Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.lieber in Ballast nach Haus zurückzukehren, oder vielleicht Bahia oder Buenos-Ayres anzulaufen, als ein frisch ankommendes amerikanisches Schiff der ganzen Sache eine andere Wendung gab.
Gerade war nämlich die erste Nachricht von der kalifornischen Goldentdeckung in Amerika angelangt und dies das erste Schiff, das mit Auswanderern um Cap Horn nach dem neuen El Dorado ging. Die Gerüchte, die von den Passagieren dieses Fahrzeugs in der Stadt verbreitet wurden, waren dabei so fabelhafter Art, dass besonders die Kaufleute ein wahrer Schwindel erfasste und jeder jetzt Güter so rasch als möglich nach Kalifornien verschiffen wollte, um reine, solide Goldklumpen dafür einzutauschen. Die Kapitäne, die von ihren Reedern Vollmacht hatten, über ihre Schiffe zu verfügen, wie sie es für das Beste hielten, standen sich jetzt vortrefflich und akkordierten augenblicklich Fracht nach San Francisco. Unter diesen befand sich die „YORKSHIREMAN“, und unserem Bill Drygarn oder Jack Brown, wie er sich genannt hatte, machte der Kapitän das Anerbieten, ihn, statt einer direkten Reise nach England, erst einmal nach San Francisco zu begleiten und dort, wenn er wolle, Gold zu graben. Er, der Kapitän, hätte selber Lust, einmal in die Minen zu gehen, wenn das Gold denn gar so dick dort oben herumliegen sollte.
Hier war auf einmal eine plötzliche Aussicht, reich – steinreich zu werden, und weiter nichts dazu nötig, als eine etwas längere Seefahrt. Und kam es denn, wo er nun doch einmal so lange von zu Haus entfernt war, jetzt auf die paar Monate an? – Paar Monate, ja der Teufel; mit ein paar Monaten mochte es, wie sich Bill heimlich selber gestand, wohl kaum abgetan sein, und eine Reise nach San Francisco und von da zurück nach England konnte immer acht bis zehn Monate fortnehmen. Vierzehn Tage musste er außerdem noch wenigstens darauf rechnen, eine Quantität Gold in den Minen zusammenzusuchen. – Wenn er nur wenigstens hätte einen Brief nach Haus schicken können! Aber auch das schadete nichts; die Überraschung, wenn er, noch dazu mit einem tüchtigen Klumpen Gold, ganz plötzlich angerückt käme, wurde nachher umso größer, und sein Bruder und seine Frau sollten nicht wenig staunen.
Bill besann sich auch wirklich nicht lange; die Verlockung war zu groß, und ein Abend, den er mit einem Teil der Mannschaft des kalifornischen Schiffes verbrachte, festigte seinen Entschluss dermaßen, dass er jetzt die Zeit kaum erwarten konnte, wo sie nach dem Lande seiner heißen Sehnsucht aufbrechen sollten.
Außerordentlich lieb war es ihm jetzt übrigens, dass er den Namen Jack Brown angenommen hatte. Er schämte sich doch etwas, so weit von der Heimat fortzuziehen, und seine Frau – aber zum Henker, gerade für die ging er ja nach Kalifornien, um etwas Ordentliches zu verdienen und als reicher, angesehener Mann zurückzukommen. Lieber wäre es ihm freilich gewesen, wenn er Jack bei sich gehabt hätte.
Die „YORKSHIREMAN“ machte eine verhältnismäßig rasche Reise um Cap Horn und erreichte das Goldland noch mitten in der ersten Gährung und Aufregung. Nicht allein die sämtliche Mannschaft brach denn auch, sowie der Anker niedergerasselt war, nach den Minen auf, das Schiff sich selbst und seinem Kapitän überlassend, sondern dieser hatte kaum seine Fracht und Ladung zu ziemlich guten Preisen untergebracht, als er mit seinen beiden Steuerleuten seine Kajüte zuschloss, die Luken vernagelte und ebenfalls in der kleinen Schiffsjolle durch den Bai und den Sacramento hinaufruderte.
Ich habe hier keinen Raum, das alles, was Bill im El Dorado erlebte, zu beschreiben. Leider hatte er aber mit seinem Goldsuchen eben so wenig Glück wie mit seiner Passage, und hielt das Wenige, das er fand, immer nicht des „Aufhebens“ wert. Einmal musste er ja doch an einen tüchtigen Klumpen kommen. Fünf Monate suchte er danach, bis er es endlich in Verzweiflung aufgab, und mit vielleicht sechzig Dollar in der Tasche und ärgerlich über sich und die ganze Welt, vorzüglich aber über das verwünschte Kalifornien, wieder nach San Francisco zurückkehrte. Eine Möglichkeit bot sich ihm allerdings noch dort, seinen Gewinn in kurzer Zeit zu verzehn-, ja vielleicht zu verhundertfachen, wenn er nämlich sein Glück in einem der San Francisco-Spielsäle versuchte. Das tat er denn auch, verlor in etwa einer halben Stunde alles, was er sich in den fünf Monaten mühsam erarbeitet, und vermietete sich dann aus reiner Desperation noch an demselben Abend auf ein Schiff, das am nächsten Morgen den Hafen verließ und – nach Sidney bestimmt war.
Wieder ganz in das Matrosenleben hineingekommen, und doch einmal viele tausend Meilen von zu Haus entfernt, wo es „auf ein paar Monate mehr oder weniger“ nicht ankommen konnte, gab er sich dem alten Beruf mit all' der Gleichgültigkeit dieser Menschenklasse hin, schiffte sich in Sidney auf ein anderes, nach Manila bestimmtes Fahrzeug ein, ging von da nach China, von China nach Bombay, und fand erst dort wieder eine direkte Gelegenheit nach England, und zwar nach Liverpool, mit der er nun endlich in die Heimat zurückkehren konnte.
Darüber waren etwas über drei Jahre vergangen und Bill den heimischen Verhältnissen so entfremdet worden, dass ihm seine bis dahin erlebten Schicksale, und was davor lag, oft wie irgend ein toller, wunderlicher Traum vorkamen, von dem er sich nicht einmal recht deutlich mehr besinnen konnte, was eigentlich echt und was nur Einbildung davon sei. Manchmal zweifelte er sogar daran, ob er denn auch wirklich verheiratet und durch eine wunderbare Kette von Umständen seiner Frau entführt worden sei, wonach es seiner Schwiegermutter, vor der er allen möglichen Respekt hatte, denn auch gar nichts anging, ob er jetzt wiederkam oder gleich noch einmal nach irgendeiner anderen Himmelsrichtung unter Segel ging.
Das gute Schiff verfolgte indessen wacker seine Bahn, und wieder im Sommer war es, als Jack Brown – welchen Namen er jetzt, so lange er zur See fuhr, beibehalten – nach viermonatlicher Fahrt von Bombay aus, den St. Georgs-Kanal hinaufkreuzte. Zum ersten Mal, nach so langer Trennung, erblickte er hier wieder die Küste von Wales, konnte aber natürlich nicht gleich an Land, sondern musste erst mit dem Schiff, auf dem er sich verdingt, nach dem Ort seiner Bestimmung anlaufen. Erst wenn dort Anker geworfen und die Segel beschlagen waren, blieb es den Matrosen gestattet, das Schiff zu verlassen, dessen Kapitän dann zum Löschen der Fracht andere Leute nimmt.
Wunderbar war ihm zu Mute, als er in Liverpool zum ersten Mal wieder an Land trat. Einmal hatte er auch wirklich gar nicht übel Lust, wieder, und noch einmal zuguterletzt, in das alte Leben mit beiden Füßen zugleich hineinzuspringen, und seine Kameraden ließen es nicht an Aufforderung dazu fehlen. Aber das Gute, was noch in ihm steckte, siegte doch zuletzt, und wenn er auch, um nicht knickerig zu erscheinen, ein paar Nächte mit ihnen durchtrank, behielt er doch noch immer Verstand und Geld genug übrig, um sich neue und anständige Kleider zu kaufen und seine Passage nach Pembroke mit der Eisenbahn zu zahlen.
Mit den alten, abgetragenen Kleidern hatte denn er auch den alten Menschen ausgezogen, und als er in Pembroke anlangte, schlug ihm das Herz nicht wenig in der Brust; wusste er doch nicht, wie er sein eigenes Haus nun wiederfinden sollte.
„Hol' mich der Teufel, Jack Drygarn – Junge, wo kommst Du her?“ waren übrigens die ersten Worte, die ihn, wie er mit seinem Bündel unter dem Arm aus dem Waggon stieg, begrüßten. Er drehte sich rasch und erstaunt nach der Stimme um und sah einen alten Schiffskameraden von sich und seinem Bruder, der ihn mit eingestemmten Armen und großen Augen betrachtete. „War's nicht hübsch in Amerika?“
Woher wusste der schon, dass er in Amerika gewesen war? Dass er Jack genannt wurde, fiel ihm übrigens gar nicht mehr auf, war er es doch die langen Jahre her gewohnt worden. Übrigens folgte er willig der Aufforderung des Freundes, mit ihm ins nächste Wirtshaus zu gehen und dort ein Glas auf glückliche Rückkehr zu trinken. War ihm doch die eigene Kehle von einer ganz unerklärlichen, ungewohnten Angst wie zugeschnürt, und ein Glas Grog unumgänglich nötig, dort Luft zu machen.
Zu gleicher Zeit suchte er aber auch etwas Näheres über die seinen zu Haus zu hören und hielt das eben gefüllte und schon gehobene Glas allerdings etwas erstaunt von den Lippen fest, ohne zu trinken, als ihm sein Freund in aller Ruhe erzählte, dass „Bill's Frau“ wieder geheiratet habe und das Geschäft vortrefflich gehe.
Bill's Frau? Alle Wetter, er war er den? Er trank jetzt erst einmal vor allen Dingen sein Glas aus, setzte es nieder und sagte dann, den Kameraden dabei von der Seite ansehend, ob der ihm vielleicht zum Besten habe:
„Wäre nicht übel, Bill's Frau hat wieder geheiratet?“
„Nun ja“, lautete die ruhige Antwort des ebenfalls mit seinem Glas Beschäftigten, „wessen Frau denn sonst?“
Jetzt