Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43. Friedrich Gerstecker
Читать онлайн книгу.im New-York-Staat, wie denn die meisten amerikanischen Ortschaften, und wenn sie nur aus ein paar Häusern bestehen, gern hochtrabende Namen führen.
Ich stieg aus und trat auf die Straße, wo einige Männer mit einem Wagen hielten. Ich fragte sie nach einem abgehenden Kanalboot, und sie nötigten mich sehr freundlich in den Wagen, wobei mir jeder von ihnen unter einen Arm griff; ich aber, alter Warnungen eingedenk, setzte den Fuß gegen den Schlag und fragte nach der Bezahlung.
„Keine Bezahlung, keine Bezahlung!“ riefen beide, und mit einem Satze saß ich im Wagen, der bald vor einem sehr eleganten Hause still hielt. Mir war nicht wohl bei dieser Gastfreundschaft, denn jedes Licht im weiten Gebäude schien mir zuzurufen: „money is the principal thing, therefore get Money“ wie ich bei Herrn Dr. Flügel in Leipzig so oft übersetzen musste, doch trat ich ein und fragte nach dem ersten abgehenden Kanalboot nach Buffalo (beiläufig gesagt, war meine Ahnung nicht ganz unrichtig, denn ich musste für eine Tasse Tee und ein kleines Butterbrot 50 Cents, ungefähr 20 Gr., bezahlen.) Außerdem war ich übrigens hier in das rechte Haus gekommen, denn die Bootsakkorde wurden hier abgeschlossen und man forderte mir, Kost mit eingerechnet, 6 Dollars bis Buffalo am Eriesee ab. Von dort aus sollte wieder ein Schienenweg nach den Niagarafällen gehen.
Der Preis schien mir etwas teuer, und ich überlegte mir eben, ob ich die ganze Tour nicht am Ende ebenso rasch und weit billiger zu Fuß machen könne, als ein Deutscher, jedenfalls jüdischer Abkunft, der mit den Leuten gut bekannt schien, meine Partie nahm und die Passage für mich mit 4 Dollar ausmachte.
Nun ging ich an Bord, denn die Abfahrt des Bootes sollte gleich stattfinden, und der warme, behagliche Raum, den ich dort traf, tat mir, durchgefroren wie ich war, ungemein wohl.
Der nächste Morgen kam trüb und regnerisch angeschlichen und die Frühstücksglocke rief uns fast zu früh vom Lager.
Ein amerikanisches Frühstück aber ist für den erst kürzlich angekommenen Deutschen ein höchst merkwürdiger Gegenstand. Mit Erstaunen sieht er Kaffee, fettes Schweinefleisch und saure Gurken, mit Kartoffeln, Rüben und Eiern, nebst Butter und Käse hier zusammengestellt, und der Magen muss sich wirklich erst an diese sonderbare Zusammenstellung gewöhnen. Ist das aber einmal geschehen, dann behagt es, wie ich offen bekenne, einem recht hungrigen Christenmenschen besser als trockenes Weißbrot zum dünnen Kaffee.
Nach dem Essen hatte ich vollkommen Zeit, meine Reisegefährten, mit denen ich den engen Raum eines Kanalbootes bewohnte, genauer zu betrachten.
Es waren ungefähr zehn Herren mit drei Damen. Die letzteren wohnten in einem durch einen roten Vorhang von unserer Kajüte getrennten Raume, der die Überschrift „ladies cabin“ nebst der freundlichen Erinnerung „no admittance“ führte.
Unsere Damen bestanden aus zwei alten und einer nicht mehr jungen Frau. Die Bekanntschaft war übrigens, so gern ich sonst in Damengesellschaft bin, eben keine angenehme, denn ich lernte hier eine Unart der Amerikanerinnen kennen, die einen fatalen, ja widerlichen Eindruck auf mich machte. Die Damen schienen keineswegs den unteren Ständen anzugehören, genierten sich aber nicht im mindesten, in fast regelmäßigen Zwischenräumen dermaßen laut aufzustoßen, dass ich mich im Anfang ein paarmal ordentlich erschreckt nach ihnen umschaute. Rührend war in der Tat die Unbefangenheit, mit der sie dabeisaßen, und die übrigen Passagiere nahmen ebenfalls nicht die mindeste Notiz davon. Sie waren jedenfalls schon vollkommen daran gewöhnt.
Ein Kanalboot ist ein sehr langes, schmales Boot, das ungefähr 6 Fuß hoch außer dem Wasser geht, ganz bedeckt und durchaus zur Bequemlichkeit, oder eigentlich Unbequemlichkeit von Passagieren ausgerüstet ist. Es ist rund umher mit Fenstern versehen und kann eine große Menge Leute und in der Mitte auch eine tüchtige Ladung Fracht fassen. Doch geht es sehr langsam, und unser Boot besonders wand sich, von zwei Pferden in gemütlichem Schritt gezogen, schneckenartig durch die Landschaft. Niedere Brücken gehen überall über die Kanäle, oft nur wenige Zoll über das Dach des Bootes erhaben, so dass man, wenn man auf dem Verdeck ist, fortwährend aufpassen muss, nicht über Bord gefegt zu werden, wie ich dies selbst einmal mit angesehen habe. Man muss sich beizeiten flach hinlegen. Ist das Boot aber sehr leicht geladen, dass es recht hoch aus dem Wasser geht, so kann man dabei auch schlecht wegkommen. Ein Passagier hatte vor ganz kurzer Zeit solcher Art ein trauriges Schicksal, indem das hohe Deck des Bootes unter der Brücke zu wenig Raum für ihn bot und ihn auf eine jämmerliche Art zerquetschte.
Langsam und äußerst eintönig ging die Fahrt vonstatten, und die Ufer, die meist durch sumpfiges und Waldland führten, boten gerade nicht viel Interessantes. Bewundernswert erschien mir eine Stelle, ich glaube am Mohwack oder einem anderen kleinen Strome dort in der Nähe, über den der Kanal 20 oder 25 Fuß hoch weglief. Es war ein eigentümliches Gefühl, oben auf dem Wasser zu fahren, und tief unter sich, ganz unabhängig von der Flut, auf der man sich befand, einen anderen Wasserlauf querdurch strömen zu sehen.
Eines schönen Tages saß unser Boot plötzlich mit einem furchtbaren Krach fest, und alles sprang hinaus, zu sehen, was es gäbe. Wir waren denn auch richtig mit einem anderen ganz ähnlichen Boot an einer schmalen Stelle des Kanals, gerade unter einer Brücke zusammengelaufen und hatten dem anderen einige Rippen im Leibe zerbrochen. Wir saßen wie festgemauert, und vergebens waren alle Bemühungen, das Boot wieder rückwärts zu bringen, da die Pferde in dem knietiefen Schlamme nicht zusammen anziehen wollten. Da erbarmte ich mich denn, auf meine großen Wasserstiefel mich verlassend, sprang, mit der großen Peitsche bewaffnet, hinaus, und den beiden Pferden damit einige derbe Hiebe versetzend, machte ich ihnen begreiflich, dass sie wohl könnten, wenn sie nur wollten. Siehe da, sie wollten; im Anziehen aber schlug das eine Pferd hinten aus, gerade in den Schlamm hinein, so dass ich über und über mit der roten Masse bespritzt ward und nun eher einer Forelle als einem Menschen ähnlich sah. Ich kroch zurück und beschloss, das nächste Mal etwas weniger dienstfertig zu sein.
Am 29. Oktober forderte endlich der Kapitän des Kanalbootes die bedungene Bezahlung. Ich kam ganz ruhig mit meinen 4 Dollars an, erstaunte aber nicht wenig, als ich erfuhr, dass der in Utica von einem Fremden gemachte Akkord keineswegs den Kapitän etwas angehe, sondern ich so gut wie jeder andere Passagier 6 Dollars zu bezahlen habe. Das war wieder eine Erfahrung mehr, zwar mit zwei Dollars, aber doch wohl nicht zu teuer erkauft. Überhaupt mag das dem deutschen Einwanderer zur Warnung dienen, sich um Gottes willen nicht mit dritten Personen, sie mögen noch so gut autorisiert scheinen, in den Abschluss irgend eines Vertrags einzulassen. Es ist immer zehn gegen eins zu wetten, dass sie angeführt werden, da solche Leute nicht selten, wenn sie die Sache nicht auf eigene Hand betreiben, von den Beteiligten gemietet sind, um den Fremden zu beschwichtigen, dass sie ihn nur erst einmal in ihr Garn bekommen. Gegen sie klagen kann er nachher nicht, das wissen sie recht gut.
Wir hatten uns bis jetzt ziemlich wohl befunden, da nicht sehr viele Reisende in dem engen Raume mitfuhren. Jetzt dagegen kamen noch fünfzehn Passagiere mehr hinzu, die sämtlich mit unserem Boote nach Buffalo fahren wollten.
So lange es Tag war, ging die Sache noch an; als aber der Abend kam, wusste ich wahrlich nicht, wohin die Leute alle gepackt werden sollten; doch hatte ich ja die Passagierladung des Bremer Eberführers noch in frischem Gedächtnis und hielt von der Zeit an alles für möglich.
Die Schlafstellen auf dem Kanalboote bestanden aus langen viereckigen Rahmen, die abends hängemattenartig an der Decke, einer neben den anderen, die ganzen Wände entlang, angebracht wurden. Jetzt war die Zahl der Passagiere noch gestiegen, und wir wurden daher schichtweise gepackt. Die Rahmen sind mit sehr starkem, grobem Leinenzeuge überzogen, und auf diese kommt gewöhnlich eine kleine schmale Matratze, die wir von Utica Mitgegangenen noch alle hatten, die aber einige der Neuangekommenen entbehren mussten. So der Mann, der über mir schlafen sollte; ich sah wenigstens keine Matratze auf dem oberen Rahmen liegen und kroch also in mein schwankendes Bett, nachdem ich vorher die Stricke untersucht hatte, zu sehen, ob sie auch fest wären, damit ich nicht nachts in die Presse käme. Die zuletzt angekommenen Passagiere blieben noch auf und spielten Karte.
Ein furchtbar beängstigendes, erstickendes Gefühl weckte mich in der Nacht; kalter Angstschweiß stand auf meiner Stirn, und ich konnte keinen Atem holen. Wie Blei lag es auf meinem Magen, auf meiner Brust. Ich versuchte zu schreien, – ich konnte nicht. Fast ohne Besinnung lag ich so mehrere Minuten, ehe ich recht erwachte