Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2. Jochen Klepper

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Jochen Kleppers Roman


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der Ordnung mitten im Reich und im Herzen Europas zu begründen, indes das Reich zerfiel und das von Kriegen und Schwindelgeschäften erschöpfte Europa sich selber zu zerreißen drohte.

      Man sah Preußens Tätigkeit, Beharrlichkeit und Mut an jedem Tage von neuem bewiesen und überschätzte darum dauernd seine Mittel. Wen nahm der große Diplomatenwechsel da wunder?

      Von all den neuen Ragomontaden, Turlipinaden und Windbeuteleien, wie der König es nannte, erholte er sich hernach in rechter Männerunterhaltung mit dem neuen Freunde Seckendorff. Der kaiserliche General hielt sich vom Odium der Diplomatie unverändert frei. Kein Aufenthalt in Potsdam, der dem Wiener Grafen nicht rasch eine Einladung am Hofe brachte. Keine Übersiedlung Seiner Majestät nach Berlin, die nicht Seckendorff beinahe als dem ersten mitgeteilt wurde. So große Hochschätzung, so lebhafte Sympathien hegte der König für ihn. Es schien ihm noch unfasslich, dass abseits von aller Politik einer aus Wien kam, um von seinem Regiment zu lernen. Der kaiserliche General weilte geradezu als der Gast des königlichen Leibregimentes am preußischen Hofe und trug sogar schon dessen Uniform. Tapfer wie ein Degen sprach der gewiegteste aller kaiserlichen Geheimdiplomaten, der mit Bibel und Gesangbuch seinen Einzug in den Königsstädten Preußens gehalten hatte: ein General mit bürgerlicher Biedermannsmiene und dem Stiernacken und der Redeweise eines braven Pächters. Aber der Biedere war gerieben wie ein Pferdehändler und wusste, wie es anzufangen sei, die Weisung auszuführen, die vom Prinzen Eugen, Habsburgs großem Wächter, an ihn ergangen war, „den Unwillen des Königs gegen den englischen Hof auf eine geschickte Weise immer zu vergrößern“.

       Die Königin, soweit der Schmerz über den Verlust des vergötterten Vaters es gestattete, war empört, dass der Gatte den bäurischen General all den neu erschienenen Gesandten so offensichtlich vorzog. Ihr Ältester sah sie in den Gewändern ihrer tiefen Trauer nur lächelnd, nur kühn, nur beschwingt; und unendlich liebevoll und zärtlich. Hundertmal schon hatte sie ihm gesagt: „Nun bist du die aufgehende Sonne. Um deinetwillen geschieht der Wechsel auf allen an deiner Heirat interessierten Gesandtschaften. Spürst du, dass eine neue Zeit der Geltung unseres Landes sich ankündigt? Und dein Vater nimmt es nicht wahr, geht stumpf daran vorbei. Du aber und ich –.“

      * * *

      Der König ritt durch seine Stadt, hundert Rufe und Fragen im Blick. Es war in der Stunde nach Tisch, in der er beim Ausreiten Bittschriften entgegennahm, welche dann abends in der Tabagie besprochen wurden.

      So unablässig Sand- und Ziegelkarren durch die Straßen rollten, so unaufhörlich auch Gerüste abgebrochen und errichtet wurden, lag dennoch ein Schimmer von Festlichkeit über der Königsstadt! Denn immer wieder trug ein Dachfirst von weißem, jedoch manchmal gar zu jungem Holz den Laub- und Bänderschmuck der Richtfestkrone.

      Ein neuer Stadtteil war um des Königs erst kürzlich eingeweihte Garnison-Kirche entstanden. Wieder war er selbst der erste Bauherr am Platze, auf Nacheiferung hoffend. Die Hiller und Brand waren fähige Männer; denen konnte man schon einmal ein etwas prächtigeres Haus zum Präsent machen und zugleich damit der Gattin eine kleine Freude im ihr gar so fremden Potsdam bereiten. Nun stand der reiche Bau vollendet, getreu dem Königsschloss Whitehall in England nachgebildet, neben dem vornehmen Gasthof zum „König von England“, dessen Name ebenfalls eine Huldigung an Frau Sophie Dorothea darstellte. Der Daum mit seiner Lütticher Gewehrfabrik, der war ein Unternehmer ganz nach König Friedrich Wilhelms Sinn. Für ein Bataillon Flinten die Woche, das brachten die Lütticher Büchsenmacher zu Potsdam nun schon zustande; und daher hatten auch sie allein die Genehmigung, noch Branntwein zu trinken.

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      Garnisonskirche in Potsdam

      Die Bauten Potsdams waren schon zum Vorbild für die ganze Monarchie geworden. Häuser für Brauer, Bäcker, Handwerker jeglicher Innung wurden nach besonderem Muster gebaut, als solle jeder von ihnen die vollkommenste Werkstatt seines Gewerbes erhalten. Die Stadt war von sauberen Wassern durchströmt. Der König hatte nach Kanälen und Bassins Durchstiche für das Havelwasser machen lassen. Er führte die große sächsische Poststraße durch Potsdam. Er dotierte die Stadtkämmerei mit Rittergütern. Von Kirchen und von Regimentern zog er Baukollekten ein; aber größer waren immer noch die Bauzuschüsse, die er selber gab.

      Der Herr, vorüberreitend, schaute in die Armenhäuser, Hospitäler, Arbeitshäuser, ob alles fest und hell und nützlich sei und selbst die Strafe noch der Besserung und der allgemeinen Wohlfahrt diene. Keinesfalls sollten die rechtschaffenen Untertanen zur Erhaltung der Verbrecher Steuerbeträge zahlen, daher mussten die Gefangenen arbeiten und mit ihrer Arbeit so viel verdienen, dass die Zucht- und Arbeitshäuser keinerlei Staatszuschuss erforderten, ja, der Staat durch sie noch Gewinn für allerlei Wohltätigkeit erzielte. Der Schuldige sollte als Helfer des Unglücklichen büßen.

       Potsdam war Manufakturstadt geworden, die Manufakturstadt aber Soldatenquartier. Am mächtigsten waren die Soldatenhäuser emporgeschossen, erst neuerdings hundert und abermals hundert. Denn seinen verheirateten Grenadieren gab der König, kündeten sie ihm den ersten Sprössling an, ein eigenes Haus. So wohnten sie behütet und geordnet, indes in den Garnisonen der anderen Fürsten des Reiches und Europas Soldatenfrauen und Soldatenkinder verfemt, verspottet und gemieden, ja gefürchtet waren. Der Leib des Mannes war an den Landesherrn verkauft; sonst war und blieb der Soldat „gottlos, frech, faul und unbändig“ gescholten und war nicht wert, dass einer Mühe an ihn wandte. So dachten sie alle; so hielt es jeglicher Fürst, nur nicht der Oberst von Potsdam. Die Zeiten für den Tod gekaufter Söldner, die Zeiten der vertriebenen Soldatenweiber und des verwahrlosten Kindertrosses – in Preußen waren sie, allein auf dieser weiten, argen Welt, vergessen; und die Huren gingen scharenweise außer Landes. Andere Regenten hatten verkommene Feldlager, wo der Herr in Preußen eine Stadt der ewigen Hochzeit unablässig wachsen ließ.

      Vorüber war, dass, wer die neuen Straßen seiner Stadt durchstreifte, wohl meinen musste, Potsdam sei ein kriegerischer Staat der Männer, ein heldischer Orden, ein Kloster in Waffen. Nun machten die größten, die stärksten, die schönsten Männer Europas Potsdam zur Fülle der Völker, zur Stadt der neuen Geschlechter, zum fruchtbaren Reich, das immer weitere Grenzen verlangte. Die Mädchen aus den Dörfern rings wurden als Bräute umworben. Und der König lächelte, wenn Gundling ihn an den Doppelsinn des Wortes Werbung gemahnte. Helden warb er für sein menschenarmes Land. Frauen warb der König für die Helden. Das Leben, nicht der Tod, ward hier zwischen Waffenarsenalen bereitet; und immer wieder waren Bauholzwagen, Pflüge und Kanonen hochzeitlich umkränzt. Mitten in Exerzitium und Arbeit brach immer wieder die Feier an. Was er den Soldaten gewährte, verweigerte der Herr auch den jungen Handwerksgesellen nicht, die er werben musste wie jene. Er versprach ihnen ihr Handwerksgerät, Vorschuss an Material und ein „hiesiges Mädchen zur Frau: Dadurch kommt der Geselle sofort zu Brot, etablieret eine Familie und wird sein eigener Herr. Da denn nicht zu glauben, dass es große Mühe kosten werde, dergleichen Leute nach Unseren Landen zu ziehen“.

      Er warb noch um die Waisen der Grenadiere, obwohl noch keiner gefallen war für den König von Preußen. Er forschte unablässig nach Soldatenwaisen, die den fremden Potentaten von allem das lästigste Gesindel bedeuteten. Tausend Kinder barg er schon im großen neuen Haus; und überreich hatte er es mit Ländereien, Steuereinkünften und Leihhauserträgen beschenkt.

      Mit losem Zügel, langsam, ritt der Herr am Waisenhaus vorbei. Er wollte unbemerkt die Kinder belauschen. Brav, brav: Da saßen auf Bänken rings im Hof die Knaben und strickten Strümpfe für die Regimenter; die Soldatenfrauen aber mussten ihnen monatlich jede vier Pfund Wolle dafür spinnen.

      Im Nachbarhofe waren mit sauberen Schürzen und frischgewaschenen Händen die Mädchen um den großen Rahmen der Handarbeitslehrerin geschart, die er sich eigens aus Brüssel verschrieb, damit sie die Soldatentöchter die hohe, reichbezahlte Kunst des Spitzenknüpfens lehre, wie allenthalben in seinem Reiche „gute Spinnerinnen auf dem flachen Land umherreisen mussten“, die Frauen zu Hilfs- und Heimarbeiterinnen für die königlichen Manufakturen auszubilden.

       Wen in der Welt, der ein Handwerk besonders gut verstand, hätte König Friedrich Wilhelm nicht in Potsdam anzusiedeln gesucht?! Er hatte solchen Meistern, sie mit ihrem tiefsten Herzen hier zu halten, ihre alte


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