Der dritte Versuch Magische Wesen. Norbert Wibben

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Der dritte Versuch Magische Wesen - Norbert Wibben


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Er ballt die Hände zu Fäusten, um die Panik, die ihn im Traum übermannte, zurück in die Erinnerung zu pressen. Jetzt sieht er sich erneut um, diesmal aber ruhig und forschend. Nein. Er ist allein. Der alte Elf bekommt in seinem Heim, im Osten des Landes, fast nie Besuch. Woher sollen Feinde daher wissen, wo sie ihn finden können? Sogar sein erbittertster Gegner Connor, der Oberste der Dubharan, ist nicht in der Lage, den Tarnzauber zu durchbrechen, wenn er denn hier nach ihm suchen würde.

      Cian sitzt grübelnd auf dem Bett. Etwas an der Sequenz beunruhigt ihn. Es will ihm aber nicht einfallen was. Der Traum, der ihn in den vergangenen zwanzig Jahren immer mal wieder heimsuchte, seit … Nein, daran will er jetzt nicht denken. Diese Bilder tauchten in den letzten Wochen öfter auf. Er hat getestet, ob es mit dem Essen zusammenhängt. Er hat abends nichts mehr gegessen, so dass er Magendrücken ausschließt. Erfreut meinte er schon, die Ursache gefunden zu haben, bis er drei Nächte später die von ihm so gefürchtete Sequenz … Erneut driften seine Gedanken ab. Aber der Traum soeben war anders. Aber was war es nur?

      Cian zuckt mit den Schultern. Es wird sicher nicht so wichtig sein oder ihm unvermittelt wieder einfallen. Er hat in der letzten Zeit immer öfter Alpträume, auf einen mehr wird es nicht ankommen. Er streckt seine Beine, dreht sich zur Seite und lässt sie über den Rand des Bettes hängen.

      »Brr, ist das heute ungemütlich«, brummt er fröstelnd. »Incendere!« Die Holzscheite im Kamin, die er gestern vorsorglich aufgeschichtet hat, flammen auf. »Ich werde scheinbar langsam senil«, stellt er mit einem Grinsen fest. »Ich hätte abends besser ein dickeres Scheit auf die letzte Glut gelegt, dann wäre es jetzt nicht so ausgekühlt. Das ist eben der Nachteil, wenn man in einem alten Turm wohnt, selbst wenn es der berühmte »Giants Crown« ist, der einmal die letzte Zuflucht in der Königsburg des Ostens darstellte.«

      Cian schüttelt den Kopf, als er kurz daran denkt, was hier vor zwei Jahrzehnten geschehen ist. Bei dem letzten Versuch der Dubharan, die Macht im Land an sich zu reißen, hatten sie es zuerst auf diesen Ort abgesehen. Sobald diese Festung in ihrer Hand sein würde, so hatten sie angenommen, würden nicht nur die verschiedenen Stämme der Menschen, sondern auch alle Elfenvölker sie als Herrscher anerkennen. Entsprechend heftig tobte der Kampf. Viele tapfere Menschen und Elfen aus allen Landesteilen ließen damals ihr Leben, genauso wie unzählige der verblendeten Anhänger der Dubharan.

      Jetzt ist der Turm halb zerfallen und ragt als stilles Mahnmal aus den vielen Trümmerhaufen der einst stattlichen Burg. So sieht es zumindest aus, denn Giants Crown ist mehr als nur ein Mahnmal. Der Turm ist seit vielen Jahren der geheime Rückzugsort von Cian, der ihn in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzte. Danach sprach er einen mächtigen Tarnzauber, der den Turm für alle als Ruine erscheinen lässt, die derart zerfallen erscheint, dass sie keinesfalls bewohnbar sein kann.

      Das war eine Kleinigkeit für ihn, der einer der drei Oberen aller Zauberer, der Elfen und Menschen, war. Doch er hat diesen Rang und die damit verbundene Verantwortung vor zwanzig Jahren abgegeben. Das war kurz nach dem zweiten Versuch der Dubharan, die Macht an sich zu reißen. Erneut gab es viele Verluste auf beiden Seiten in der letzten, blutigen Schlacht. Der alte Elf betrachtet die Innenseite seiner linken Hand, wo noch der Umriss einer Sonne zu erkennen ist, der aber kleiner als das ursprüngliche Symbol ist. Kaum jemand der jüngeren Elfen weiß, dass er einst einer der mächtigsten Magier gewesen ist, der an der Spitze der Elfenheere gegen die dunklen Zauberer in den Kampf zog.

      Damals, vor vielen Jahren, war er als Ausbilder der magischen Fähigkeiten junger Elfen aktiv. Er wurde von diesen Jugendlichen geliebt und verehrt, da er ihnen gegenüber immer gerecht war und sie als gleichberechtigt ansah. Manch anderer Elf, Mann oder Frau, ließ sie ihre Jugend spüren. Die Erwachsenen verzogen keine Miene, wenn die jungen Elfen darüber sprachen, dass den Dubharan endlich klargemacht werden müsse, dass es für alle Seiten besser wäre, friedlich miteinander umzugehen. Dazu könne und müsse man manchmal einen Krieg beginnen, wenn dieses Ziel anders nicht zu erreichen ist. So sprachen die Jugendlichen. Die Erwachsenen wussten, dass dieser Ansatz nicht richtig ist, diskutierten aber nicht mit ihnen darüber. Cian verhielt sich anders. Sobald er von diesen Gedanken erfuhr, setzte er sich mit den Wortführern und allen, die dazu bereit waren, zusammen. Er führte ihnen vor Augen, welches Leid bereits in der Vergangenheit durch Auseinandersetzungen mit Waffengewalt entstanden war. Leider führten diese Gespräche auch dazu, dass ihm seine Schüler stets vertrauten. Er war ihr unumstrittenes Idol.

      Bei dem zweiten Versuch der Dubharan, die Macht zu übernehmen, folgten diese Schüler Cian in die blutige Auseinandersetzung. Zu ihrem jugendlichen Ungestüm kam ihr blindes Vertrauen in ihren Herrn und Meister. In den vielen Unterrichtsstunden hatten sie sich immer auf sein Eingreifen verlassen können, sobald bei einem Zauberspruch etwas falsch lief. Das ist in einem Kampf natürlich von keinem Anführer, und sei er noch so ein mächtiger Zauberer, zu gewährleisten.

      Cian sieht in manchen seiner Alpträume, wie viele seiner Schüler, für die er gerne sein Leben gegeben hätte, starben. Obwohl er damals bereits länger gelebt hatte, als viele andere Elfen, war es ihm nicht möglich, sein Leben gegen eines von ihnen zu tauschen. Seit diesen Ereignissen nahm er keinen Schüler mehr an. Er wollte sich nicht erneut emotional an ein junges Talent binden und es andererseits auch nicht in Situationen wissen, in der es möglicherweise auf sein Eingreifen vertrauend untergehen könnte.

      Vor zwei Jahren kam es dann anders, als er es sich hatte vorstellen können. Er akzeptierte nach fast zwanzig Jahren einen jungen Elf als Schüler, seinen letzten, wie er sich fest vorgenommen hat: Finn!

      Dieser Junge hatte ihn, wie er heute weiß, bei dem jährlichen Treffen aller Zauberer gezielt angesprochen. Bereits nach kurzer Zeit diskutierte er mit ihm über den Sinn des Lebens, fragte, ob es gerecht wäre, wenn junge Lebewesen, egal ob Mensch, Elf oder Tier, sterben müssten, wenn andererseits ältere ihrer Artgenossen leben dürften. Sofort sah Cian die Gesichter seiner Schüler vor sich, die ihn mit brechenden Augen scheinbar anklagten. Er wusste in diesem Moment nicht, wie er reagieren sollte. Wollte ihn der junge Elf anklagen, ihn mit etwas konfrontieren, wofür er ihn schuldig hielt? Er ballte seine Fäuste und Tränen traten in seine Augen. Er fühlte sich so unendlich schuldig, das musste ihm nicht extra gesagt werden. Doch Finn hatte anderes vor, er wollte diese Frage ohne Hintergedanken diskutieren.

      »Ich weiß, dass sie auf ein langes Leben zurückblicken können«, führte er das Gespräch fort. »Gibt es einen bisher von mir nicht entdeckten Sinn darin, wenn Kinder vor ihren Eltern sterben, egal aus welchem Grund?« Überrascht schaute der alte den jungen Elf an, sah, dass seine Augen genau wie seine eigenen in Tränen schwammen. Cian erstarrte und grübelte. Alle Antworten, die ihm dazu einfielen, erschienen ihm platt und nichtssagend. Er straffte seine Schultern und schüttelte den Kopf.

      »Ich kenne keinen!« Erneut schwiegen beide. Endlich setzte der junge Elf zu einer Antwort an und schluckte noch einmal. Seine Worte kamen leise, ohne vorwurfsvoll zu klingen.

      »Ich habe vor Jahren meinen Onkel verloren. Er starb bei den letzten großen Kämpfen gegen die Dubharan. Ist ein möglicher Sinn darin zu sehen, weil er das Gute gegen das Böse verteidigte? – Meine Großeltern sind daran beinahe zerbrochen. Sie wollten es zuerst nicht akzeptieren, suchten nach Schuldigen, die sie dafür verantwortlich machen konnten. Sie waren einmal sogar so weit, allein gegen die letzten bösen Zauberer zu kämpfen, einfach nur, um etwas zu tun, was ihrer Wut über den frühen Tod ihres Sohnes ein Ventil bot. Ich sah sie oft weinen, doch langsam stellten sie sich dem geänderten Leben. Sie konzentrierten ihre Liebe, so schien mir jedenfalls, jetzt stärker auf mich. Ich habe lange Gespräche mit ihnen geführt und kenne mich mit fast allen Details aus dem kurzen Leben meines Onkels aus. – Ich weiß, dass er zuletzt bei ihnen, Cian, ausgebildet worden ist. Halt, bitte stehen sie nicht auf! Ich, ich brauche ihren Rat.« Der greise Elf hatte sich etwas erhoben, ließ sich dann aber doch wieder auf dem Sitz nieder. »Danke! – Mein Onkel hielt große Stücke auf sie, bewunderte ihre faire Art und Weise, mit möglichen Problemen umzugehen. Sie prüften stets alle Seiten, hörten jedes Argument und Gegenargument, bis sie einen möglichen Lösungsansatz boten, ohne jedoch auf dessen Richtigkeit zu bestehen. – Jetzt benötige ich diese klare Urteilsfähigkeit. Ich möchte einen besonderen Ausbilder bitten, meine magischen Fähigkeiten zu vervollkommnen.«

      »Ich bilde niemanden mehr


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