Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.und fuhren stets auf ein und demselben Schiff mitsammen, brachten mitsammen durch, was sie hatten, und ließen sich dann wieder ebenso ruhig und vergnügt zu neuer Reise anwerben. Machten es doch die anderen Matrosen ebenso.
So gut sie übrigens von der See dachten, so schlecht meinte es diese eine Zeit lang mit ihnen, und nachdem beide lange Jahre außerordentlich glücklich gefahren, änderte sich das plötzlich. Sie konnten keinen Fuß mehr an Bord eines Schiffes setzen, ohne dass es nicht irgendwo scheiterte oder strandete, oder wenigstens die Masten über Bord jagte und sonst schwere Havarie litt. Mit dem Leben kamen sie allerdings immer glücklich davon, aber sonst verloren sie auch auf mehreren Reisen hintereinander alles, was sie sich eben mit großer Müh' und Anstrengung angeschafft und mussten immer wieder von neuem und zwar ganz von vorn beginnen.
Seeleute sind alle ein wenig abergläubisch, und den beiden Brüdern kam zuletzt der Gedanke – der sich in diesem Fall auch wirklich entschuldigen ließ – dass sie zum Unglück auf See ausersehen wären und die letzten Fatalitäten als wohlmeinende Warnung zu betrachten hätten: Salzwasser fortan zu meiden. Nur einen Versuch wollten sie noch machen, der eben ihr künftiges Schicksal entscheiden sollte, und wie der ausfiel, danach wollten sie handeln. Der fiel übrigens sehr schlecht aus.
Sie gingen beide wieder in einer nach New-York bestimmten Brig von Pembroke aus in See, verloren gleich in der ersten Nacht beide Masten und Clüverbaum, und trieben endlich mit dem Wrack, nachdem sie dasselbe mit Pumpen noch vierundzwanzig Stunden flott gehalten, an dieselbe Küste wieder an, von der sie ausgelaufen.
Der Fingerzeig war denn doch zu deutlich, um ihn zu verachten, und Jack und Bill beschlossen jetzt, was schon seit einiger Zeit ihr Plan gewesen, zu bleiben, wo sie waren, das heißt auf festem Grund und Boden, und der See, wenigstens dem Fahren, zu entsagen. Dass sie nicht ganz von der See und dem, was dazu gehörte, Abschied nahmen, versteht sich wohl von selbst, wie hätten sie auch sonst wohl existieren wollen. Ihr ganzes Leben und Treiben war von Jugend auf viel zu eng damit verwachsen. Beides ließ sich aber auch leicht vereinigen, denn ein tüchtiger und ausgelernter Matrose ist auch meist immer ein geschickter Segelmacher, und so beschlossen denn Jack und Bill, in Pembroke sich als Segelmacher zu etablieren. Dadurch blieben sie mit der See eng verbunden, hatten fortwährend mit allen dort einlaufenden Schiffen zu tun und – brauchten nicht selber mehr zu fahren.
Die Ausführung dieses Planes erforderte allerdings ein kleines Kapital, und beide Brüder waren ohne einen einzigen Penny; in Pembroke selber aber lebte eine alte Witwe, eine Mrs. Bellhope, mit einer einzigen Tochter, die einiges Vermögen besaß und den Brüdern gewogen war. Diese, die sie als rechtschaffene Matrosen kannte, entschloss sich, ihnen fünfundzwanzig Pfund vorzuschießen, mit denen sie recht gut beginnen konnten.
Alles ging vortrefflich. Die kleine Werkstätte war bald eingerichtet, und die beiden „jungen Leute“ (Bill war dreißig und Jack zweiunddreißig Jahre alt) bekamen bald Arbeit genug. Nur eins fehlte ihnen noch – eine Häuslichkeit, und die mussten sie sich auf die eine oder die andere Art verschaffen. Matrosen sind nämlich nicht daran gewöhnt, sich ihre Lebensmittel selbst zu kochen – wenn sie sich auch ihre Betten selber machen und ihre Kleider eigenhändig ausbessern, ja auch wohl selber nähen. – Für das erstere sorgt unter allen Umständen der Koch, und einen solchen brauchten sie deshalb notwendig.
Einen wirklichen Koch konnten sie aber nicht bezahlen, und sie fielen deshalb auf den jedenfalls glücklichen Gedanken, dass einer von ihnen – welcher bliebe sich ziemlich gleich – heiraten müsse. Bill schlug dabei vor, dass das Alter hierbei zu entscheiden habe, wer von ihnen diesen Schritt tun solle, Jack dagegen meinte, das Los müsse entscheiden, denn er sähe nicht ein, wie er gerade dazu käme, allein für den Koch zu sorgen.
Das Los entschied denn auch wirklich, aber nicht für Jack, sondern für den Jüngeren, der bei dem wichtigen Entscheid keine weitere Gemütsbewegung zeigte, als dass er sein erst halb verbrauchtes Priemchen Tabak wegwarf und sich ein frisches abschnitt, figürlich dadurch andeutend, dass er jetzt ein vollständig neues Leben beginnen müsse.
Wen er heiraten solle, darüber war bis jetzt zwischen ihnen noch kein Wort gewechselt. Nach stillschweigendem Übereinkommen konnte das aber niemand anderes sein, als die Tochter der Witwe Bellhope, Polly, und zu der ging denn auch ohne Weiteres Bill, bot ihr seine Hand an, wurde freundlich auf- und angenommen und kehrte, nachdem er Polly einen tüchtigen Kuss gegeben, augenblicklich wieder nach Haus zurück, um die nun einmal notwendig gewordenen Anstalten zur Hochzeit zu treffen.
Diese war auf den Sonnabend vor den Osterfeiertagen bestimmt worden und wurde denn auch mit alle dem bei solchen Gelegenheiten üblichen und nicht üblichen Pomp vollzogen. Viel Poesie war eigentlich nicht dabei, Bill hatte deshalb auch nicht gewollt, dass die Hochzeit an einem Sonntag sei, da die Heirat doch eigentlich mit in das Geschäft gehöre und sonntags nicht gearbeitet würde. Nur einmal, gleich vor der Trauung, als sie die Braut in die Kirche führten, meinte Jack, „eigentlich täte es ihm doch jetzt beinahe leid, dass sie gelost hätten.“ Als sie aber Ja gesagt und der Geistliche ihre Hände ineinandergelegt hatte, versicherte er seinem Bruder, „jetzt wär's ihm wieder lieb“.
An dem nämlichen Abend erhielten die beiden Brüder einen Brief von Wexford in Irland, dass ein Schiff dort eingelaufen sei, dessen Kapitän ihnen noch eine ziemliche Summe für Segel schulde und diese zu zahlen wünsche. Jack, als der am nächsten Tage noch nicht Beschäftigte, entschloss sich, mit einem gerade bei ihnen vor Anker liegenden und dorthin bestimmten Schoner hinüberzufahren und das Geld einzukassieren, schiffte sich am nächsten Morgen ein, und versprach in spätestens drei oder vier Tagen wieder zurück zu sein. Es vergingen indessen sechs und acht Tage, und Jack ließ nichts wieder von sich hören.
Bill wurde zuletzt unruhig darüber. So lange war er in seinem ganzen Leben noch nicht von seinem Bruder getrennt gewesen, und die Summe, die jener holen sollte, ebenfalls keine Kleinigkeit für sie. Er beschloss also, selber hinüberzufahren und zu sehen, was aus ihm geworden, denn mit dem günstigen Westwind, der die letzten Tage geweht, hätte er recht gut von Wexford in vierundzwanzig Stunden herüberkommen können.
Gesagt, getan. Das Geschäft konnte er indessen recht gut seinem sehr zuverlässigen Altgesellen überlassen; die Schwiegermutter ließ es sich überdies nicht nehmen, nach dem zu sehen was Rechtens war, und am nächsten Morgen schiffte er sich in einem Küstenfahrer, der nach Wexford mit englischen Waren hinüberlief, ein, um seinen Bruder aufzusuchen.
Zu seinem Erstaunen hörte er in Wexford gar nichts von ihm. Allerdings hatte er das Geld bei dem Kapitän, der noch dort lag, erhoben, und dieser zeigte ihm die darüber ausgestellte Quittung – dann war er spurlos verschwunden.
Nur zwei Fälle blieben jetzt möglich. Einmal hatte an dem Abend ein kleines Segelboot mit zwei Mann das Ufer verlassen und war verunglückt. Den Eigentümer desselben, der ebenfalls mit ertrunken, kannte man; der Andere sollte ein Fremder gewesen sein, und es blieb möglich, dass sein Geschick den armen Teufel hier ereilt. Dann aber war an dem nämlichen Abend ein Auswanderer-Schiff nach New York in See gegangen, das noch spät abends mehrere Passagiere aufgenommen, und wen er darüber fragte, sprach sich dahin aus, Jack würde wohl das kleine Kapital genommen und damit nach der neuen Welt gegangen sein, um dort sein Glück rascher zu finden als im alten Vaterland.
Bill verwarf diesen Gedanken natürlich mit Entrüstung. Aber auch der andere Fall war ihm unwahrscheinlich, wenn allerdings möglich – dass sich Jack in einer solchen Nussschale von Fahrzeug der See ohne dringende Not anvertraut haben sollte. Das Wahrscheinlichste blieb immer, dass er, ohne weiter jemand etwas davon zu sagen, nach Waterford gegangen sei, um von dort mit dem Dampfboot nach Hause zurückzukehren, und nun schon lange gemütlich daheim sitze, während er ihn hier draußen suche. Gerade jetzt lag auch wieder eine amerikanische Barke in Wexford, die noch mehrere Passagiere in Waterford an Land zu setzen hatte. Auf der nahm er Passage, und weil sie noch einige Tage dort liegen blieb, amüsierte er sich indes vortrefflich mit einigen da gefundenen alten Schiffskameraden. Nach drei Tagen erhielt er plötzlich Nachricht, dass die Barke abends sieben Uhr bei eintretender Ebbe segeln würde, und mit dem gerade günstig wehenden Wind konnte sie den Ort ihrer Bestimmung recht gut bis Tagesanbruch erreichen.