Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.zu. Es war jetzt so dunkel geworden, dass man keine Hand mehr vor den Augen sehen konnte, vor mir aber schimmerte ein Licht – wie ich glaubte aus meiner eigenen Kombüse an Bord – und ich fing jetzt wieder an ein wenig aufzuatmen und langsamer zu gehen. Sonderbar kam es mir freilich dabei vor, dass ich noch immer Büsche zur Seite hatte, und vorher war mir es doch, als ob das Ufer vollkommen frei von Buschwerk gewesen wäre. Ich dachte mir aber doch nichts weiter dabei und kam dem Lichte immer näher; – das Schiff war es aber nicht, und, Jungens, ich sage euch, der Schweiß trat mir in großen Tropfen auf die Stirn, als ich plötzlich vor einem kleinen niederen Hause stand, aus dessen Fenstern ein Licht schimmerte, und von Fluss oder Schiff auch nicht die Spur zu finden war.“
„Natürlich“, lachte jetzt der Instrumentenmacher, „Sie hatten sich vorher in der Angst falsch herumgedreht und waren, anstatt nach dem Fluss zu wieder nach dem Dorf zurückgelaufen.“
„Das dacht' ich auch“, erwiderte der Koch, der jetzt in der Erinnerung an das damals Geschehene selbst des Trinkens vergaß, „setzte den Korb nieder, um ein wenig auszuruhen, und wollte dann eben umdrehen, als ich aus dem Dorf heraus einen Wagen kommen hörte, der jedenfalls nach dem Strom zu fuhr. Die Schultern taten mir überdies von dem Schleppen weh, und ich beschloss, den Wagen abzuwarten und meinen Korb da aufzusetzen. Der Wagen kam auch und hielt, als ich ihn anrief, und der Fuhrmann, der erst dicht zu mir herantrat, um zu sehen, wen er vor sich hätte, sagte ganz freundlich, er wolle meinen Korb gern mitnehmen, und ich möchte mich dazu oben aufsetzen. „Aber wo wollt Ihr denn hin“, fragte er mich dann, „mit dem schweren Ding?“ – Blos bis zum Fluss, sagte ich. – „Zur Elbe?“ – Ih Gott bewahre, zur Weser. „Zur Weser?“ rief der Mann erstaunt aus, „an die Elbe meint Ihr wohl.“ – Nein, sagte ich wieder, an die Weser, mein Schiff liegt ja drüben, dicht unter Bremerhaven. – „Na, du lieber Himmel,“ rief da der Mann, „da habt Ihr noch einen weiten Weg vor Euch und bliebt am besten hier über Nacht, vielleicht könnt Ihr dann morgen früh eine Fuhre dorthin bekommen; durch den Ort durch müsst Ihr doch.“ Durch den Ort durch? rief ich erschreckt, ja das ist ja doch gar nicht möglich, ich kann doch nicht darum hingelaufen sein. „Das weiß ich nicht“, lachte der Fuhrmann, „aber die zehn Meilen seid Ihr doch nicht mehr im Stande, heut Abend mit der Last zu machen.“ Zehn Meilen? schrie ich, und ich konnte mich vor Schreck kaum auf den Füßen erhalten, so fingen mir die Knie an zu zittern: – das kann ja aber gar nicht sein, denn ich bin vor einer Stunde etwa – der Fuhrmann ließ mich aber gar nicht ausreden und meinte: „Kann nicht sein; – wenn Ihr sie mit dem Korb da laufen wolltet, würdet Ihr glauben, es wären fünfzehn. Von Buxtehude aus werden zehn gute Meilen nach der Weser gerechnet.“ – Aber das ist doch nicht Buxtehude? schrie ich, halb tot vor Schreck. – „Das ist Buxtehude, Freund“„ sagte der Mann; „doch ich muss fort jetzt, will noch die Nacht nach Harburg und habe ebenfalls einen langen Weg vor mir. Gleich links, wenn Ihr ins Städtchen kommt, ist ein gutes Wirtshaus, da könnt Ihr übernachten“, und damit schwang er seine Peitsche um den Kopf, trieb seine Pferde an und ließ mich allein auf der Straße stehen. Wie mir aber zu Mute war, könnt Ihr Euch denken – und der Mann hatte Recht. Ich musste die Nacht in Buxtehude bleiben, wo sie mir aber mein Unglück nicht glaubten und mich für einen Deserteur von einem Hamburger Schiff hielten. Dorthin wurde ich am nächsten Morgen geschickt und später erst mit meinem Korb nach Bremen ausgeliefert, mein Schiff war aber indessen natürlich abgesegelt und ich blieb zurück.“
„Koch, Ihr gingt besser nach oben und wecktet den Kapitän“, unterbrach plötzlich Meier's tiefe und hochklingende Stimme das atemlose Schweigen, das der Erzählung des Kochs gefolgt war – „es ist die höchste Zeit.“
„Höchste Zeit?“ rief der Koch, erschreckt aufspringend; „was ist nun wieder los?“
„Noch nichts“, sagte Meier, „aber es kommt, der Wind hat sich nach Nordwesten gedreht und – es riecht draußen nach Schwefel.“
„Ich hätte bald 'was gesagt“, brummte der Koch ärgerlich; „wenn der Steuermann den Alten wach haben will, wird er ihn schon selber wecken. Bis er nicht morgen früh das Frühstück verschläft, weck' ich ihn gewiss nicht.“
„Wir werden morgen früh wohl kein Frühstück brauchen“, sagte Meier ruhig und setzte sich wieder auf den Platz in die Ecke.
„Um Gottes willen, was ist vorgefallen?“ riefen ein paar der leicht geängstigten Frauen, die den Platz umstanden und der Erzählung des Kochs ebenfalls gelauscht hatten; „hat der Sturm wieder angefangen?“
„Unsinn“, sagte der Koch, der aufgestanden war und durch die Luke nach oben gehorcht hatte; „es ist totenstill draußen – man kann die Segel an die Masten schlagen hören.“
Die Zwischendecks-Passagiere waren aber, schon durch die Erzählung aufgeregt, ängstlich gemacht worden, tranken ihre Becher aus und stiegen nach oben, um selber zu sehen, wie es an Deck ausschaue. Die See lag totenstill und der Nebel noch immer dick und schwer auf der Flut. – Wie das so sehr unheimlich um sie her rauschte und schwoll und in dem zerrissenen Takelwerk klapperte und schlug! Vorn am Bug standen die wachthabenden Matrosen und hatten eben wieder das Senkblei ausgeworfen, das diesmal dreißig Faden gab. Mit einem Flaschenzug holten sie das schwere Blei herauf, und der Steuermann ging langsam auf dem Quarterdeck auf und ab.
Hinten an der kleinen Kompassglocke schlug es elf Uhr, die große Glocke vorn antwortete den Schlägen; der Mann am Steuer wurde abgelöst und das Log geworfen, die Fahrt des Schiffes zu prüfen; die Brise hatte sich ein klein wenig verstärkt und das Schiff lief drei Meilen durch's Wasser, aber dicht am Winde, der jetzt gerade von Nordwesten zu wehen anfing. Als Log- und Senkbleiwerfen vorüber war, nahm alles wieder seinen ruhigen Gang, und der Steuermann stieg in die Kajüte hinunter, um Lauf und Richtung des Schiffes wie vermutete Abdrift auf seiner Tafel für die letzte Stunde zu notieren.
Die Zwischendecks-Passagiere blieben eine Weile an Deck, da sich aber nichts Außergewöhnliches erkennen ließ und die Nachtluft kalt und unfreundlich über die See herüberkam, stiegen sie nach und nach wieder einzeln hinunter, ihre Kojen zu suchen.
Es war recht still unten geworden; die Passagiere lagen sämtlich in ihren Betten, der alte Meier ausgenommen, der noch immer angezogen vor seiner Koje auf der Kiste saß und den Kopf in beide auf die Knie gestemmte Arme gestützt hatte. Nur das Schnarchen und regelmäßige Atmen der Schläfer unterbrach die Ruhe, und dann und wann einmal das ängstliche Aufschreien eines Kindes, das von der Mutter wieder beschwichtigt wurde.
Ein hohler, brausender Laut tönte über das Wasser, dem die dröhnenden Schritte der rasch über das Deck laufenden Matrosen folgten. Meier hob den Kopf, horchte einen Augenblick und stieg langsam nach oben.
„Kapitän, kommt an Deck!“ rief der Steuermann mit lauter, fast ängstlicher Stimme in die Kajüte hinunter, dass die Kajüts-Passagiere ebenfalls in ihren Betten auffuhren und die Männer sich rasch ankleideten. Der Kapitän hatte unausgekleidet auf seinem Bett gelegen, sprang mit beiden Füßen aus seiner Koje, griff seinen Südwester und den dicken Überrock auf, sie unterwegs aufzusetzen und anzuziehen, und stand im nächsten Augenblick neben dem Steuermann und dem Ruder vor dem Kompass.
„Was ist, Steuermann, was gibt's?“ fragte er mit ruhiger Stimme.
„Es kommt!“ sagte dieser lakonisch.
„Wie viel Faden?“
„Zwanzig“, lautete die Antwort.
„Böser Platz, wo es her weht“, sagte der Kapitän, nach dem Kompass sehend und seinen Rock dabei anziehend, „aber wir können mit bestem Willen nicht mehr Segel anbringen. Und wenn's zu arg wird, müssen wir sehen, dass wir irgendwo Anker werfen.“
„Wär' eine schlimme Geschichte“, brummte der Steuermann zwischen den Zähnen durch, „hallo, wie das zu heulen anfängt!“
„Werft das kleine Lot noch einmal“, sagte der Kapitän, während er den Fortgang seines armen Schiffes beobachtete und einen scheuen Blick nach Lee hinüber sandte. „Wenn man wenigstens die Leuchtfeuer erkennen könnte! Wie viel Uhr ist's?“
„Dreiviertel auf Zwölf“, sagte der Mann am Ruder, indem er sich bückte und nach der im Kompassgehäuse