Die Frau und der Sozialismus. August Bebel

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Die Frau und der Sozialismus - August Bebel


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      Die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer solchen Umgestaltung hat nicht nur immer weitere Kreise der proletarischen Frauenwelt ergriffen, auch die bürgerliche Frauenbewegung ist in ihren Bestrebungen immer weiter getrieben worden und stellt Forderungen, die früher nur die vorgeschrittensten Elemente zu stellen wagten. Die Frauenbewegung hat in fast allen Kulturländern von Jahr zu Jahr immer mehr Boden gefaßt, und wenn in dieser Bewegung auch noch viel Unklares und Halbes zu finden ist, diese Unzulänglichkeit bleibt den in ihr tätigen Elementen auf die Dauer nicht verborgen; sie werden weiter getrieben, sie mögen wollen oder nicht.

      Ein ganz besonderes Merkzeichen von dem Fortschritt der Bewegung ist die gewaltig angeschwollene Literatur über die Frauenfrage, die genau zu verfolgen die Kräfte eines einzelnen übersteigt. Wohl hält auch hier nur selten die Qualität mit der Quantität Schritt, aber sie ist ein Zeichen der geistigen Regsamkeit und schließlich ist auf anderen Gebieten geistiger Tätigkeit dieser Unterschied nicht minder groß. Die Hauptsache ist, die Bewegung marschiert und was etwa die Einsicht der einzelnen versieht, verbessert der Instinkt der Masse, die, einmal in Bewegung gebracht, ihren Weg nicht verfehlt.

      Berlin-Schöneberg, den 15. November 1902

      A. Bebel

      Zur fünfzigsten Auflage

      Im Beginn dieses Jahres waren drei Jahrzehnte verflossen, seitdem die erste Auflage dieses Buches erschien. Wie ich schon in der Vorrede zur neunten Auflage ausführte, erschien es unter exzeptionellen Verhältnissen. Wenige Monate zuvor war das Sozialistengesetz verkündet worden, auf Grund dessen alle sozialistische Literatur unterdrückt wurde. Wagte alsdann jemand dennoch die Verbreitung einer verbotenen Schrift oder gab er eine solche aufs neue heraus und wurde dabei ertappt, so war Gefängnis bis zu sechs Monaten sein Lohn. Dennoch wurde beides gewagt.

      Die erste Auflage wurde in Leipzig hergestellt, aber sie erschien unter falscher Flagge. Als Verlag war Zürich-Hottingen, Verlag der Volksbuchhandlung, angegeben, woselbst auch der in Deutschland verbotene »Sozialdemokrat« herausgegeben wurde. Mit der zweiten Auflage haperte es; ich konnte sie erst 1883 erscheinen lassen, weil persönliche Hindernisse mir dieses früher nicht ermöglichten. Die zweite Auflage erschien im Verlagsmagazin Zürich. Von jetzt ab bis zum Jahre 1890 folgten weitere sechs Auflagen, jede 2.500 Exemplare stark. Die Hindernisse, die der Verbreitung des Buches entgegenstanden, wurden überwunden. Ab und zu fiel allerdings eine Sendung der Polizei in die Hände und wurden Exemplare bei Haussuchungen konfisziert. Aber diese Bücher gingen nicht verloren, sie kamen nur, allerdings unentgeltlich, in andere Hände und wurden von den Polizeibeamten, ihren Angehörigen und Freunden vielleicht mit noch größerem Eifer gelesen als von meinen Parteigenossen.

      Als endlich 1890 das Sozialistengesetz fiel, nahm ich eine gänzliche Umarbeitung und bedeutende Erweiterung des Buches vor, das als neunte Auflage im Jahre 1891 in dem jetzigen Verlag erschienen ist. Die fünfzigste Auflage, die nunmehr vorliegt, enthält eine erhebliche Erneuerung des Inhalts. Auch ist der Inhalt übersichtlicher geworden durch eine Vermehrung der Kapitel und die Einteilung derselben in Unterabteilungen.

      Das Buch ist bisher in vierzehn verschiedenen Sprachen erschienen, in mehreren Ländern in erneuten Auflagen, zum Beispiel in Italien und den Vereinigten Staaten. Durch die Übersetzung ins Serbische erscheint es nunmehr in fünfzehn verschiedenen Sprachen.

      Das Buch hat also seinen Weg gemacht, und ich darf ohne Überhebung sagen: es hat bahnbrechend gewirkt. Nicht zuletzt haben seine Gegner wider Willen für seine Verbreitung gesorgt.

      Aber es hat auch verschiedentlich Anerkennung gefunden! In seinem Werke »Die sexuelle Frage«nennt es Professor August Forel »ein wichtiges und merkwürdiges Buch«, das man mit den Vorbehalten, die er machte, »als eine bedeutende und vortreffliche Leistung bezeichnen, der man in der Hauptsache unbedingt zustimmen müsse«. Und an einer anderen Stelle sagt er, daß, obgleich er sich gegen eine Reihe Punkte wende, in denen ich nach seiner Ansicht unrecht hätte, »er meinem Buche als einer bedeutenden Leistung hohe Anerkennung zolle«.

      Dieses Urteil bezieht sich auf die zweite Auflage aus dem Jahre 1883. Professor Forel scheint die späteren, wesentlich veränderten und erweiterten Auflagen nicht zu kennen. Aus diesem Grunde muß ich es auch unterlassen, auf die Kritik einzugehen, die er an der Auflage von 1883 übte.

      Und ein englischer Autor, G. S. Howard, urteilt in seinem Werke »A History of matrimonial institution«: »In seinem vorzüglichen Buche über ›Die Frau und der Sozialismus‹ richtet August Bebel eine wuchtige Anklage gegen die heutigen Eheverhältnisse.« Er gibt dann eine kurze Übersicht des Inhalts und schließt: »Wie man auch von dem Heilmittel denken mag, das die sozialistischen Schriftsteller vorschlagen, wie fraglich es uns auch scheinen mag, daß unsere einzige Hoffnung auf der Begründung einer kooperativen Republik beruhen soll, das eine ist sicher: die Sozialisten haben der Gesellschaft einen wertvollen Dienst geleistet, indem sie die Tatsachen ehrlich studiert und furchtlos dargelegt haben. Schonungslos haben sie die Gebrechen bloßgelegt, an denen unsere Familie im heutigen Staate krankt. Sie haben klar bewiesen, daß das Problem der Ehe und der Familie nur im Zusammenhang mit dem heutigen ökonomischen System gelöst werden kann. Sie haben dargetan, daß nur durch die vollkommene Befreiung der Frau und die absolute Gleichstellung der Geschlechter in der Ehe ein Fortschritt möglich sei. Durch alles dieses haben sie es erreicht, daß heute schon die Allgemeinheit ein weit höheres Ideal vom ehelichen Leben sich gebildet hat.«

      Die Frauenbewegung – und zwar die bürgerliche wie die proletarische – hat in den dreißig Jahren, seitdem mein Buch erschien, viel erreicht, und zwar in allen Kulturländern der Erde. Es dürfte kaum eine zweite Bewegung geben, die in so kurzer Zeit so günstige Resultate erzielte. Die Anerkennung der politischen und bürgerlichen Gleichberechtigung der Frau und die Zulassung der Frauen zum Studium auf den Hochschulen und der Zutritt zu ihr früher verschlossenen Berufen hat große Fortschritte gemacht. Selbst Parteien, die früher von ihrem prinzipiellen Standpunkt aus sich der modernen Frauenbewegung entgegenstellten, wie das katholische Zentrum und die evangelischen Christlichsozialen, haben es für nötig erachtet, aus ihrer hemmenden Stellung eine fördernde zu machen. Aus dem einfachen Grunde, um nicht ihren Einfluß auf die ihnen zugängigen Frauenkreise gänzlich zu verlieren.

      Fragt man aber: Wie erklärt sich dieses Phänomen? So lautet die Antwort. Die große soziale und ökonomische Umwälzung in allen unseren Verhältnissen hat dieses herbeigeführt. Hat man, wie zum Beispiel ein ehemaliger vermögensloser preußischer Kultusminister, sieben Töchter in annehmbare Lebensstellungen zu bringen, so wird einem durch die harten Tatsachen Logik und Einsicht eingepaukt. Und wie jenem ergeht es Unzähligen in unseren sogenannten höheren Gesellschaftskreisen, auch wenn es nicht gerade sieben Töchter sind, die eine entsprechende Lebensstellung gewinnen müssen.

      Daß die Agitation der führenden Frauen ihr gutes Teil zu dieser Entwicklung beigetragen hat, versteht sich von selbst. Ihre Erfolge waren aber nur möglich, weil unsere gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung ihnen in die Hände arbeitete, genau wie der Sozialdemokratie. Selbst Engelszungen haben nur Erfolg, wenn der Resonanzboden für das, was sie predigen, vorhanden ist. Und kein Zweifel, dieser Resonanzboden wird immer günstiger, und das sichert weitere Erfolge. Wir leben bereits mitten in der sozialen Revolution, aber die meisten merken es nicht. Die törichten Jungfrauen sind noch nicht ausgestorben.

      Schließlich muß ich an dieser Stelle meinem Parteigenossen N. Rjasanoff meinen wärmsten Dank aussprechen für die umfassende Hilfe, die er mir bei Bearbeitung der fünfzigsten Auflage gewährte. Er hat den Hauptteil der Arbeit geleistet. Ohne seine Hilfe wäre es mir unmöglich gewesen, schon jetzt das Buch in wesentlich verbesserter Form erscheinen zu lassen, denn Krankheit verminderte in den letzten zwei Jahren meine Leistungsfähigkeit sehr bedeutend, außerdem nahm noch eine andere größere Arbeit meine Zeit und Kraft in Anspruch.

      Schöneberg-Berlin, den 31. Oktober 1909 A. Bebel

      Einleitung

      Wir leben im Zeitalter einer großen sozialen Umwälzung, die mit jedem Tage weitere Fortschritte macht. Eine stets stärker werdende Bewegung und Unruhe der Geister


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