Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit. Rudolf Steiner

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Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit - Rudolf Steiner


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Zug seines Charakters ist. Und es gehört zu den traurigen Zeichen der Oberflächlichkeit gegenwärtigen Denkens, dass ein Buch, das aus den Ergebnissen neuerer Naturforschung einen „neuen Glauben“ prägen will (David Friedrich Strauß, Der alte und der neue Glaube), über diese Frage nichts enthält als die Worte: „Auf die Frage nach der Freiheit des menschlichen Willens haben wir uns hierbei nicht einzulassen. Die vermeintlich indifferente Wahlfreiheit ist von jeder Philosophie, die des Namens wert war, immer als ein leeres Phantom erkannt worden; die sittliche Wertbestimmung der menschlichen Handlungen und Gesinnungen aber bleibt von jener Frage unberührt.“ Nicht weil ich glaube, dass das Buch, in dem sie steht, eine besondere Bedeutung hat, führe ich diese Stelle hier an, sondern weil sie mir die Meinung auszusprechen scheint, bis zu der sich in der fraglichen Angelegenheit die Mehrzahl unserer denkenden Zeitgenossen aufzuschwingen vermag.

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      David Friedrich Strauß – 1808 – 1874 – Philosoph und Theologe

      Dass die Freiheit darin nicht bestehen könne, von zwei möglichen Handlungen ganz nach Belieben die eine oder die andere zu wählen, scheint heute jeder zu wissen, der darauf Anspruch macht, den wissenschaftlichen Kinderschuhen entwachsen zu sein. Es ist immer, so behauptet man, ein ganz bestimmter Grund vorhanden, warum man von mehreren möglichen Handlungen gerade eine bestimmte zur Ausführung bringt.

      Das scheint einleuchtend. Trotzdem richten sich bis zum heutigen Tage die Hauptangriffe der Freiheitsgegner nur gegen die Wahlfreiheit. Sagt doch Herbert Spencer, der in Ansichten lebt, die mit jedem Tage an Verbreitung gewinnen (Die Prinzipien der Psychologie, von Herbert Spencer, deutsche Ausgabe von Dr. B. Vetter, Stuttgart 1882): „Dass aber jedermann auch nach Belieben begehren oder nicht begehren könne, was der eigentliche im Dogma vom freien Willen liegende Satz ist, das wird freilich ebenso sehr durch die Analyse des Bewusstseins, als durch den Inhalt der vorhergehenden Kapitel (der Psychologie) verneint.“

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      Herbert Spencer – 1820 – 1903 – englischer Philosoph und Soziologe

      Von demselben Gesichtspunkte gehen auch andere aus, wenn sie den Begriff des freien Willens bekämpfen. Im Keime finden sich alle diesbezüglichen Ausführungen schon bei Spinoza.

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      Baruch de Spinoza – 1632 – 1677 – niederländischer Philosoph

      Was dieser klar und einfach gegen die Idee der Freiheit vorbrachte, das wurde seitdem unzählige Male wiederholt, nur eingehüllt zumeist in die spitzfindigsten theoretischen Lehren, so dass es schwer wird, den schlichten Gedankengang, auf den es allein ankommt, zu erkennen. Spinoza schreibt in einem Briefe vom Oktober oder November 1674: „Ich nenne nämlich die Sache frei, die aus der bloßen Notwendigkeit ihrer Natur besteht und handelt, und gezwungen nenne ich die, welche von etwas anderem zum Dasein und Wirken in genauer und fester Weise bestimmt wird. So besteht zum Beispiel Gott, obgleich notwendig, doch frei, weil er nur aus der Notwendigkeit seiner Natur allein besteht. Ebenso erkennt Gott sich selbst und alles andere frei, weil es aus der Notwendigkeit seiner Natur allein folgt, dass er alles erkennt. Sie sehen also, dass ich die Freiheit nicht in ein freies Beschließen, sondern in eine freie Notwendigkeit setze.“

      „Doch wir wollen zu den erschaffenen Dingen herabsteigen, welche sämtlich von äußern Ursachen bestimmt werden, in fester und genauer Weise zu bestehen und zu wirken. Um dies deutlicher einzusehen, wollen wir uns eine ganz einfache Sache vorstellen. So erhält zum Beispiel ein Stein von einer äußeren, ihn stoßenden Ursache eine gewisse Menge von Bewegung, mit der er nachher, wenn der Stoß der äußern Ursache aufgehört hat, notwendig fortfährt, sich zu bewegen. Dieses Beharren des Steines in seiner Bewegung ist deshalb ein erzwungenes und kein notwendiges, weil es durch den Stoß einer äußern Ursache definiert werden muss. Was hier von dem Stein gilt, gilt von jeder andern einzelnen Sache, und mag sie noch so zusammengesetzt und zu vielem geeignet sein, nämlich, dass jede Sache notwendig von einer äußern Ursache bestimmt wird, in fester und genauer Weise zu bestehen und zu wirken.“

      „Nehmen Sie nun, ich bitte, an, dass der Stein, während er sich bewegt, denkt und weiß, er bestrebe sich, soviel er kann, in dem Bewegen fortzufahren. Dieser Stein, der nur seines Strebens sich bewusst ist und keineswegs gleichgültig sich verhält, wird glauben, dass er ganz frei sei und dass er aus keinem andern Grunde in seiner Bewegung fort fahre, als weil er es wolle. Dies ist aber jene menschliche Freiheit, die alle zu besitzen behaupten und die nur darin besteht, dass die Menschen ihres Begehrens sich bewusst sind, aber die Ursachen, von denen sie bestimmt werden, nicht kennen. So glaubt das Kind, dass es die Milch frei begehre und der zornige Knabe, dass er frei die Rache verlange, und der Furchtsame die Flucht. Ferner glaubt der Betrunkene, dass er nach freiem Entschluss dies spreche, was er, wenn er nüchtern geworden, gern nicht gesprochen hätte; und da dieses Vorurteil allen Menschen angeboren ist, so kann man sich nicht leicht davon befreien. Denn wenn auch die Erfahrung genügend lehrt, dass die Menschen am wenigsten ihr Begehren mäßigen können und dass sie, von entgegengesetzten Leidenschaften bewegt, das Bessere einsehen und das Schlechtere tun, so halten sie sich doch für frei und zwar, weil sie manches weniger stark begehren und manches Begehren leicht durch die Erinnerung an anderes, dessen man sich oft entsinnt, gehemmt werden kann.“

      Weil hier eine klar und bestimmt ausgesprochene Ansicht vorliegt, wird es auch leicht, den Grundirrtum, der darin steckt, aufzudecken. So notwendig, wie der Stein auf einen Anstoß hin eine bestimmte Bewegung ausführt, ebenso notwendig soll der Mensch eine Handlung ausführen, wenn er durch irgendeinen Grund dazu getrieben wird. Nur weil der Mensch ein Bewusstsein von seiner Handlung hat, halte er sich für den freien Veranlasser derselben. Er übersehe dabei aber, dass eine Ursache ihn treibt, der er unbedingt folgen muss. Der Irrtum in diesem Gedankengange ist bald gefunden. Spinoza und alle, die denken wie er, übersehen, dass der Mensch nicht nur ein Bewusstsein von seiner Handlung hat, sondern es auch von den Ursachen haben kann, von denen er geleitet wird. Niemand wird es bestreiten, dass – das Kind unfrei ist, wenn es die Milch begehrt, dass der Betrunkene es ist, wenn er Dinge spricht, die er später bereut. Beide wissen nichts von den Ursachen, die in den Tiefen ihres Organismus tätig sind, und unter deren unwiderstehlichem Zwange sie stehen. Aber ist es berechtigt, Handlungen dieser Art in einen Topf zu werfen mit solchen, bei denen sich der Mensch nicht nur seines Handelns bewusst ist, sondern auch der Gründe, die ihn veranlassen? Sind die Handlungen der Menschen denn von einerlei Art? Darf die Tat des Kriegers auf dem Schlachtfelde, die des wissenschaftlichen Forschers im Laboratorium, des Staatsmannes in verwickelten diplomatischen Angelegenheiten wissenschaftlich auf gleiche Stufe gestellt werden mit der des Kindes, wenn es nach Milch begehrt? Wohl ist es wahr, dass man die Lösung einer Aufgabe da am besten versucht, wo die Sache am einfachsten ist. Aber oft schon hat der Mangel an Unterscheidungsvermögen endlose Verwirrung gebracht. Und ein tiefgreifender Unterschied ist es doch, ob ich weiß, warum ich etwas tue, oder ob das nicht der Fall ist. Zunächst scheint das eine ganz selbstverständliche Wahrheit zu sein. Und doch wird von den Gegnern der Freiheit nie danach gefragt, ob denn ein Beweggrund meines Handelns, den ich erkenne und durchschaue, für mich in gleichem Sinne einen Zwang bedeutet, wie der organische Prozess, der das Kind veranlasst, nach Milch zu schreien.

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      Karl Robert Eduard von Hartmann – 1842 – 1906 – Philosoph

      Eduard von Hartmann behauptet in seiner „Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins“ (S. 451), das menschliche Wollen hänge von zwei Hauptfaktoren ab: von den Beweggründen und von dem Charakter. Betrachtet man die Menschen alle als gleich oder doch ihre Verschiedenheiten als unerheblich, so erscheint ihr Wollen als von außen bestimmt, nämlich durch die Umstände, die an sie herantreten. Erwägt man aber, dass verschiedene Menschen eine Vorstellung erst dann zum Beweggrund ihres Handelns machen, wenn ihr Charakter ein solcher ist, der durch die entsprechende Vorstellung zu einer Begehrung veranlasst wird, so erscheint der Mensch von innen bestimmt und nicht von außen. Der Mensch glaubt nun, weil er, gemäß seinem Charakter, eine ihm von außen aufgedrängte


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