Vorm Mast. Wolfgang Bendick
Читать онлайн книгу.(Bereitschaft), soll wohl Kaffee auf die Brücke bringen.
Und unser Kaffee? Der Scheich taucht auf. „Mickymaus, du machst mit dem Neuen (er zeigt auf mich Namenlosen) das Lotsengeschirr an Steuerbord fertig!“ Die Lotsenleiter liegt aufgerollt neben dem 2. Deckshaus. Wir schleifen sie zur Verschanzung (geschlossene Reling). „Schau her“, sagt Mickymaus, „hier sind 2 Augen auf Deck angeschweißt, extra für die Lotsenleiter.“ Das ist eine Strickleiter mit 2 Paar Hanfseilen, die durch in Holzsprossen gebohrte Löcher geführt sind. Diese Seile sind über und unter den Sprossen mit Bändseln miteinander verbunden, damit die Sprossen nicht rutschen können. Jede 5. Sprosse ist dreimal so lang wie die anderen, damit die Leiter sich nicht verdrehen kann, wenn sie außenbords hängt und das Schiff krängt. „Wir befinden uns am hinteren Ende von Luke 2. Somit hat man von der Brücke einen guten Einblick auf den Lotsenwechsel. Das ist vor allem auf See wichtig, wo das Wasser nicht so ruhig ist, wie hier auf der Elbe. Das Schiff ragt weit genug aus dem Wasser, wir können also fast die ganze Länge ausstecken. Schau her: Zuerst die beiden Tampen am Anfang der Leiter mit einem Rundtörn und zwei halben Schlägen an den Augen auf dem Deck befestigen. Nicht vergessen, erst festbinden, sonst kann es sein, dass die ganze Leiter weg ist.“ Nun rollen wir die Leiter ab bis zum Lukensüll und wieder zurück zur Verschanzung. Den Rest, ein paar Meter, werfen wir über Bord. Dieser entrollt sich schnell, das Ende der Leiter knallt etwas heftig gegen die Bordwand. „War wohl ein bisschen viel“, sagt Mickymaus und schaut hinauf zur Brücke. „Die da oben haben aber nichts davon mitgekriegt. Sind am Kaffeetrinken!“ Dann lassen wir den Rest der Leiter Sprosse um Sprosse hinab, bis alles ausgesteckt ist und prüfen die Knoten. Ein Blick über Bord zeigt uns, dass das Ende so 1 Meter über dem Wasser hängt. „Fast etwas zu hoch. Aber zu tief ist auch nichts, weil sonst die Leiter das Wasser berührt und sich bewegt. Jetzt hängen wir noch die Lotsentreppe über den Schanddeckel und vertäuen sie zur Reling hin, damit sie nicht kippen kann. Noch einen Rettungsring mit Leine in Bereitschaft und eine Wurfleine, falls der Lotse eine Tasche dabei hat, um diese daran hinabzulassen. Den Lotsenwechsel zu überwachen ist Aufgabe der Wachgänger. „Lotsengeschirr bereit an Steuerbord“, melden wir dem Bootsmann. „Zurück an die Arbeit!“, bellt er, „und wenn ihr wieder Dreck außenbords werft, dann macht das so, dass man es von oben (er zeigt mit dem Daumen zur Brücke) nicht sehen kann! Verdammt noch mal, könnt ihr nicht selber denken?“
Anscheinend hat er einen Anschiss gekriegt. Also nicht immer nur wir! Anstatt dass uns mal einer der Alten eine Arbeit richtig erklärt, muss man sich alles von den anderen abschauen. Nur die anderen Kadetten erbarmen sich uns Neuer und erklären, was wie zu tun sei. Das verstärkt die Solidarität in unserem Rattenclub. „Genug getrödelt!“, der Bootsmann war uns auf den Fersen. „Ihr Scheißhacken! Los! Ladegeschirr seefest machen!“ Zum Glück waren die Luken schon vorm Ablegen zugezogen worden. Jetzt heißt es, die Ladebäume niederlegen, in die vorgesehenen Halterungen. An die Winden dürfen natürlich nur die Matrosen. Aber die oft mit Fleischhaken (zerbrochene Drähte, die aus einem Seil herausstehen) gespickten Windenläufer (Seile zum Heben der Ladung) von den Trommeln der Winde abzurollen, mit den Kinken zu kämpfen, dann die Faulenzer (dünnes Drahtseil, das auf der Hangertrommel im umgekehrter Richtung aufgerollt ist wie der Hanger, dient zum Heben oder Senken der Ladebäume) auf dem Spillkopf einzuhaken und dann sauber auflaufen lassen, das ist Rattenarbeit! Ist der Faulenzer voll aufgespult, wird leicht weiter gehievt, bis das Pall (die beiden Randscheiben der Hangertrommel besitzen grobe Zähne; in diesen liegt beweglich eine solide Eisenstange (Pall) welche die Trommel blockiert) freikommt. Schnell muss man nun das Pall hochheben, während der Matrose langsam den Ladebaum durch Fieren des Faulenzers mit der Winsch senkt.
Willkommen-Höft in Schulau
Knirschend spult dieser zurück vom Spillkopf an seinen Platz auf der Hangertrommel, währen der dicke, gut gefettete Hanger langsam abrollt und der Baum niedergeht. Seitlich wird der Baum mittels zweier Geien (Taljen aus Tauwerk) geführt, bis er in der Halterung zum Liegen kommt. Verfehlt der Baum die Halterung, benennt man uns mit allen möglichen Namen von Tieren oder Körperteilen... Meist lassen wir die Faulenzer auf dem Spill, weil sie im nächsten Hafen als Erstes gebraucht werden. Es sei denn, man hat einen Seetörn (Seereise) vor sich. Dann werden die Ladebäume mittels der Windenläufer an Deck befestigt. Oft stellt man die Bäume auch nur fest, d. h. man lässt sie getoppt (oben) und sichert sie durch Festhieven, indem man die über Kreuz an Deck befestigten Ladeläufer mit der Winde spannt. Aber hier auf der Elbe ist es besser aus Gründen der Sicht oder Radarbeeinflussung zumindest das Vorschiff klar zu haben. Erklärt mir Mickymaus. Wie viele Ladebäume hat ein Schiff? Normalerweise vier pro Luke. Bei fünf Luken macht das also 20 Bäume, ein kleiner Wald. Da bräuchte man fast einen Förster...
Wedel kommt näher. Trillerpfiff von der Brücke: „Bereit zum Flaggedippen am Willkommen-Höft in Schulau!“ Auf der Café-Terrasse stehen ein paar fröstelnde Schaulustige. „Motorschiff Natal der Deutschen Afrikalinien, 6270 BRT auf der Ausreise nach Westafrika!“ Sie wünschen uns eine gute Reise und spielen das Deutschlandlied. Sachsenberg dippt die Flagge. Da drüben geht wohl alles auf Knopfdruck, denn man sieht niemanden am Mast. Die Nationalhymne dringt bruchstückweise und etwas blechern zu uns herüber. Wir sind etwas gerührt. „Kokolores! Nichtstuer! Maulaffen!“, ruft der Scheich. Wir wissen nicht, meint er uns oder die an Land. Wohl alle. Also arbeiten wir weiter und schauen heimlich nach Schulau hinüber. Es wird mir plötzlich bewusst: Ich bin auf einem Schiff und fahre nach Afrika! Das achteraus verhallende Deutschlandlied verwandelt sich in meiner Phantasie in das Tamtam von Trommeln...
HEJ LÜCHT
Vier Doppelschläge von der Schiffsglocke auf der Brücke zeigen acht Glasen an. Also 12 Uhr Mittag. Wachwechsel. Die neue Wache hat schon um halb zwölf gegessen, und löst gerade die alte ab. Wir lassen die Arbeit fallen und schauen uns das an beiden Seiten vorbeiziehende Land an. Niemand kann uns im Moment anmachen, es ist ja Mittagspause. Dann gehen wir nach achtern in die Messe essen. Inge, der wie die anderen seine zweite Reise macht, hat es vorgezogen, Backschaft zu machen. Er hat voll zu tun, das Essen von der Kombüse mittschiffs zur Messe achtern zu schaffen. Wie wird das erst auf See werden, wenn es noch schaukelt?
Die Back
Nach dem Essen klaren wir weiter das Deck auf. Geien und Preventer (in der Länge regelbare Stahlseile, die mit den Geien die seitliche Verankerung der Ladebäume darstellen) aufschießen. So vergeht der Nachmittag, während wir von der Strömung und der Maschine stetig elbabwärts bewegt werden. Cuxhaven und Brunsbüttel ziehen vorbei, weite, flache Wiesen unter einer glitzernden Reifschicht, hier und da eine Industrieanlage. Feuerschiff Elbe 1 kommt in Sicht. Rot liegt es im leicht bewegten Wasser. Der Himmel hat sich inzwischen aufgeklart.
Erneuter Lotsenwechsel. Ein kleines, mit einem klappbaren Spritzverdeck, ähnlich dem eines Kinderwagens versehenes gelbes Boot löst sich vom Lotsenschiff und hüpft zu uns heran. Als es nahe genug ist, wendet es, um parallel zu uns mit gleicher Geschwindigkeit zu fahren. Der Abstand verringert sich. Als es neben der ausgebrachten Leiter angekommen ist, tritt der Lotse hinter dem Klappverdeck heraus. Ein schneller, prüfender Blick, und schon steht er auf den Sprossen und hangelt sich hoch. Sogleich dreht das Boot ab, um in geringer Entfernung neben uns herzufahren. Ein Offizier und Schmidchen, der gerade Wache hat, stehen neben der Treppe an Deck, dort, wo die Leiter befestigt ist. Schmidchen hält das Geländer der Treppe fest, um sie zu sichern (und nach unserer Devise, immer etwas in der Hand zu haben, damit man uns nicht des Nichtstuns bezichtigen kann). Der Offizier reicht dem Lotsen, als dieser auf Schanddeckelhöhe angekommen ist, die Hand, und hilft ihm an Deck zu steigen. Haben die Offiziere die gleiche Devise wie wir? Beide eilen nach Mittschiffs zur Brücke hoch. Kurz darauf kommt der Flusslotse herunter, das Lotsenboot kommt wieder längsseits, er springt hinein, unterstützt von einem der zwei Besatzungsmitglieder des Bootes. Ein letzter Blick zum Schiff, die Hand grüßend an den Mützenrand gelegt.