. Das ist sonnenklar, aber ebenso klar ist es, daß ich nun wieder abreise und daß der arme Planchet mir fluchen wird, weil ich ihn um einen Teil seines Vermögens gebracht habe.«

      »Ei, was hat denn Planchet damit zu tun?« fragte Athos erstaunt. – »Lieber Freund, Monk bildet sich ein, den König zurückgerufen zu haben, Sie bilden sich ein, ihm die größte Hilfe geleistet zu haben, ich bilde mir ein, ebensosehr daran beteiligt gewesen zu sein, und er selbst bildet sich ein, durch geschickte Unterhandlung wieder auf den Thron gelangt zu sein – aber das alles ist nicht wahr. Die Wahrheit ist, der stolze König Karl II. ist durch einen ganz simpeln Tütchenkrämer namens Planchet wieder zu Ehren und Würden gelangt, denn wenn dieser Tütchenkrämer mir nicht 40 000 Livres zur Verfügung gestellt hätte, würde ich nie imstande gewesen sein, auf die Jagd nach dem General Monk zu ziehen.«

      »Lieber Freund, sind Sie denn nicht mehr Philosoph?« entgegnete Athos. »Freut es Sie denn nicht, mir das Leben gerettet zu haben, als die verteufelten Parlamentssoldaten mich bei lebendigem Leibe braten wollten?« – »Gestehen Sie nur, es wäre Ihnen nicht so unrecht geschehen,« antwortete der Chevalier. – »Wie? wo ich doch dem König die Million gerettet habe!« – »Was für eine Million?« – »Nun, das letzte Geld Karls I., das er mir in seiner Todesstunde anvertraute.« – »So hat Karl II. eine Million? Dann sind Sie wohl Schatzmeister des Königs?« – »Meiner Treu, nein! Uebrigens ist die Million schon längst alle, sie hat sich in Samt und Seide und allerlei andere schöne Sachen aufgelöst.« – »Nicht Schatzmeister?« fragte d'Artagnan, »und auch überhaupt nicht bei Hofe? Dann hat der König gewiß auch Sie schon wieder vergessen. Mich sollte es nicht wundern. Man ist's allmählich gewöhnt geworden.«

      »Er hat uns beide nicht vergessen, lieber Freund!« antwortete der Graf. »Und damit Sie über Ihre traurige Stimmung hinwegkommen, so begleiten Sie mich in mein Gasthaus. Wir trinken zusammen eine Flasche, gedenken der vergangenen Tage und richten einen heiteren Blick auf die Zukunft, die Ihnen wahrlich zu Unrecht so düster erscheint.« – D'Artagnan folgte ihm, und als er in Athos' Zimmer stand und sich umsah, rief er plötzlich: »Potzblitz! Das ist ja das Gasthaus ›Zum Hirschgeweih! ‹ Das ist ja dieselbe Stube –« – »Ja,« antwortete der Graf lächelnd, »das ist dieselbe Stelle, wo ich todmüde und verzweifelnd niedersank, als Sie am 31. Januar abends zurückkamen.« – »Nachdem ich die Wohnung des maskierten Henkers ausgekundschaftet hatte. Ja, das war ein entsetzlicher Tag!« Und der alte Haudegen sah sich mit Rührung in dem Gemach um, aber es hatte sich sehr verändert. Denn der ehemalige Wirt war reich geworden und hatte sich zur Ruhe gesetzt; der neue Besitzer hatte das Haus den Ansprüchen der Gegenwart entsprechend umgestalten lassen. Nur die alte Landkarte, die Porthos in seinen Mußestunden so gern studiert hatte, hing noch an der Wand. – »Elf Jahre sind seitdem verflossen!« murmelte d'Artagnan. »Mir ist's, als wäre es eine Ewigkeit!« – »Und mir ist's, als sei alles erst gestern gewesen,« antwortete Athos lachend. »Wie freue ich mich, daß Sie bei mir sind, und daß wir mal eine Flasche Sherry leeren können, ohne wie die Windhunde auf der Lauer liegen zu müssen. Ach, säße doch auch Rudolf, mein geliebter Rudolf, jetzt bei uns!«

      Während sie beim Glase saßen, trat der Wirt heran und überreichte Athos einen Brief. – »Von Parry!« sagte dieser. »Sehen Sie, d'Artagnan, der König denkt an uns.« – »Das würde höchstens beweisen, daß er an Sie denkt,« versetzte der Chevalier mißmutig. »Lesen Sie!« Athos öffnete das Schreiben; es lautete: »Herr Graf! – Der König hat es tief bedauert, daß Sie heute beim Einzuge nicht an seiner Seite waren. Er erwartet Sie heute abend zwischen neun und elf im Saint-James-Palast.« – »Sie haben schon immer mehr Glück gehabt als ich,« sagte d'Artagnan bitter. – »Aber, lieber Freund, ich nehme Sie selbstverständlich mit,« rief Athos. Ich werde dem König sagen –« – »Nein, nein,« unterbrach ihn der andere mit Stolz, »wenn es etwas Schlimmeres gibt, als selbst betteln, so ist es, durch andere betteln lassen.«

      In diesem Augenblick trat der Wirt abermals ein und überreichte einen zweiten Brief, der an d'Artagnan adressiert war und die Worte enthielt: »Herr Chevalier! Der König hat Sie heute in seinem Gefolge vermißt. Und ich ebenfalls. Majestät erwartet mich heute abend um neun im Saint-James-Palast. Ich fordere Sie auf, mich zu begleiten. Die Audienz ist bewilligt. Monk.«

      *

      Die beiden Freunde gingen zusammen zum Palast. Die Korridore waren von Höflingen und Bittstellern angefüllt. Alle Anwesenden musterten mit Erstaunen die fremden Gewänder der unbekannten Männer, deren edle, ausdrucksvolle Züge allgemein auffielen. Am Ende des Korridors entstand eine Bewegung. General Monk erschien in Begleitung von zwanzig Offizieren. Sofort war er von einer Schar von Höflingen umringt, die sich durch ihn den Weg zur königlichen Gunst zu bahnen gedachten.

      »Sie vergessen, meine Herren,« sagte er in der ihm eignen Derbheit, »ich bin nichts mehr. Vor kurzem noch befehligte ich die Armee der Republik, jetzt aber habe ich den Oberbefehl an den König abgetreten.«

      Nach einem Weilchen öffnete sich die Tür der Innengemächer, und Karl II. erschien auf der Schwelle und fragte nach dem General. Als er ihn erblickte, eilte er auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand. »General,« rief er laut, »ich habe eben das Diplom unterzeichnet, das Sie zum Herzog von Albemarle ernennt. Es ist mein Wille, daß in meinem Reiche keiner Ihnen an Macht und Reichtum gleichkomme; denn keiner, den edlen Montrose ausgenommen, ist Ihnen an Redlichkeit, Mut und Begabung gleich. Meine Herren, der Herzog von Albemarle ist Oberbefehlshaber unserer Land- und Seemacht. Sie haben ihm, meine Herren, Folge zu leisten.« – Während die Anwesenden sich tief verneigten, raunte d'Artagnan dem Grafen zu: »Sollte man es glauben, daß dieses Herzogtum und dieser Oberbefehl zu Wasser und zu Lande in einer sechs Fuß langen und drei Fuß breiten Kiste Platz gehabt hat?« – »Freund, es haben noch weit imposantere Größen in noch weit kleineren Kisten – und zwar für immer – Platz,« murmelte Athos.

      Der König schritt weiter, und Monk trat zu den beiden Franzosen. »Sie haben ja Audienz,« sagte er. »Treten Sie in dieses Kabinett.« – In diesem Augenblick sah der König sie und eilte herbei. »O, meine Franzosen!« rief er. »Nein, Monk, gleich in mein Arbeitszimmer! Ich habe jetzt Zeit für diese Herren.« – Er entließ sein Gefolge und trat mit den beiden Freunden ein. – »Herr Chevalier d'Artagnan,« begann er, »es freut mich, Sie wiederzusehen. Sie haben mir einen sehr wichtigen Dienst geleistet, und ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Wenn ich nicht fürchtete, die Befugnisse meines Oberbefehlshabers zu beeinträchtigen, so würde ich Ihnen in meiner Umgebung einen Ihrer würdigen Posten verleihen.« – »Majestät,« antwortete d'Artagnan, »als ich aus französischen Diensten schied, habe ich gelobt, nie einem andern König zu dienen.« – »Schade,« sagte der König.


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