Phänomenologischer Materialismus. Anton Reutlinger

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Phänomenologischer Materialismus - Anton Reutlinger


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in die Atmosphäre eindringt und auf der Erdoberfläche einschlägt, dann ist er seinerseits Ursache für allerlei Erscheinungen und möglicherweise Schäden. Untersuchungen haben ergeben, dass der Meteorit von Tscheljabinsk Anfang 2012 immense Schäden angerichtet hätte, wenn sein Bahnwinkel durch die Atmosphäre einige Grade steiler gewesen wäre. Offensichtlich liegt es am Beobachter, bzw. seinem aktuellen Interesse, was als Phänomen und als Wirkung gedeutet wird und was als zugehörige Ursache untersucht wird. In der Natur müssen häufig mehrere Bedingungen gleichzeitig gegeben sein, um ein Ereignis auszulösen, wobei das Eintreten der letzten Bedingung die auslösende Ursache bildet. Der Apfel fällt erst vom Baum, wenn er schwerer geworden ist als die Haltekraft des Astes, wobei das Schütteln des Astes die auslösende Ursache bilden kann. Kausalität ist immer nur lokal gültig, als räumlicher, zeitlicher und empirischer Ausschnitt eines umfassenderen Geschehens, denn jede Ursache ist selber wieder Wirkung und Phänomen einer anderen Ursache, bis zurück zum Urknall. Das Universum hat keine statischen Anfangszustände als Ur-Sachen, die eindeutig als alleinige Ursache infrage kämen. So aber kann man jedes Ereignis kausal beliebig weit zurückverfolgen.

      Das Überleben der Menschheit über Jahrmillionen zeigt den evidenten Erfolg der Forschung und Wissenschaft. Andererseits deuten die gegenwärtigen Probleme der Umweltzerstörung auf die mit der Unkenntnis zusammenhängender, räumlich und zeitlich global verteilter Kausalketten sowie die mit der disziplinär beschränkten Perspektive und den ökonomischen Erkenntniszielen der Wissenschaft verbundenen Defizite hin. Naturwissenschaft ist nicht ein Produkt der Natur, sondern der Menschen in ihrer jeweiligen Lebenswelt. Der Naturforscher und Naturphilosoph Ernst Mach (1838-1916) schrieb dazu:

       Wenn wir Tatsachen in Gedanken nachbilden, so bilden wir nie die Tatsachen "überhaupt" nach, sondern nur nach jener Seite, die für uns "wichtig" ist; wir haben hierbei ein Ziel, das unmittelbar oder mittelbar aus einem praktischen Interesse hervorgewachsen ist.

      Die moderne Wissenschaftstheorie hat dafür den Ausdruck "empirische Adäquatheit" erfunden, der von dem kanadischen Philosophen Bas van Fraassen (*1941) im Rahmen des Konstruktiven Empirismus geprägt wurde, als Erkenntnisziel der Wirklichkeit und als Ersatz für einen Wahrheitsanspruch in den Naturwissenschaften. Empirische Adäquatheit bedeutet, dass die Theorie mit einer Klasse von Beobachtungen und Erfahrungen unter definierten Bedingungen übereinstimmt. Sie ist als pragmatisch notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für wissenschaftliche Theorien zu verstehen und liefert der Naturwissenschaft einen Ermessensspielraum, um Forschung effektiver und flexibler zu gestalten, ohne Abstriche an Zuverlässigkeit hinzunehmen. Das ist nicht als willkürlicher Relativismus zu verstehen, sondern als System historisch oder retrospektiv bewährter Konstruktionsregeln. Jede Theorie muss kohärent in den Sprachkanon und in das Netzwerk der Theorien zumindest der Fachdisziplin zusammenhängend eingebettet sein. Die Tragweite der empirischen Adäquatheit für die Praxis der Naturwissenschaft kommt in der Erkenntnis zur Geltung, dass sogar wahre Theorien nicht notwendig empirisch adäquat sind, weil beispielsweise die Instrumente fehlen, um die Theorie empirisch prüfen und bestätigen zu können.

      Der Physiologe Johannes Müller schrieb bereits 1826:

       "Wir mögen uns die Mahnung gelten lassen, daß Licht, Dunkel, Farbe, Ton, Wärme, Kälte, und die verschiedenen Geschmäcke, mit einem Worte, was Alles uns die fünf Sinne an allgemeinen Eindrücken bieten, nicht die Wahrheiten der äußeren Dinge, sondern die realen Qualitäten unserer Sinne sind, daß die thierische Sensibilität allein in diesen rein subjectiven Zweigen ausgebildet ist, wodurch das Nervenmark hier nur sich selbst leuchtet, dort sich selbst riecht und schmeckt [..] Die Wesenheit der äußeren Dinge und dessen,was wir äußeres Licht nennen, kennen wir nicht; wir kennen nur die Wesenheiten unserer Sinne."

      Realität und empirische Relativität

      Das reale Universum ist vergleichbar einem Computerbildschirm. Die Hardwarestruktur dahinter, die für den Betrachter unzugänglich ist, bestimmt die Möglichkeiten der Darstellungen. Die Software stellt die Naturgesetze dar und steuert die Strukturen der Hardware, so dass sichtbare und flüchtige Muster auf dem Bildschirm erscheinen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob dieser Bildschirm im individuellen Bewusstsein als Innenwelt oder in der Außenwelt gedacht wird. Der Betrachter kann allein aus der Fülle der Darstellungen Vermutungen über die Substanzen, Strukturen und die Funktionsweise der Hardware anstellen, genau so wie der Naturwissenschaftler es tut, z.B. der Physiker anhand der Spuren im Detektor des Teilchenbeschleunigers über das Higgsboson. Eine Menge von Betrachtern kann sich mittels der Sprache verständigen, welche Darstellungen von allen Betrachtern gleichermaßen beobachtet werden und daher mit allgemein geltenden Begriffen belegt werden können. Die Begriffe repräsentieren bereits konstruktive Deutungen der gemeinsamen und vorgängigen Beobachtungen und Erkenntnisse. Kein Beobachter kann wissen, was genau die übrigen Beobachter sehen, sondern kann nur die eigenen Beobachtungen mit den für ihn bereits verfügbaren Begriffen vergleichen und die Deutungen anpassen, denn die Konfiguration für die Hardware und Software der Beobachter selber als deutendes Bewusstsein ist nicht vollständig gleich. Die empirische Adäquatheit zeigt sich in den gemeinsamen Begriffen, Vorstellungen, Deutungen und Überzeugungen der Beobachter.

      Zwischen den Objekten, die mit den natürlichen Sinnen beobachtbar sind und den Objekten, die nur mit technischen Instrumenten beobachtbar sind, besteht kein prinzipieller Unterschied bezüglich ihrer ontologischen Existenz. Alle Objekte sind Deutungen des Verstandes, in der Form sprachlicher Begriffe, sei es aus unmittelbarer, sinnlicher Erfahrung oder aus wissenschaftlicher Untersuchung mit raffinierten Instrumenten. Die ontologische Existenz kann nur aus ihrer epistemischen, temporären Existenz hypothetisch gefolgert werden. Die epistemische Existenz gründet auf den raum-zeitlich gebundenen Wechselwirkungen der Objekte mit der Umwelt und letztlich mit den Detektoren der Wissenschaft und über geeignete Transformationen, wie über Bildschirme, mit den Sinnen der Wissenschaftler. Je vielfältiger die Wechselwirkungen der Objekte sind, desto zuverlässiger wird die Annahme und Bestimmung ihrer Existenz und ihrer Eigenschaften. Die visuelle Wahrnehmung in Verbindung mit taktiler Empfindung liefert die höchste Überzeugungskraft, besonders bei einer Vielzahl von Beobachtern oder Beobachtungen ohne gegenteilige Erfahrungen. Je komplexer die Objekte auf Grund ihrer Begriffsbestimmung sind, je höher also auch der Aggregationsgrad, desto wandelbarer und desto unbestimmter wird ihre aktuelle Zusammensetzung und ihr Verhalten als Darstellungen auf dem Bildschirm der Welt, desto vielseitiger sind auch die Wechselbeziehungen mit unterschiedlichen Beobachtern als subjektive Phänomene. Auch hierbei ist Zirkularität inkauf zu nehmen, denn die Komplexität kann erst retrospektiv aus den vielfältigen Wechselbeziehungen erschlossen werden.

      Der fiktive Bildschirm zeigt alle Objekte, die ohne Intervention eines Beobachters als Erscheinungen dargestellt und wahrnehmbar sind. Die klassische Naturwissenschaft geht stillschweigend von der Erfahrung aus, dass die Objekte unabhängig von der Beobachtung existieren und durch die Beobachtung nicht verändert oder beeinflusst werden. Wie Niels Bohr (1885-1962) zeigen konnte, gilt diese Bedingung nicht für die Welt der Quanten. Er schrieb:

       Der Hauptunterschied zwischen der Untersuchung von Phänomenen in der klassischen Physik und in der Quantenphysik ist [. . . ], daß in der ersteren die Wechselwirkung zwischen den Objekten und den Meßgeräten außer acht gelassen oder kompensiert werden kann, während in der letzteren diese Wechselwirkung einen integrierenden Bestandteil der Phänomene bildet.

      Diskontinuität, Ganzheitlichkeit, Indeterminiertheit, Superposition, Interferenz, Nichtlokalität, Verschränkung, Komplementarität und Unbestimmtheit kennzeichnen die Quantenphysik. Sie erfordert Instrumentarien, um die Quanten zu gezielt beobachtbarem und messbarem Verhalten anzuregen, da ihre Existenz sich ausschließlich in den zu beobachtenden, zueinander jeweils komplementären Zustandsattributen offenbart, also beispielsweise Ort und Impuls. Quanten geben erst in Interaktion mit dem spezifischen Instrumentarium die spezifische Information preis, die der Beobachter anstrebt. Die Grenze zwischen Objekt und Beobachter wird verschoben, indem das Objekt nun das zur Beobachtung notwendige Instrumentarium einschließt, weil gewissermaßen verschiedene Spezialbildschirme für komplementäre Attribute zur Auswahl verfügbar sind. Das Instrumentarium bestimmt, ob beim Doppelspaltexperiment


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