Phänomenologischer Materialismus. Anton Reutlinger

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Phänomenologischer Materialismus - Anton Reutlinger


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werden, denn beide sind voneinander unabhängig. Determiniertheit bedeutet, dass eine Ursache eine oder mehrere eindeutige Wirkungen hat, d.h. jede einzelne Wirkung muss eindeutig sein. Notwendigkeit bedeutet, dass eine Wirkung immer dann eintritt, wenn die Ursache dafür gegeben ist. Sie ist integraler Teil jeder erklärenden Theorie und jedes Naturgesetzes.

      Die Sinneseindrücke und Erfahrungen in der Urzeit des Menschen haben sich als Vorstellungen, Denkgesetze und Sprache kristallisiert und wurden immer wieder an nachfolgende Generationen weitergegeben. Die Welt und die Natur wurde als Gegenstände und Bewegungen, als Raum und Zeit, als Gleichartigkeiten, Ähnlichkeiten und Unterschiedlichkeiten erfahren und erkannt. Es sind ursprüngliche Annahmen und regelhafte Denkprozesse zur Ordnung der chaotischen Lebenswelt, ohne die ein Leben in unterschiedlichen und vielfältigen Umwelten, als Bedingung einer globalen Verbreitung, nicht möglich wäre. Es sind die Grundlagen aller Naturerkenntnis und Naturwissenschaft von heute. Die Vielheiten der Gegenstände werden zu Kategorien oder zu Mengen verallgemeinert, Unterschiedlichkeiten werden angenähert oder weggelassen zu Abstraktionen, Relationen von vorher und nachher werden zur Kausalität, Gleichzeitigkeit oder Nebeneinander wird zu Koinzidenzen und Korrelationen, Zusammenhalt wird zu Aggregationen. Es ist das von der Gemeinschaft überkommene Wissen a priori, eine „tacit knowledge“ oder „stilles Wissen“ in der Bezeichnung des Wissenschaftsphilosophen Michael Polanyi (1891-1976), das jede eigene Erkenntnis und jede Wissenschaft erst möglich macht.

      Die selbstständige Bewegung von Gegenständen oder Körpern ohne menschliches Zutun wird unter anderem mit der Existenz der Schwerkraft als Ursache begründet. Umgekehrt wird die Existenz der Schwerkraft mit der Evidenz ihrer Wirkungen begründet. Das ist offensichtlich eine zirkuläre oder rekursive Begründung von Naturwissenschaft. Schon der Begriff der Natur selber kann nur zirkulär oder tautologisch definiert werden, denn Natur kann nur sein, was den Erkenntnisvermögen des Menschen als Naturwissenschaft zugänglich ist, das was im engeren Sinn also als Natur schon erkannt ist. Das Erkennen und Bezeichnen von Gegenständen als solche beruht bereits auf bestimmten regelmäßigen Sinneseindrücken, Erfahrungen und daraus folgenden Annahmen über die Natur. Die Schwerkraft ist ein gedankliches und sprachliches Konzept und Modell zur Erklärung verschiedener Phänomene wie das Fallen und Stürzen von Gegenständen, das Fließen des Wassers aus den Bergen ins Meer, das Gewicht von Körpern und Gegenständen. Es gibt keine wahrnehmbare, räumliche Existenz der Schwerkraft selbst, sondern nur ihrer Wirkung. Woher die Schwerkraft - allgemeiner die Natur - letztlich kommt, ist nicht bekannt und empirisch nicht erkennbar. Am CERN in Genf versucht man ihr auf die Spur zu kommen, indem im LHC, der größten Maschine der Welt, die kleinsten Teilchen der Welt untersucht werden. Falls dort die Fundamente der Schwerkraft gefunden werden, speziell das sogenannte Higgs-Boson, dann stellt sich sofort wiederum die Frage nach der Herkunft ihrer Fundamente, ad infinitum. Der Sprachphilosoph A.B.Johnson (1786-1867) schrieb dazu:

       "Das Wort Schwerkraft benennt viele interessante und wichtige Phänomene; aber wenn wir zusätzlich zu diesen nach der Schwerkraft an sich Ausschau halten, handeln wir ebenso ahnungslos wie das Kind, das, nachdem es in der Oper mit Ungeduld dem Orchester und den Gesängen zugehört und den Tänzen zugeschaut hatte, den Ausspruch tat: Jetzt hab ich genug davon, jetzt soll die Oper kommen."

      Aus erkenntnistheoretischen Gründen gibt es zur Zirkularität der Naturwissenschaft keine Alternative und keine Möglichkeit des Entkommens. Im Geist des Menschen interpretiert die Natur sich selbst. Diese Zirkularität kommt bereits in der wechselseitigen Beziehung von Erscheinung und Wahrnehmung zum Ausdruck. Selbst manche Naturwissenschaftler sind sich dessen nicht bewusst oder leugnen es sogar. Aus der Zirkularität folgt zwingend die Theoriebeladenheit naturwissenschaftlicher Beobachtung und Erfahrung, denn wenn nicht die Natur das Fundament und den Maßstab für Naturwissenschaft liefern kann, dann muss es der Mensch selber sein. Vorhersagen über die Natur werden aus menschgemachten Theorien abgeleitet und anhand menschlicher Wahrnehmungen geprüft. Schon in der Erfahrung steckt die Rekursivität, indem die Erfahrung als Erkennen von Handlungsfolgen und somit als Erkennen von Kausalität eine Grundlage künftigen Handelns bildet. Theorien werden mit Hilfe von Messinstrumenten geprüft und bestätigt und die Messinstrumente werden auf der Basis von Theorien konstruiert. Die ersten Maßeinheiten waren die menschlichen Körpermaße, die ersten Messinstrumente der Körper selber. Das Urkilogramm als Norm für die Bestimmung materieller Masse ist nicht in der Natur, sondern seit 1889 in einem Gebäude in Paris zu finden und wie es scheint, muss es hin und wieder korrigiert und neueren Messungen angepasst werden. Zudem können wir nie wissen, inwieweit wir die Welt vollständig wahrnehmen können, ob es nicht Dinge oder Eigenschaften von Dingen gibt, die nicht wahrnehmbar sind. Wir wissen aus Vergleichen mit der Tierwelt, dass unsere Sinne sehr begrenzt und unvollständig sind. Das darf andererseits wiederum kein Grund sein, willkürlich Existenzen oder spekulative Erklärungen anzunehmen ohne empirische Indizien.

      Einen bedingten, pragmatischen Ausweg aus diesem Dilemma bietet nur die konsistente Redundanz von Information über die Natur und den Kosmos. Man stelle sich vor, bei einem Puzzlespiel fehlen einzelne Teile. Man kann die Lücken füllen, wenn man mehrere Puzzlespiele mit demselben Motiv besorgt und aus allen Spielen zusammen das Bild vervollständigt. Wenn das Motiv schon bekannt ist, weil es die Repräsentation eines wirklichen Gegenstandes ist, dann lässt sich vorhersagen, wie die fehlenden Teile aussehen müssen. Damit sind die Lücken des Puzzles aber noch nicht gefüllt, sondern nur identifiziert. So wurden gegen Ende des vergangenen Jahrtausends bei der Beobachtung von Galaxien Lücken im bisherigen Weltbild der Astrophysik entdeckt. Man hat diese Lücken des Wissens dann als "Dunkle Materie" und als "Dunkle Energie" bezeichnet. Genauer müsste es dunkle Masse sein, denn Masse muss nicht notwendig Materie in Form von Atomen und Molekülen sein. Es kommt also jetzt darauf an, auf anderen Wegen der Forschung die fehlenden und passenden Puzzlestücke zu finden, wobei die mehrfach vorhandenen, redundanten Teile in ihren gemeinsamen Gültigkeitsbereichen dann passgenau oder konsistent übereinstimmen müssen. Das heißt, Theorien können mit verschiedenen Messmethoden geprüft und Phänomene können mit konkurrierenden Theorien erklärt werden. Dadurch wird ein immer komplexer und vollständiger werdendes, gegenseitig prüfendes und bestätigendes, widerspruchsfreies und konsistentes Netzwerk von Theorien gebildet. Das ist möglich und berechtigt, weil das Weltgeschehen keine Abfolge zufälliger und voneinander unabhängiger Ereignisse ist, sondern ein Kontinuum von Vorgängen mit empirischer Kausalität, allen voran das Leben selbst. In der Philosophie ist diese Einstellung zur Rechtfertigung von Überzeugungen oder Wissen als Kohärentismus bekannt. Einen völlig neuen Weg dazu eröffnen die Computersimulationen, indem sie künstliche Welten als Alternativen oder als künftige Zustände möglich machen, so dass deren zu Grunde liegenden Theorien auf Konsequenzen und Widersprüche untersucht werden können.

      Der nahe Vorbeiflug eines Asteroiden an der Erde ist für den Normalbürger eine eher langweilige Nachricht. Für viele Astronomen ist es eine seltene und daher aufregende Erscheinung, die sie mit Hilfe ihrer Instrumente beobachten und auf wenige nüchterne Zahlen reduzieren. Dagegen ist der Eintritt eines Meteoriten in die Erdatmosphäre eine Erscheinung und für die anwesenden Beobachter ein Erlebnis mit vielen Facetten, wie es Anfang 2012 fast gleichzeitig mit einem nahen Asteroidenvorbeiflug geschah. Dank der Videokameras in vielen russischen Autos, Fernsehen und Internet konnte die ganze Welt innerhalb weniger Stunden daran teilhaben. Leuchtspuren von Nebel am Himmel und ein Explosionsblitz waren die auch für die Kameras sichtbaren Teile, eine Druckwelle mit zersplitterten Fensterscheiben und beschädigten Gebäuden, verletzte Menschen mit Schmerzen und ein Loch in der Eisdecke eines Sees waren weitere wahrnehmbare Erscheinungen für die lokal Anwesenden. Jeder Mensch vor Ort oder am Bildschirm bekam eine phänomenale Repräsentation und einen Eindruck des Geschehens in seinem Bewusstsein und seinem Gedächtnis, obwohl das Geschehen selber weit entfernt war. Wäre das Ereignis während des Kalten Krieges eingetreten, dann könnten bei manchen Menschen auf Grund vorhandenen Wissens zusätzlich Assoziationen und latente Ängste vor einem Nuklearkrieg zum Vorschein gekommen sein.

      Alles was der Mensch mittels der Sinnesorgane wahrnehmen und erkennen kann, das sind die Erscheinungen der materiellen Welt. Die Materie selbst in Form von Gegenständen und Körpern ist bereits sinnliche und leibliche Erscheinung ab­strakter und strukturierter Energien und Kräfte. Die subjektiv bewusst erfahrbare Lebenswelt steht in einem Kontrast zur objektivierten,


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