Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2. Jochen Klepper

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demonstrierte, vermerkte er es dankbar und erfreut als liebevolle Aufmerksamkeit, die lediglich ihm selbst galt. Er fand seine älteste Tochter in jeder Weise reizend. Dabei war sie, namentlich der etwas spitzen Nase wegen, nicht eigentlich hübsch. Obwohl ihre Haare allmählich von Blond zu braun gedunkelt waren und das Blau der Augensterne sich von Jahr zu Jahr vertiefte, war sie der Mutter nicht ähnlich geworden und nach des Vaters Meinung keinesfalls eine zweite Sophie Dorothea.

      Aber klug, verteufelt klug sah seine Tochter aus; König Friedrich Wilhelm stellte es mit Achtung fest. Während der Nachmittagsstunden plauderte er trotz aller seiner Arbeit immer wieder mit ihr, und am Abend speiste er regelmäßig auf ihrem Zimmer; er bezeigte ihr wiederholt ganz außerordentliches Vertrauen und unterhielt sich mit ihr sogar von Geschäften, denn Friedrich war unentwegt durch die Gouverneure beschäftigt, und jede Stunde seines Tages war fest eingeteilt. Um sechs Uhr wurde er geweckt. „Der Prinz“, so hieß es in der väterlichen Instruktion, „darf sich im Bett nicht nochmals umwenden. Er muss hurtig und sogleich aufstehen, alsdann niederknien, sein Morgengebet sprechen, sich dann geschwinde ankleiden, Gesicht und Hände waschen, aber nicht mit Seife, seinen Frisiermantel anlegen und sich frisieren lassen, aber ohne Puder. Während des Frisierens soll er Tee und Frühstück einnehmen. Um halb sieben Uhr tritt der Lehrer und die Dienerschaft ein zur Verlesung des großen Gebetes und eines Kapitels aus der Bibel, Gesang eines Kirchenliedes. Von sieben bis dreiviertel elf Uhr folgt der Unterricht. Darauf wäscht der Prinz sich geschwinde Gesicht und Hände, nur diese mit Seife, lässt sich pudern, zieht seinen Rock an und geht zum König, bei dem er von elf bis zwei Uhr bleibt. Dann nehmen die Stunden ihren Fortgang bis fünf Uhr –.“

       Da fand der König es schön, eine erwachsene Tochter im Hause zu haben, und konnte es vor lauter Stolz und Freude mit einem Male gar nicht mehr erwarten, sie schon als große Dame zu behandeln. Wilhelmine sollte Appartement halten; er verlangte vom Hof, dass man der Prinzessin nahezu allen sonst der Königin schuldigen Respekt erwies. Die Hofmeisterinnen der kleinen Schwestern wurden angewiesen, ihr täglich Bericht abzustatten und keine Entscheidung ohne ihren Willen zu treffen. Der König gab seiner Tochter zum ersten Mal in seinem Hause Pflichten und Rechte. Der Vater entdeckte sein ältestes Kind. Die Prinzessin aber strebte in aller Aufmerksamkeit für ihn gerade von ihm weg. Herrlich schienen sich die Weissagungen zu erfüllen, die einst bei ihrer Taufe von bestellten Dichtern des Hofes aller Welt verkündet worden waren, damals, als drei Könige, der heiligen Geschichte vergleichbar, ihre Gaben an der Wiege der Prinzessin niederlegten.

      Keine Mutter hat wohl ihren Kindern schönere Märchen erzählt als Königin Sophie Dorothea von Preußen. Denn auch Friedrich beschrieb sie die Wallfahrt der Königstöchter Europas zu seinem Throne des langen und breiten, und alle Welt war überstrahlt vom welfischen Glanz. Es war erstaunlich, wie die Königin an Märchen glaubte, seit ihr der Traum von der eigenen Regentschaft zerrann, der Traum, dessen Beglückungen sie sich niemals eingestanden hatte –; denn sie war um die Gesundheit ihres Gatten pflichtgemäß besorgt.

      Manchmal, wenn Wilhelmine jetzt den Vater aufs gewandteste unterhielt, malte sie sich heimlich dabei aus, wie sie ihm dereinst als eine große Königin gegenübersitzen würde. Dummerweise fragte Papa sie gerade in solch glücklichem Augenblick einmal nach einem ganz abscheulichen blauen Fleck, den die Spitzen ihrer Ärmel und die sorgsam hochgeschobenen Armreifen doch nur höchst unzulänglich verdeckten. Dadurch stellte sich heraus, dass die künftige Königin von England von ihrer reizenden Erzieherin Léti mit Genehmigung der Mutter geknufft, gezwickt, geschlagen werden durfte, sobald sie etwas tat, das dem dereinstigen britischen Ruhm im Voraus auch nur im geringsten schaden konnte.

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      Prinzessin Wilhelmine

      Siehe auch ihre Memoiren in Band 140e in dieser gelben Buchreihe!

      Der König saß wie versteinert. Gerade weil er sah, dass Wilhelmine nicht übertrieb, sondern sich ängstlich bemühte, ihre Tränen zu unterdrücken, wurden ihm die Umstände doppelt verdächtig. Über das Verhalten der Gattin verlor er vor der Tochter kein Wort. Als er sich von Tische erhob, umarmte er sie, nannte sie ein armes, dummes Ding und redete ihr gut zu, die Mama werde schon wissen –.

      Die Léti nahm er sich allein vor. Ein förmliches Zeugenverhör schloss sich an. Die Montbail beteuerte, unmöglich könne Ihre Majestät eine Ahnung gehabt haben. Dem König genügte die Feststellung, dass seine älteste Tochter in seinem Hause ohne sein Wissen ein jahrelanges Martyrium erduldet hatte. Die Léti ging. Die Tochter wurde krank. Etwas in den Phantasien der Mama musste doch ein böser Traum gewesen sein. Die Léti schrieb nach Hannover.

      * * *

       Die hübschen Abende, an denen der König sich bei seiner Tochter zu Gaste lud, waren nun sehr rasch vorüber, und sie fehlten ihm. Da fügte es sich gut, dass Minister von Grumbkow einen Plan verwirklichte, den er schon lange mit sich herumtrug. Er lud den König in sein Haus ein, mit dem Sohn, zu einem kleinen Herrenabend. Er fand den größten Beifall seines Herrn. Ja, der König schien dem Ereignis des ersten gemeinsamen Ausganges mit seinem Sohne eine gewisse Feierlichkeit beizumessen.

      In der Runde seiner Generale und Minister richtete der Herr den Blick fest auf den Sohn und meinte ziemlich unvermittelt und vor allem unverständlich bedeutungsvoll: „Ich möchte wohl wissen, was in diesem kleinen Kopf vorgeht. Ich weiß, dass er nicht so denkt wie ich. Es gibt Leute, die ihm andere Gesinnungen beibringen und ihn veranlassen, alles zu tadeln. Das sind Schufte.“

      Er wiederholte das Wort.

      „Fritz“, fuhr er dann fort, „denke an das, was ich dir sage. Halte immer eine gute und große Armee; du kannst keinen besseren Freund finden und dich ohne sie nicht behaupten. Unsere Nachbarn wünschen nichts mehr, als uns über den Haufen zu werfen; ich kenne ihre Absichten. Du wirst sie auch noch kennenlernen. Glaube mir. Folge dem Beispiel deines Vaters bei den Finanzen und der Armee. Tu noch mehr, wenn du König bist. Aber hüte dich, mich in allem nachzuahmen, was Diplomatie heißt, denn davon hab' ich nie etwas verstanden.“

      Diese Worte begleitete der König mit leichten Schlägen auf die Wange des Prinzen, zärtlichen, kleinen Klapsen, die aber immer stärker wurden, bis sie zuletzt richtigen Ohrfeigen glichen. Herr von Grumbkow war völlig betroffen. Man hatte geglaubt, der König würde sich an diesem Abend bei dem ersten gemeinsamen Ausgang mit seinem Ältesten in einem so intimen Kreise sehr vertraulich geben, und nun arteten die ersten Worte, die er hier an seinen Jungen richtete, zu einer offiziellen Erklärung und Mahnung von höchster Eigentümlichkeit aus. Und nun gar die wunderlichen kleinen, erst zärtlichen, dann immer heftigeren Schläge für den Prinzen –? Die Schläge, die mehr Warnung und Abwehr als Zurechtweisung bedeuteten –? Der Vorgang war umso merkwürdiger, als der König noch niemals eines seiner Kinder auch nur angerührt hatte. Ja, wenn Fritz und August Wilhelm einmal ungebührlich Unfug trieben – seit geraumer Zeit war Friedrich allerdings schon viel zu überanstrengt für Allotria –, so führte der König selbst den Missetäter zu Mama hin, damit sie dem Delinquenten einen kleinen Klaps erteilte. Auch hatte er ausdrücklich befohlen, dass seinen Kindern niemals Furcht vor ihm eingeflößt werden dürfe, da die zwiefache Autorität eines Königs und gestrengen Vaters zu bedrückend auf so junge Herzen wirken könnte.

      In König Friedrich Wilhelm musste Seltsames vorgegangen sein.

      Die Situation war überaus peinlich. Und nicht genug mit jenen rätselhaften Backenstreichen; der Herr vermehrte die Peinlichkeiten noch, denn plötzlich griff er nach den nächsten Tellern auf der Tafel und zerschlug sie, einen nach dem anderen. Auch ein Grumbkow mit all seiner Gewandtheit zeigte sich solcher Lage nicht gewachsen; er suchte sie durch einen Scherz zu retten, so kostspielig er auch war, stellte sich angeheitert und zerschmetterte munter sein ganzes Tafelservice, kostbare Höchster Fayencen, als hielten Väter und Söhne ein gewaltiges Zechgelage. Die Söhne freilich waren dafür etwas jung. Die übrigen Minister und Generale benahmen sich meist sehr ungeschickt.

       „Nehmen Sie nur solche wahrhaft väterlichen und königlichen Worte recht zu Herzen, Königliche Hoheit.“ Worte dieser Art, verlegen und salbungsvoll, fielen. Der König überhörte sie. Er achtete der Sprecher nicht und kümmerte sich auch nicht um Fritz. Der stand leichenblass.


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