Ein moderner Lederstrumpf. Robert Kraft

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Ein moderner Lederstrumpf - Robert Kraft


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erzählen könne; in den Knochenhandgriffen waren ganz deutlich die Fingerabdrücke zu erkennen, und da waren einige Reparaturen vorgenommen und in einer Weise ausgeführt worden, welche einen Fahrradschlosser oder auch einen knotenkundigen Matrosen über die technische Geschicklichkeit dieses Sportsmans nachdenklich machen musste.

      Lady Judith maass den zurückgelegten Weg aus. Von London mit dem Schiffe nach New-York, quer durch Amerika nach San Francisco, wieder mit dem Dampfer über Singapore nach Calcutta, und nun die grosse Landtour Nagpore, Bombay, nordwärts die Küste entlang über Hyderabad am Indus, durch Beludschistan, durch Persien über Kerman und Ispahan, weiter über Bagdad, Aleppo, Constantinopel, Belgrad, Wien, Frankfurt a. M., Antwerpen zurück nach London.

      »Das sind,« sagte jetzt Lady Judith, »rund 8500 Meilen, welche er per Rad zurückgelegt hat, und ich kann ja nur die Luftlinie von Stadt zu Stadt messen; was mag da Alles noch dazukommen. Eine ganz erstaunliche Leistung!«

      »Wie viel Meilen kommen da durchschnittlich auf den Tag?« Jene nahm statt des Cirkels den Bleistift zur Hand. »Da ist zunächst die Seefahrtszeit abzurechnen. Die Reise von San Francisco nach Calcutta wird allein vier bis fünf Wochen in Anspruch nehmen — ich will, um eine runde Zahl zu bekommen, auch die Wartezeit bedenkend, 62 Tage abziehen. 8500 Meilen dividirt durch 450. Sagen wir: 19 Meilen den Tag.«

      »Nicht mehr?!« erklang es verächtlich vom Schaukelstuhle her. »Da sehen Sie, wie man sich von grossen Zahlen täuschen lässt. 19 Meilen den Tag! Das ist ja ein Kinderspiel.«

      »Na, na, liebe Ellen, machen Sie das einmal nach. Und dann müssen Sie doch auch die Verhältnisse bedenken. Man fährt nicht in der Luft, sondern auf krummen Wegen, und was für Wege mögen dies manchmal sein.«

      »Immerhin, dies verdient wirklich keine Bewunderung. 8500 durch 30 macht ungefähr 280 — sagen wir 32 Meilen pro Tag — jawohl, ich will die ganze Geschichte in 300 Tagen machen.«

      Die längere Pause entstand dadurch, dass Lady Judith ein silbernes Etui aus der Tasche zog, ihm eine Cigarette entnahm, diese bedächtig anbrannte und erst einige Rauchwölkchen durch die kleine, gebogene Nase blies.

      »Sie?« lachte sie dann spöttisch, und merkwürdig war es, dass sie erst so spät lachte. »Verzeihen, Sie, Miss Howard — aber wirklich — ich stellte Sie mir nämlich vor, wie Sie durch Indien radeln, jeden Tag 32 Meilen. Ich war schon in Indien. Nein, liebe Ellen, das könnten Sie nicht fertigbringen.«

      »Ich spreche ja gar nicht von mir,« rief Ellen gereizt, hustend und mit dem Taschentuche wedelnd. »Aber glauben Sie denn, ich könnte nicht 32 Meilen den Tag fahren?«

      »Jawohl, auf der Landstrasse von London nach Oxford, den Wind im Rücken, und hinterher ruhen Sie sich drei Tage lang aus,« spottete die Cigarettenraucherin weiter.

      »Oho, ich bin von hier nach Edinburg in 7 Tagen gefahren, das sind ungefähr 40 Meilen am Tage, und ich war nicht im geringsten ermüdet. — Bitte, Judith, blasen Sie den Qualm doch nach der anderen Seite.«

      »Aber das war immer nicht in Indien, dort dürfte Cigarettenrauch das kleinste Uebel sein. Nein, meine Liebe, geben Sie sich doch keinen Illusionen hin. In 300 Tagen können Sie diese Strecke, zu welcher jener Mann 512 Tage gebraucht hat, nicht machen. Ich habe ihn gesehen, er ist übrigens ein Deutscher, »stout« ist auf deutsch »stark«, Curt Starke heisst er, und der sieht gar nicht aus, als ob er sich mit Kinderspielereien abgebe.«

      »Wie der aussieht, ist mir ganz gleichgültig, und ich behaupte: ich könnte dieselbe Tour in 300 Tagen zurücklegen. Ueberlegen Sie sich doch die Sache, Judith. Auch Sie lassen sich wiederum von Zahlen täuschen. 32 Meilen den Tag, was ist denn das!! Wie der Weg auch beschaffen ist, vier Meilen in der Stunde mache ich doch, das ist nur wenig schneller als ein Fussgänger, ich trete also jeden Tag meine acht Stunden ab, in aller Ruhe, suche mir dazu die beste und kühlste Tageszeit aus, dann kann ich ja wieder 16 Stunden Pause machen und wenn ich auch einmal viele Tage lang das Rad schieben muss, so hole ich die verlorene Zeit auf gutem Wege wieder ein. In 300 Tagen mache ich es bequem.«

      »Ja, mit dem Munde.«

      Mit einem Ruck blieb der Schaukelstuhl plötzlich stehen.

      »Bitte, Mylady, erinnern Sie sich gefälligst, dass Sie nicht mit Ihrer Kammerjungfer sprechen, welche derartige Ausdrücke von Ihnen gewöhnt sein mag — ich bin's nicht!«

      Wie sich die beiden Freundinnen hassten! Natürlich stand »Er« zwischen ihnen.

      Lady Judith wandte ihr den Rücken zu und hob die vollen Schultern.

      »Dann sprechen Sie doch nicht so, meine Liebe. Oder beweisen Sie es doch, machen Sie es uns vor. Sie können es nicht.«

      »Was kann ich nicht? Was gilt die Wette? 10 000 Pfund?«

      Mit hochrothem Gesicht hatte es Ellen gerufen, unüberlegt, es war ja auch nur eine Frage gewesen.

      Blitzschnell drehte sich Judith um. In diesem Augenblicke kam eine Schaar Damen aus dem Nebenzimmer in die Bibliothek, sie hatten die ethnographischen Sachen gemustert, welche ein sich in China aufhaltendes Mitglied dem Club geschickt hatte.

      »Meine Damen, soeben hat Miss Howard mit mir gewettet, denselben Weg, den Mr. Stout um die Erde genommen hat, in 300 Tagen auf dem Rade zurückzulegen!«

      Rufe der Ueberraschung wurden laut; man umdrängte die aufgestandene Ellen, und nur Wenige waren darunter, welche sie bestürmten oder mit ruhigen Worten baten, doch von solch' einem Unternehmen, dessen Gefährlichkeit sie wohl gar nicht ermesse, abzustehen; das könne doch nicht ihr Ernst gewesen sein. Die Meisten waren vielmehr gleich Feuer und Flamme, die Eine fragte schon, ob sie da Rock oder Hose trüge, eine Andere erbat sich aus jeder Stadt eine Ansichtspostkarte und aus dem Ganges ein lebendes Krokodil, das wenigstens einen Menschen gefressen hatte.

      Eine ältere, hagere Dame, eine von jenen, welche den Schwur der Ledigkeit abgelegt hatte, nahm die Sache sofort mit englischer Wichtigkeit in die Hand.

      »Zu welchen Bedingungen. Die Seefahrtszeit mit in die 300 Tage gerechnet? Gut. Allein oder in Begleitung?«

      »Allein, natürlich allein.''

      Wieder hatte es Ellen ohne jede Ueberlegung gesagt. Dieses Drängen, dieses Fragen verwirrte sie immer mehr.

      »Sie, Miss Howard, behaupten, Sie können es in 300 Tagen leisten? Sie, Lady Barrilon, behaupten, Miss Howard kann es nicht? Allright, das ist eins zu eins. Um was geht die Wette?«

      »Um 10 000 Pfund. Eins gegen eins.«

      Diesmal aber hatte es Ellen mit Ueberlegung gerufen, und sie sah, wie die Gegnerin die Lippen zusammenpresste.

      Genau so viel betrug das Vermögen der jungen Wittwe, und hätte es Sir Barrilon nicht in zwölfprocentigen Gwalioractien angelegt gehabt, sie hätte nicht in diesem Club verkehren, nicht einmal standesgemäss in London leben können. Für Miss Howard dagegen, deren Vater bei Lebzeiten den Pelzmarkt beherrscht hatte, bedeuteten 10 000 Pfund kaum eine jährliche Rente. Und schliesslich war es doch der gleiche Einsatz: hier Leben und Gesundheit, dort das Vermögen.

      Es war auch nichts mehr zurückzunehmen, dafür sorgten die begeisterten Damen, welche schon Wetten unter sich auf die Beiden abschlossen.

      Die Hauptwette wurde in schriftliche Worte gekleidet, der Weg in grossen Strichen markirt, und das, worauf es ankam, detaillirt. Es war ja ganz einfach. Ausser Schiff und Boot, um über Wasser zu kommen, durfte nur ein durch die Füsse in Bewegung gesetztes Zweirad benutzt werden. Schieben und tragen konnte sie es natürlich, so viel wie sie Lust hatte. In 300 Tagen, von der Abfahrt von London gerechnet, musste sie wieder englischen Boden betreten. Ausserdem allein, also ohne jede Begleitung.

      »Halt, hiergegen muss ich mich verwahren,« fiel Ellen ein. »Ich verpflichte mich, keinen Führer zu engagiren, keine Begleitung zu erbitten, aber ich kann Niemandem verbieten, neben mir zu fahren, und sei es wochenlang, und wenn ich Jemand nach dem Wege frage, und er geht, fährt oder reitet mir aus Höflichkeit voraus, so kann ich ihn nicht zurückweisen. Auch muss ich gegen das Verbot der Benutzung eines Wagens


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