China – ein Lehrstück. Renate Dr. Dillmann

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China – ein Lehrstück - Renate Dr. Dillmann


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      Die „Neue Seidenstraße“ ist das größte Infrastruktur-Projekt der Weltgeschichte, geplante Kosten: 900 Milliarden bis eine Billion US-Dollar. Es geht zunächst um einen umfassenden Ausbau von Verkehrswegen – das kann man als die Ebene 1 des Projekts bezeichnen. Die Neue Seidenstraße soll Asien mit Europa mittels mehrerer neuer Eisenbahnlinien, zum Teil durch Hochgeschwindigkeitszüge, verbinden. Dazu gehört der Bau neuer Umschlagplätze wie Khorgos an der kasachisch-chinesischen Grenze ebenso wie der Ausbau alter Häfen. Die „maritime“ Seidenstraße wiederum soll Transportwege in Afrika und Mittel- und Südamerika entwickeln: Straßen, Autobahnen, Pipelines. Um das zu finanzieren, hat die chinesische Regierung 2013 eine Bank gegründet (AIIB Asieninfrastrukturinvestitionsbank), die Kreditgeber aus aller Welt unter ihrer Führung einlädt, daran zu verdienen – eine Aufforderung, der zum großen Ärger der USA alle westlichen Länder bis auf Japan gefolgt sind.

      Mit seiner BRI will China die Handelsströme sichern, auf die es als inzwischen kapitalistische, auf erfolgreiches Wachstum orientierte Macht angewiesen ist: die Ex- und Importwege seiner Waren und Rohstoffe. Das ist, analytisch gesehen, die Ebene 2 des Seidenstraßen-Projekts und diese ist strategischer Natur. Sie zielt darauf, sich gegenüber absehbaren Störversuchen insbesondere der USA, ihrer Seestreitkraft und ihrer engen Alliierten, unangreifbarer zu machen (Südostasiatisches Meer, Straße von Malakka, Suez-Kanal). Daher der Ausbau der vielen landgestützten Verbindungen zwischen Asien und Europa, aber auch das Großprojekt eines zweiten Kanals, des Managua-Kanals in Mittelamerika, um dem US-beherrschten Panama-Kanal auszuweichen.

      Zudem legt China im eigenen Interesse – ökonomisch, um sein Geschäft voranzubringen und politisch als potenzielle Unterstützung in der Auseinandersetzung mit den USA – Wert auf freundschaftliche, stabile Beziehungen zu möglichst vielen anderen Nationen. Die muss es sich, als aufsteigende Großmacht, erst einmal erwerben bzw. absichern und kennt deshalb aus strategischen Gründen tatsächlich ein Moment von positiver Bezugnahme auf deren Interessen. China baut in Afrika Staudämme, Straßen und Eisenbahnen zu vorteilhaften Konditionen40; es vergibt Kredite günstiger als jene der Weltbank und anderer Anbieter; es bietet den durch die ökonomische Konkurrenz ruinierten Staaten Europas Alternativen zu den EU-Sparprogrammen (Beispiele Griechenland, Italien).

      Keine Frage, dass auch chinesische Politik da, wo es ihr im eigenen Interesse nötig erscheint, zu mehr oder weniger heftigen Erpressungen greift und dafür die Mittel einsetzt, die sie sich in den letzten Jahren erworben hat: die ökonomischen Abhängigkeiten anderer Staaten, die chinesische Waren oder Kredite brauchen oder an China verkaufen müssen. Keine Frage auch, dass es deshalb Unzufriedenheit mit den geschäftlichen Konditionen oder dem „arroganten“ Auftreten der Chinesen gibt. Das gibt das Material dafür ab, China für seinen „neuen Imperialismus“ anzuklagen. Allerdings: Das ist das übliche Geschäftsgebaren in einer Welt konkurrierender Kapitale und Staaten. Erneut gilt hier, dass die Beschwerden über ein China, das nicht anders handelt als die etablierten Macher der geltenden Weltordnung, weniger die Besonderheit des chinesischen Aufstiegsprojekts als die Anspruchshaltung von USA und EU charakterisieren: Sie wollen die Nutznießer der globalen Konkurrenz sein und verlangen unbedingte politische Gefolgschaft der Nationen, die sie sich in ihren ökonomischen und politischen Bündnissen zugeordnet haben. Und es ist auf alle Fälle das, was es braucht, wenn ein Staat auf dem Weltmarkt erfolgreich sein und in dieser Ordnung Weltmacht sein will; die USA machen es schließlich täglich vor. Auch die EU und insbesondere ihre ökonomische Führungsmacht Deutschland verfahren nach demselben Rezept, haben sich Ost- und Südeuropa untergeordnet und können es überhaupt nicht leiden, wenn Beijing diesen Staaten auch nur bessere Verhandlungsmöglichkeiten gegen die „alternativlosen“ Ansagen aus Brüssel und Berlin beschert.

      China will das momentan geltende Resultat dieser Weltordnung, die die USA nach 1945 zu ihrem Vorteil eingerichtet und nach 1990 als alleinige Weltmacht vollendet haben, zu seinen Gunsten verändern. Mit seiner Neuen Seidenstraße will es die Bedingungen des weltweiten Geschäfts für die kommenden Jahrzehnte zu seinem Nutzen festklopfen. So will das frühere „Reich der Mitte“ endlich die „ihm gebührende“ Weltmachtstellung wiedergewinnen – das ist die Ebene 3 des Projekts. Dieses Verlangen ist eine ernsthafte Kampfansage an die USA als Hegemon der bisherigen Weltordnung – auch wenn es aus der Position der schwächeren Nation heraus bescheiden in den Antrag auf eine „multilaterale Welt“ gekleidet wird.

      Chinas kommunistische Staatspartei sorgt im Inneren mit all ihrer Macht und dem bereits verdienten Geld dafür, möglichst schnell und intensiv alle Landesteile zu erschließen und Land und Volk zu einer ständig größer werdenden kapitalistischen ,Wachstumsmaschinerie‘ zu machen. Sie weiß, dass der Aufstieg des Landes schwerlich zu stoppen ist, wenn dieses Programm im Inneren ebenso ungestört weiter läuft wie die mit BRI in Angriff genommene Expansion. Und sie weiß, dass das auch den USA bewusst ist, die den lästigen Rivalen in Asien stoppen wollen und mit Handelskriegen, geostrategischer Einkreisung und der Befeuerung islamistischer oder tibetischer Separationsbestrebungen an seinen „empfindlichen“ Punkten ansetzen: seinen Weltmarkterfolgen und seiner staatlichen Hoheit. Deshalb wächst mit Chinas weltweiten Wirtschaftsinteressen auch sein Bedarf an militärischen Mitteln der „nationalen Sicherheit“, um den eigenen wirtschaftlichen Aufstieg gegen die Aggression des Westens abzusichern.41

      Der Kampf der USA

      Natürlich ist der Gegensatz zwischen den USA und China nicht mit der „Neuen Seidenstraße“ in die Welt gekommen, ebenso wenig übrigens wie mit dem Amtsantritt von Donald Trump. Auch wenn alle journalistischen oder wissenschaftlichen Beobachter nichts vom Grund des Gegensatzes dieser Großmächte wissen wollen – die Konkurrenz um den Nutzen aus dem Welthandel ist, bei aller Verflechtung von „Chimerica“ und bei allem Geschwätz vom globalisierten Welthandel „zum Nutzen aller“, in der letzten Instanz ausschließend, feindlich, kriegsträchtig! –, haben inzwischen doch alle irgendwie mitgekriegt: Dieser Konflikt ist nicht auflösbar; er ist da und er wird, auch ohne Trump, bleiben (bis es kracht).

      Schon vor Trump gab es diverse Anläufe der US-Präsidenten, den schnellen Aufstieg Chinas zu behindern: mit den Beitrittsverhandlungen zur und danach innerhalb der WTO; indem die USA im Zuge der Finanzkrise ein verstärktes Gewicht Chinas im IWF blockiert haben; mit der Konstruktion diverser Freihandelsabkommen, die sich gegen China richteten (TPP und TTIP). Dass einige außenpolitische US-Aktivitäten Staaten aufs Korn genommen und schwer geschädigt haben, die gute Handelsbeziehungen zu China unterhielten (Iran, Sudan, Libyen) ist sicher auch kein Zufall, sondern zumindest gewollter Kollateralschaden. Trump hat die Palette der US-Bemühungen dann erweitert: massive Schutzzölle, die chinesische Waren verteuern; Nötigung amerikanischer Unternehmen, ihre Investitionen in die US-Heimat (zurück) zu verlagern; ein Gesetz, das chinesische Firmenkäufe in den USA unter Aufsicht stellt; eine Neuauflage der Cocom-Liste, die im Kalten Krieg den Export militärisch nutzbarer Technologie verhindert hat. Er hat seine Experten eine Strategie des „Decoupling“ ausarbeiten lassen, um notfalls alle ökonomischen Beziehungen zum chinesischen Feindstaat zu unterbrechen. Und er bekämpft mit dem Technologiekonzern Huawei exemplarisch das modernste chinesische Kapital, das sich gerade angeschickt hat, viele westliche Staaten mit seiner 5-G-Technik auszurüsten, die für viele künftige Schritte bei der Digitalisierung von Produktion, Transport und Kommunikation gebraucht wird (Stichwort: Industrie 4.0) und als Schlüsselindustrie wie Herrschaftsinstrument in der künftigen Konkurrenz der Unternehmen wie Nationen deshalb unverzichtbar ist.

      Die ersten Schritte des neuen US-Präsidenten Joe Biden machen deutlich, dass er die China-Politik seines „unmöglichen“ Vorgängers Trump konsequent weiterverfolgen wird.

      Unmittelbar nach seiner Amtseinführung unterzeichnete Biden, der seine China-Politik unter das Motto „extremer Wettbewerb“ stellt, eine Verordnung, der zufolge US-Regierungsbehörden nur im eigenen Land erstellte Waren und Dienstleistungen kaufen sollen (dabei handelt es sich um einen Umfang von etwa 600 Mrd. Dollar). Der zulässige Anteil im Ausland hergestellter Bauteile wird gesenkt, Ausnahmegenehmigungen erschwert.42 Bemerkenswert an diesen Kämpfen der Weltmacht ist: Sie offenbaren, dass den USA ihr bisheriges Konkurrenzmittel abhandenkommt. Bisher waren sie die Macht, die auf Freiheit im Welthandel und dem Abbau aller (Zoll-)Schranken


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