Ben Hur. Lewis Wallace
Читать онлайн книгу.»denn sie saßen unter einem seidenen Gezelte. Die Schnallen ihrer Sättel waren von Gold, desgleichen die Borten ihrer Zäume, die Schellen waren aus Silber und gaben liebliche Musik. Niemand kannte sie; sie sahen aus, wie wenn sie von den Grenzen der Erde gekommen wären. Nur einer führte das Wort, und an alle, denen sie begegneten, selbst an die Frauen und Kinder, richtete er die Frage: Wo ist der neugeborne König der Juden? – Niemand gab ihnen Antwort, niemand begriff, was sie meinten; und so zogen sie weiter mit der Erklärung: Wir haben seinen Stern im Morgenlande gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten. Sie legten diese Frage auch dem Römer am Tore vor, und dieser, ebenso unwissend wie das einfache Volk am Wege, sandte sie zu Herodes.«
»Wo sind sie jetzt?« »In der Herberge. Hunderte sind hingegangen, sie zu sehen, Hunderte gehn noch immer hin.«
»Wen meinen sie mit dem König der Juden?«
»Den Messias, der soeben geboren sei.«
Eine von den Frauen lachte und ging wieder an die Arbeit, indem sie sprach:
»Nun, wenn ich ihn sehe, will ich glauben.«
Eine andere folgte ihrem Beispiel:
»Und ich, – nur wenn ich ihn die Toten auferwecken sehe, will ich glauben.«
Eine dritte sagte ruhig:
»Er ist vor langer Zeit verheißen worden. Mir soll es genug sein, wenn ich ihn nur einen einzigen Aussätzigen heilen sehe.«
So saßen sie und plauderten, bis die Nacht einbrach und mit ihrer Kühle sie zwang, nach Hause zu gehen.
Fünftes Kapitel
Am selben Abend, ungefähr zu Beginn der ersten Nachtwache, fand im Palast auf dem Berge Zion eine Versammlung von ungefähr fünfzig Männern statt, die immer nur auf Befehl des Herodes abgehalten wurde, und zwar nur dann, wenn er über die eine oder andere schwierige Frage aus dem jüdischen Rechte oder der jüdischen Geschichte Auskunft begehrte. Es war eine Zusammenkunft der Gesetzeslehrer, der Hohenpriester und der durch Gelehrsamkeit ausgezeichneten Männer, der Führer der öffentlichen Meinung und der verschiedenen religiösen Anschauungen. Darunter befanden sich die Häupter der Sadduzäer, Pharisäer und Essäer.
Das Gemach, in dem die Sitzung stattfand, lag in einem der inneren Hofräume des Palastes und war sehr geräumig. Der Fußboden war mit Marmorplatten ausgelegt, die fensterlosen Wände schmückten Freskogemälde in safrangelben Feldern. In der Mitte des Saales befand sich ein mit hellgelben Kissen bedeckter Diwan in Hufeisenform mit der Öffnung dem Eingange zu, an der Krümmung des Diwans stand ein großer dreifüßiger Sessel, der seltsam mit Gold und Silber ausgelegt war. Über ihm hing von der Decke ein Kronleuchter mit sieben Armen herab, deren jeder eine brennende Lampe hielt.
Die Männer saßen nach Art der Morgenländer auf dem Diwan, ihre Kleidung hatte gleichen Schnitt, aber verschiedene Farben. Sie standen größtenteils in vorgerücktem Alter, lange Bärte umwallten ihre Gesichter. Die langen, gekrümmten Nasen und die großen, schwarzen Augen, die von dichten Brauen überschattet waren, verliehen ihnen ein eigenartiges Aussehen; ihr Benehmen war ernst, würdevoll, sozusagen patriarchalisch.
Am obersten Ende saß der Vorsitzende, eine ungewöhnliche, seltsame Erscheinung. Sein von Natur großer und starker Körper war schon gebeugt und wie zu einem Skelett zusammengeschrumpft; ein weißes Kleid hing in losen Falten von den Schultern herab. Die Hände, die von seidenen, rot und weiß gestreiften Ärmeln halb verdeckt waren, hielt er gefaltet auf dem Knie. Sein Haupt war kahl und nur von wenigen silberweißen Haaren umsäumt; den unteren Teil des Gesichtes bedeckte ein lang herabwallender Bart, der ihm ein ehrwürdiges Aussehen gab. Das war Hillel, der Babylonier. In einem Alter von hundertundsechs Jahren war er noch Vorsitzender des Hohen Rates.
Auf dem Tische vor ihm lag ausgebreitet eine Pergamentrolle, die mit hebräischen Schriftzeichen beschrieben war, hinter ihm stand in abwartender Haltung ein reichgekleideter Knabe. Diesen rief er vor.
»Geh und melde dem König, daß wir bereit sind, ihm Antwort zu geben.«
Der Knabe eilte hinweg.
Nach einer Weile traten zwei Soldaten ein und stellten sich rechts und links von der Tür auf. Ihnen folgte langsam eine auffallende Persönlichkeit, ein Greis in einem Purpurgewande, das mit Scharlach verbrämt war. Eine Binde aus fein getriebenem Golde, die schmiegsam war wie Leder, umgürtete den Leib, seine Schuhe funkelten von Edelsteinen, ein schmaler Kronreif aus Filigran schimmerte an seinem Haupte, das in einen auf die Schulter herabfallenden Tarbusch aus feinstem roten Samt gehüllt war. Anstatt eines Siegels hing ein Dolch an seinem Gürtel. Er hinkte im Gehen und stützte sich auf einen Stab. Ohne aufzublicken, trat er bis zum Diwan vor. Als ob er eben erst die Versammelten bemerkt hätte, richtete er sich nun auf und blickte stolz um sich, so finster, argwöhnisch, drohend war der Blick, den er auf die Anwesenden warf, daß man hätte meinen können, er suche einen Feind.
Es war Herodes der Große. Gebrochen am Leibe durch Krankheiten, belastet mit schweren Verbrechen, ausgestattet mit herrlichen Geistesgaben –ein würdiger Genosse der Cäsaren –, behauptete er noch jetzt in seinem siebenundsechzigsten Jahre seinen Thron mit wachsamer Eifersucht, despotischer Macht und unerbittlicher Grausamkeit.
Eine allgemeine Bewegung ging durch die Versammelten; die älteren beugten sich zum Gruße vor. Andere, die Hofgunst mehr zu schätzen wußten, erhoben sich von ihren Sitzen, beugten das Knie und legten die Hände an den Bart oder auf die Brust. Nachdem Herodes Umschau gehalten hatte, schritt er bis zum Dreifuß gegenüber dem ehrwürdigen Hillel, der seinem kalten Blicke mit einer Verneigung des Hauptes und einer leichten Erhebung der Hände begegnete.
»Die Antwort!« sagte der König in gebieterischer Kürze, zu Hillel gewandt, und stützte sich dann mit beiden Händen auf den Stab. – »Die Antwort!«
Die Augen des ehrwürdigen Greises leuchteten in mildem Lichte. Er erhob sein Haupt, blickte dem König voll ins Gesicht und antwortete unter gespannter Aufmerksamkeit der Anwesenden: »Der Friede des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs sei mit dir, o König!« Seine Worte klangen feierlich wie ein Gebet; dann fuhr er in gewöhnlichem Tone fort: »Du hast von uns zu wissen verlangt, wo der Messias geboren werden, sollte.«
Der König nickte, während sein finsterer Blick fest auf Hillel gerichtet war.
»Nun denn, o König! In meinem Namen und im Namen meiner Brüder hier, die mit mir gleicher Meinung sind, sage ich dir: zu Bethlehem in Judäa.«
Hillel blickte aus die Pergamentrolle, die auf dem Dreifuße lag, zeigte mit zitterndem Finger auf eine Stelle hin und las: »Und du, Bethlehem im Lande Judäa, bist keineswegs die geringste unter den Fürstenstädten Judas; denn aus dir wird hervorgehn der Fürst, der mein Volk Israel regieren soll.«
Herodes war betroffen, nachdenklich ruhte sein Blick auf dem Pergament. Die Anwesenden wagten kaum zu atmen; sie schwiegen wie Herodes. Endlich wandte er sich um und verließ den Saal.
»Brüder,« sagte Hillel, »wir sind entlassen.«
Die Versammelten erhoben sich und gingen gruppenweise fort.
»Simeon!« sprach Hillel wieder.
Ein Mann im Alter von etwa fünfzig Jahren, aber in voller körperlicher Frische, antwortete auf den Ruf und trat zu Hillel.
»Nimm das heilige Pergament, mein Sohn, und rolle es mit gebührender Sorgfalt zusammen!«
Der Befehl wurde vollzogen.
»Nun reiche mir deinen Arm und führe mich zur Sänfte!«
So verließen der berühmte Lehrer und sein Sohn Simeon, welcher der Erbe seiner Weisheit, Gelehrsamkeit und seines Amtes sein sollte, den Sitzungssaal des Hohen Rates.
Am selben Abend, aber noch etwas später, legten sich die drei Weisen in einer Kammer der Herberge zur Ruhe nieder. Die Steine, welche ihnen als Kopfkissen dienten, gaben ihnen eine so hohe Lage, daß sie durch den offenen Eingang das Firmament erblicken konnten; und wie sie die blinkenden Sterne betrachteten, dachten sie daran, wann ihnen die