Kunsthistorische Aufsätze. Georg Dehio
Читать онлайн книгу.Transformationen im Auge behalten. Es kam einer Neuschöpfung gleich. Nur jugendliche Völker haben das Glück, das zu können. Schon die Gotik war auf ornamentalem Gebiet weit unproduktiver. Bildhauer von heute können romanisches Ornament nicht einmal kopieren, es gerät ihnen unbegreiflich fade.
Neubildungen in Fülle! Aber immer noch im Rahmen des Raumbildes und der Konstruktion der Basilika mit flacher Holzdecke. An die Wurzel des überlieferten Systems griff erst die Forderung der vollständigen Durchführung des Steinbaus, d. h. des Übergangs von der flachen Holzdecke zum Gewölbe. Dass sie nicht ausbleiben konnte, begreift sich leicht. Romanische Kirchen, deren Holzdecken sich bis heute erhalten haben, gehören zu den größten Seltenheiten, Brandnachrichten bilden in den Klosterchroniken eine stehende Rubrik. Nicht bloß von außen kam die Gefahr, durch Blitzschlag, Brandlegung in Kriegszeiten u. dgl., sie lag in der Einrichtung des Kirchengebäudes selbst, dessen kleine, lichtarme, im Winter verschlossene Fenster zu ausgedehnter Anwendung von Kerzen- und Lampenlicht hinführten. Von der gewölbten Decke erwartete man praktisch größere Sicherheit, ästhetisch den Eindruck größerer Monumentalität. Eine gewisse Kenntnis der Wölbetechnik hatte sich erhalten, an den Halbkuppeln der Apsiden, in Krypten, Emporen, Kapellen wurde sie überall geübt; zuweilen überrascht das Zustandekommen auch größerer Gewölbebauten, die dann aber immer zentral disponiert sind (wie z. B. S. Bénigne in Dijon, Ottmarsheim, beabsichtigt in der Kapitolskirche in Köln, alles Bauten aus der ersten Hälfte und Mitte des 11. Jahrhunderts). Die Schwierigkeit lag nicht im Wölben an sich, sondern darin, dass die den Römern geläufig gewesenen Gewölbeformen, an die man hätte anknüpfen können, unvereinbar waren mit der Raumform der Basilika, die nun einmal die historisch tief eingewurzelte, liturgisch wie künstlerisch durch große Vorzüge gestützte Kirchenform war; denn die über Pfeilern und Bögen schwebenden, oberwärts freiliegenden Hochwände, wie sollten sie Gewölbe tragen, ohne durch deren Schub seitlich auseinander geworfen zu werden?
So stand man vor dem Dilemma: das Gewölbe annehmen und die Basilikenform fallen lassen – oder der Basilika treubleiben und auf die Gewölbe verzichten. Verschiedene Schulen haben sich hierin verschieden verhalten, lange Zeit ist mit wechselnden Versuchen hingegangen, die befriedigende Lösung brachte erst das gotische System.
Das Auftauchen des Gewölbeproblems hatte aber noch eine andere Folge, die eines Wandels im ganzen Baubetrieb. Wo sich nicht, wie in Italien und vielleicht auch im südlichen Gallien, alte Gewerkschaften erhalten hatten, da hatte die Geistlichkeit die Leitung übernommen. Diese dilettantische Betriebsart ist in den Folgen kenntlich genug; indessen unter den einfachen Bedingungen der Frühzeit genügte sie. Aber es kam die Zeit, wo mehr verlangt werden musste. Umsichtig regierte Klöster, wie Cluny und Hirsau nebst ihren Anverwandten sahen sich schon genötigt, aus ihren Laienbrüdern Gesellschaften von Bauhandwerkern berufsmäßig zu organisieren, womit alsbald bedeutende technische Fortschritte sichtbar wurden. Das war aber nur eine Zwischenstufe. Der allgemeine Zug ging auf vollständige Laisierung. Und das hieß zugleich Nationalisierung. Die Gleichförmigkeit der früheren Jahrhunderte schwindet; je näher zur Höhe des Mittelalters, umso reicher werden die Differenzierungen, umso bestimmter die Stilphysiognomien der einzelnen Landschaften. Versuchen wir, so gut es mit wenigen skizzenhaften Strichen gelingen kann, die Hauptcharaktere zu schildern.
Am weitesten in der Spaltung in regionale Sondertypen, merkwürdigerweise ohne Schwächung der Triebkraft des einzelnen Zweiges, ging das heutige Frankreich. Der damalige Zustand unfertiger Rassenmengung und mangelnder Staatseinheit erklärt diese Erscheinung wohl im Allgemeinen, aber nur selten in ihren konkreten Einzelheiten. Wo beim Bau eines einflussreichen Klosters, einer vielbesuchten Wallfahrtskirche eine neue technische oder künstlerische Entdeckung gemacht wurde, da bildete sich für einige Zeit ein Schulmittelpunkt. Den Anlass zu einer durchgreifenden Scheidung der Schulen in zwei große Lager gab die Wölbungsfrage, wobei die geographische Grenzlinie ungefähr dieselbe ist, wie zwischen der Sprache des oc und der Sprache des oil. Das Gebiet der Langue d'oc ging mit raschem Entschluss zur Wölbung über, etwa um das Jahr 1000, erheblich früher als irgendein anderer Teil des Abendlandes; das Gebiet der Langue d'oil verharrte bei der Flachdecke. Das 11. Jahrhundert hindurch bleiben die Gewölbebauten in der künstlerischen Fassung roh und ungefüge; dann aber, in der Glut und Erregung der Kreuzzugszeit gelingt ein neuer und großer Aufschwung. Zwischen dem ersten und dem zweiten Kreuzzug sind alle Meisterwerke des französisch-romanischen Stils entstanden. Freilich, das Ziel der Wölbung war erreicht durch ein Opfer, auf dessen Unvermeidlichkeit wir schon hingewiesen haben, durch das Opfer der Basilika. Die unter den römischen Vorbildern gewählte Wölbungsform war der nach der Längsachse des Gebäudes durchgehende Halbzylinder, das Tonnengewölbe; das System teils das des einschiffigen Saales, teils das der dreischiffigen Halle mit parallelen Tonnen. Das Holz wurde in dieser Bauart so vollständig ausgeschlossen, dass man selbst die Dächer aufgab, mit steinernen Platten über dem Gewölberücken sich begnügte. Die Mauern ungeheuer mächtig, die Fenster über Bedarf klein. Da die letztere Erscheinung sich auch an den Basiliken Italiens und Spaniens wiederholt, muss man annehmen, dass in jenem Zeitalter dunkle Stimmung der Innenräume von den Menschen des Südens geflissentlich aufgesucht wurde als etwas die Andacht Beförderndes. Das 12. Jahrhundert behielt in Südfrankreich die obengenannten Systeme bei, aber es veredelte sie durch ein Raumgefühl, von dem man jahrhundertelang nichts gewusst hatte. Diese einfachen, ruhevollen, wohlgestimmten Verhältnisse sind Ergebnis eines neuerwachten Verständnisses für den in jenen Gegenden noch aus zahlreichen Denkmälern sprechenden antiken Kunstgeist; gleichzeitig wird das antike Detail wieder aufgenommen und mit überraschender Feinfühligkeit, zuerst genau, dann freier nachgebildet. Der Schauplatz dieser Protorenaissance ist die Mittelmeerküste und das Rhonetal mit Ausläufern nach Burgund; darf man etwa sagen, das griechische Blut sei hier noch nicht verbraucht gewesen? – Wesentlich ein anderes Naturell, ein keltisch gefärbtes, gibt sich in Aquitanien und im Poitou zu erkennen. Hier wird die dreischiffige Hallenanlage, mit gleicher Höhe aller Schiffe, bevorzugt. Im Innenraum bleibt sie bedrückt und dumpf, in einer unbeschreiblich fremdartigen, barbarischen Stimmung; das Äußere prunkt in einem Überschwall von Zierformen; ihre Bildung ist weichlich und üppig, dabei ein Hang zur Anhäufung spukhaft monströser Tiergestalten, deren Vorbilder, durch Vermittlung sassanidischer Gewebe, aus der altorientalischen Vorratskammer der Phantastik herstammten. Eine überaus merkwürdige Umbildung des einschiffigen Saales vollzog sich in der Landschaft Périgord: das Tonnengewölbe wurde durch eine Folge von sphärischen Kuppeln ersetzt. Auch diese sind ein Erwerb aus dem Osten, von den Kreuzfahrern mitgebracht; aber nur als Element; Komposition und Geist der perigordinischen Kunst ist nicht byzantinisch; es entsteht ein Bautypus von hoher Eigentümlichkeit, der in manchen Denkmälern eine rigorose Erhabenheit erreicht, mit der sich in der Baukunst aller Zeiten und Völker Weniges vergleichen lässt. – Wieder ein anderes, sehr prägnantes Gebilde entstand im zentralen Bergland der Auvergne. Das innere System ist das der Hallenkirche mit Hinzufügung von Emporen über den Abseiten; es zeichnet sich konstruktiv durch große Festigkeit aus und nähert sich auch im Raumbild einigermaßen wieder der Basilika. Künstlerisch reifer ist die Außenansicht; durch Verbindung des Kapellenchors mit einem hohen, staffelförmig gegliederten, von einem achteckigen Turm gekrönten Querschiff gewinnt sie eine plastische Massengliederung von ungewöhnlichem Reiz. Der Typus blieb auch nicht auf seine auvergnetische Heimat beschränkt. Einige hochberühmte Wallfahrtskirchen – S. Fides in Conques, S. Saturnin in Toulouse, S. Jago in Compostela – gaben ihm weitere Ausbreitung. Alle diese Schulen waren denen Nordfrankreichs und überhaupt dem ganzen übrigen Europa voraus im konstruktiven Denken wie in der glanzvoll gestaltenreichen Formphantasie. Aber sie hatten sich von der gemein europäischen Entwicklung abgesondert. Bald nach Erreichung ihrer höchsten Blüte gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts sterben sie ab, ohne einen triebkräftigen Samen zu hinterlassen.
Unter den Schulen Nordfrankreichs sind Isle de France, Champagne und Picardie, der Heimatboden des künftigen gotischen Stils, in der romanischen Epoche verhältnismäßig die schwächsten. Ihr Stil ist eklektisch, am meisten verwandt dem der westlichen Rheinlande. Von 1100 ab werden Versuche im Gewölbebau angestellt, doch nur in kleinerem Maßstab; im Ganzen herrscht die Flachdecke bis 1150. Nur die beiden an den Flügeln stehenden Schulen, die burgundische und die normannische, waren dem Süden ebenbürtig in der Kunstkraft, überlegen im Einfluss nach außen. – Von Burgund gingen die beiden großen abendländischen Klosterreformen aus, die kluniazensische und die zisterziensische.