Der dritte Versuch Magische Wesen. Norbert Wibben

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Der dritte Versuch Magische Wesen - Norbert Wibben


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verwarf er stets. Der Mann, der ihn hergebracht hatte, tauchte nicht wieder auf. Aus welcher Region des Landes dieser kam, konnte er nicht sagen, dazu hatte er zu wenig Worte von ihm gehört.

      Finn musste gut überlegen, wie er am besten aus dem Kerker entkommen könnte. Da sich seine Kerkermeister offenbar mit Zauberei auskannten oder zumindest wussten, dass sie durch den Einsatz von Silber unterbunden werden kann, wollte er keine Auseinandersetzung mit ihnen riskieren. Er fühlte sich zwar nicht besonders geschwächt, befand sich aber noch in der Magierausbildung. Finn kannte weder alle Zaubersprüche, noch wusste er, wie er sich gegen mögliche Flüche schützen müsste. Falls einer von seinen unbekannten Gegnern Magie beherrschen sollte, könnte er nach seinem Ausbruch schneller wieder gefangen sein, als ihm lieb wäre. Außerdem kannte der junge Elf die Anzahl seiner Gegner nicht. Am Ende seiner Überlegungen kam er zu dem Schluss, sich defensiv zu verhalten. Finn wollte also möglichst ungesehen zu entkommen versuchen, ohne eine Auseinandersetzung zu riskieren.

      Beim spärlichen Tageslicht, das durch das kleine, eng vergitterte Fenster in seine Zelle schien, hatte er an manchen Tagen kleine Mäuse unter der alten Eichentür zu ihm hereinhuschen sehen. Sie waren auf der Suche nach Nahrung und verharrten kurz, als sie ihn wahrnahmen. Da Finn immer freundlich zu allen Tieren ist, verhielt er sich völlig ruhig und schaute ihnen zu, bis sie ihm schließlich vertrauten und das Stroh seines Lagers nach vergessenen Körnern durchsuchten. An diese kleinen Nager musste er unwillkürlich denken, während seine Gedanken nach einer Gestalt suchten, in die er sich verwandeln wollte. Ja, sie sind klein genug, um nicht beachtet zu werden, also genau richtig! Finn murmelte »Muto speciem« und änderte sofort sein Aussehen. Weil er dabei an die Mäuse gedacht hatte, stand sofort darauf eine kleine Maus mit bräunlichem Fell auf seinem Platz. Dass er sich nicht in eine graue Hausmaus, sondern in eine etwas kleinere, im Wald lebende Haselmaus verwandelt hatte, mag daran gelegen haben, dass seine Zauberfähigkeiten nicht voll ausgebildet und geübt sind. Vielleicht lag es aber auch an seiner Vorliebe für die Farbe Rot, weshalb er unbewusst das Grau ablehnte. Jedenfalls zögerte Finn in seiner neuen, rotbräunlichen Gestalt nicht länger, er schlüpfte unter der Tür hindurch und begann seinen gefahrvollen Weg in die Freiheit.

      Es dauerte auch nicht lange, und er fragte sich nicht zum letzten Mal, warum er diese Gestalt gewählt hatte. Sein kleines Schnäuzchen schnupperte, in welche Richtung er laufen sollte. Da Haselmäuse nachtaktiv sind, konnte Finn in dem spärlichen Licht des Ganges gut sehen. Seine kleinen Beine trippelten schnell über den kalten Steinboden. Unbewusst verhielt er sich dabei wie eine richtige Maus. Er huschte von einem Versteck zum nächsten, wobei seine blanken Knopfaugen möglichst überallhin zu sehen versuchten, um einer auf ihn lauernden Gefahr ausweichen zu können. Im letzten Moment sah er sie dann auch. Eine riesige Katze blickte aus starren Augen in seine Richtung. Hatte sie ihn schon gesehen? Eigentlich wirkte sie völlig desinteressiert. Ihre Schwanzspitze zuckte spielerisch hin und her. Als sich dann zusätzlich ihre scheinbar schwer gewordenen Augenlider schlossen, spurtete Finn nach einem ersten Zögern los. Ein kleines Loch, eher schon eine Ritze, schien ihm sehr verlockend für einen nächsten Stopp zu sein. Dass er dabei über eine Strecke von etwa fünf Metern ohne Deckung sein würde, betrachtete er als Kleinigkeit. Er hatte dabei jedoch nicht die Verschlagenheit einer Katze bedacht. Sobald seine kleinen Füße über den Boden hasteten, schnellten die Augenlider der Katze hoch. Ein kurzer Blick in Finns Richtung genügte, dann flog das Raubtier aus der Lauerstellung hoch und raste auf sein Ziel zu. Der verwandelte Elf konnte schnell erkennen, dass er verloren sein würde, wenn ihm jetzt keiner der Zauber helfen würde, die er kannte. Der rote Mondschein schimmerte in den Gang herein. Sollte der Blutmond jetzt eine blutige Szene beleuchten? Finn wich geschickt zur Seite, als die Katze sich nach einem Sprung in der Luft befand. Sofort darauf musste er einem Tatzenhieb ausweichen. Welchen Spruch konnte er nutzen?

      »Hoffentlich funktioniert dieser«, wünschte der Elf voller Verzweiflung. »Anghofio!«

      Mit pochendem Herzen schaute er in das Gesicht eines völlig verwunderten Jägers. Es drückte genau das aus, was Finn zu erreichen gehofft hatte. Die Katze wusste nicht mehr, wer oder was sie ist und warum sie vor diesem kleinen Wesen hockte. Wollte sie damit spielen? Ihre Schwanzspitze zuckte bereits wieder hin und her. Der Elf vermutete, dass der Zauber nur kurze Zeit wirken würde, also drehte er sich um und hastete weiter. Und richtig. Er hatte sich gerade in die Mauerritze gezwängt, als er ein empörtes Maunzen hinter sich vernahm. Er war glücklich entkommen und staunte nun, dass die Ritze in ein richtiges Gangsystem führte. Drinnen war es zwar dämmerig, trotzdem konnte der Elf erkennen, dass er sich sofort entscheiden musste. Sollte er sich nach links oder nach rechts wenden. Auf sein Glück vertrauend, das ihm gerade bei der Flucht vor der Katze geholfen hatte, entschied er sich für rechts. Er folgte dem unregelmäßigen Gang und traf bald auf andere Mäuse. Neugierig beschnupperten sie sich. Finn musste ihnen jedoch nicht ganz geheuer sein, da sie sich umdrehten und piepsend wegrannten. Er versuchte, ihnen zu folgen, wollte sie fragen, wie er das Gebäude am schnellsten verlassen könnte. Da sie sich hier bestens auskannten, verlor er sie aber schon bald aus den Augen. Vorwärtslaufen schien ihm besser, als umzukehren, also behielt er die eingeschlagene Richtung bei. Auch wenn er es zuerst nicht bemerkte, führte der Gang stetig abwärts. Hin und wieder zweigten Seitengänge ab, doch er folgte ihnen nicht. Irgendwann musste dieser Fluchtweg doch enden! Während seiner Suche nach einem Ausgang fragte er sich, warum er sich nicht in einen Vogel verwandelt hatte. In der Gestalt hätte er es zwar schwer gehabt, durch das enge Gitter des Fensters nach draußen zu entkommen, dafür wäre er aber nicht dem Angriff einer Katze ausgesetzt gewesen.

      Nun ja, das stimmt auch nur, solange er sich in der Luft befindet, weiß Finn, dessen Gedanken sich wieder auf die Gegenwart konzentrieren. Ob die Eule immer noch auf ihn lauert? Vorsichtig schiebt er sich unter dem Baumstamm hervor. Hm. Die Dämmerung kündigt sich bereits an. Trotzdem entschließt er sich, noch etwas zu warten. Sobald er sich aus seinem Versteck hervorgearbeitet hat, will er versuchen, sich zurück zu wandeln. Er grübelt. Bisher hatte er noch nie eine Gestaltwandlung durchgeführt, also weiß er auch nicht sicher, ob ihm die Rückwandlung gelingen wird. Er erinnert sich, dass ihm seine Ausbilder davon abgeraten haben, neue Zaubersprüche in Abwesenheit eines Lehrers zu probieren. Er sieht seinen Ausbilder Cian, wie er mit erhobenem Zeigefinger, aber einem jungenhaften Grinsen im Gesicht, belehrend zu ihm spricht:

      »Sollte bei einer Übung etwas schiefgehen, bin ich in der Lage, notfalls einzugreifen. Unfälle, etwa das Herbeizaubern von großen Rabenflügeln oder andere Missgeschicke, können so vermieden oder rückgängig gemacht werden.« Unwillkürlich muss der junge Elf bei dieser Erinnerung grinsen. Er mag Cian, der sogar für einen Elf sehr alt, aber innerlich jung geblieben ist. Natürlich war in seinem Gefängnis kein Zaubermeister anwesend gewesen, trotzdem funktionierte die Verwandlung.

      Finns Gedanken schweifen erneut ab. Auf seiner Suche im Gangsystem der Mäuse kam er schließlich zu einem Ausgang. Dieser befand sich in einer Außenmauer aus Sandstein. Mittlerweile war es Tag geworden und Finn konnte sehen, wo er sich befand. Er blickte zwar aus einer ungewohnten Perspektive, erkannte aber trotzdem den Innenhof eines offenbar größeren Anwesens. Hier herrschte reges Treiben. Rauchschwaden wehten über den Platz und das Dröhnen war hier erschreckend laut. Finn meinte sogar, bei jedem Ton ein Zittern des Erdbodens zu spüren. Was bedeutete das nur? Er hockte verwirrt am Ausgang der Mauerritze, unschlüssig, wohin er sich wenden sollte. Menschen begrüßten sich, während sie geschäftig hierhin oder dorthin eilten. Einige trugen Waren oder schoben Karren vor sich her, die mit Nahrungsmitteln gefüllt waren. Finns Schnäuzchen schnupperte begehrlich, wobei die feinen Barthaare vor Erregung zitterten. Seine schwarzen Knopfaugen erfassten schon bald ein Brötchen, das unbemerkt zu Boden gefallen war. Noch bevor er sich dessen bewusst wurde, huschte er dorthin und schnüffelte behaglich an dem frischen Gebäck.

      »Endlich etwas zu essen!«, dachte er mit knurrendem Magen.

      »Igitt, eine Maus«, quiekte in diesem Augenblick eine schrille Frauenstimme. Im nächsten Moment sauste ein Besen mit langen Borsten und sofort danach ein schwerer Stock auf das Steinpflaster, ihn jeweils um Haaresbreite verfehlend. Erschrocken machte die kleine Haselmaus einen Satz zur Seite. Sie zögerte nur kurz. Sollte sie dem Hungergefühl nachgeben, vielleicht einmal kräftig zubeißen oder sich in Sicherheit bringen? Die Entscheidung wurde ihr leicht gemacht, als sie jetzt das Fauchen einer offensichtlich


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