Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43. Friedrich Gerstecker
Читать онлайн книгу.der den Fuß zurückzog und die Ferse hinten gegen die Wand schlug. Aber sein Leidenskelch war noch nicht vorüber. Mit himmlischer Geduld erwartete er den Abzug des Matrosen, der den Topf mit beiden Händen in die Höhe hob, ihn dem obenstehenden, schon die Hände danach ausstreckenden Kahnführer zuzureichen. So glücklich sollte die Sache aber nicht abgehen; der ziemlich schwere Topf mit dem flüssigen Teer drehte sich in des Taumelnden Hand, Wilhelm bekam den Teer und der Kapitän den Topf, und während dieser oben wie ein Heide oder, viel besser, wie ein christlicher Seemann wetterte und fluchte, stand Wilhelm unten wie Butter an der Sonne, mochte sich nicht einmal anfassen und schnitt ein höchst unglückseliges Gesicht.
Auch noch Spott musste er dabei erdulden, denn ein langer Schneider, der mit an Bord war, meinte unter dem Hohnlachen der gefühllosen Mitpassagiere, dass Wilhelm eine sehr glückliche Reise haben müsse, wenn nur irgend Wahrheit in dem alten Sprichwort läge: „Wer gut schmeert, der gut fährt.“
Noch eine ganze Nacht mussten wir in dem erschrecklichen Kasten zubringen, und es würde Bogen füllen, alle die komischen und ernsthaften Geschichten zu erzählen, die da vorfielen. So etwas aber muss wirklich miterlebt sein, es lässt sich nicht mit Worten beschreiben und würde zuletzt gar ermüden.
Am nächsten Morgen sahen wir das erste Ziel unserer Bestimmung, die Barke „KONSTITUTION“ mit aufgehisster Signalflagge vor Anker liegen. Wir liefen an sie hinan, warfen unsere Taue hinüber und sprangen an Bord.
Es ist unmöglich, auch nur eine Idee der Unordnung und Verwirrung wiederzugeben, die bei unserer Ankunft an Bord entstand. Einer der Kähne war schon vor zwei Tagen mit der Hälfte der Passagiere angelangt.
Diese hatten den dadurch erlangten Vorteil benutzt, sich die besten Kojen oder Schlafstellen auszusuchen und alle ihre Sachen in Ordnung zu bringen, was in dem engen Raume gewiss keine Kleinigkeit war. Man denke sich einen von Balken und Brettern begrenzten Raum, 18 Schritt lang, 9 Schritt breit und 8 Fuß hoch, in der Mitte mit hölzernen Balken versehen, die das Verdeck stützen und zugleich dazu dienen, das Gepäck zu halten. In diesem Raume nun denke man sich ferner an jeder Seite eine doppelte Reihe von Schlafstellen, d. h. eine über der anderen, jede ungefähr 6 Fuß lang und 6 Fuß breit, für 5 Mann eine jede eingerichtet, oder vielmehr nicht eingerichtet.
Rechnet man also von einer Breite von 9 Schritt oder 18 Fuß die an beiden Seiten befindlichen Schlafstellen, jede zu 6 Fuß, ab, so bleiben 6 Fuß Zwischenraum. Da in diesem Raume nun wieder die Kisten und Kästen mit Wäsche und Lebensmitteln von allen Passagieren aufgehäuft und mit Seilen und Stricken an die Balken in der Mitte befestigt waren, um das Umherrutschen derselben bei unruhigem Wetter zu verhindern, so blieb kein größerer Raum übrig als 12 bis 14 Zoll an jeder Seite in einer Länge von 36 Fuß für 118, sage einhundertachtzehn Passagiere!
Als ich den düstern, dunstigen Raum, die dann herumkriechenden und kletternden Gestalten zuerst vom Deck aus mit einer leicht verzeihlichen Scheu betrachtete, kamen mir so sonderbare Ahnungen von dem Wälzen und Schaukeln des Schiffes, von dem Losgehen der Seile, welche die Kisten und Koffer hielten, von dem Umherfliegen des Gepäcks, von Seekrankheit und Erbrechen, auf das die in einer wahren Unzahl vorhandenen zinnernen Geschirre noch dazu gar wehmütig zu deuten schienen, vor die Seele, dass ich mich im Anfang gar nicht hinabgetraute. Ich musste auch wirklich nur nach und nach lernen, in dem furchtbar dunstigen Raum auszuhalten; doch der Mensch ist ein Gewohnheitstier und findet sich nach und nach in alle Verhältnisse.
Die „KONSTITUTION“ war eine Bark, d. h. ein dreimastiges Schiff, nur mit dem Unterschiede, dass die Querrahen am hintersten oder Besanmaste fehlten und dieser ein großes Besansegel und Besantopsegel hatte; die Seeleute nennen solche Fahrzeuge Zweieinhalb-Master. Fast war das Verdeck ziemlich geräumig, wenn es durch das viele Gepäck auch noch wild und unordentlich genug aussah. Obgleich wir nun noch vor Anker lagen, schwankte das Schiff doch ziemlich stark, wie es mir wenigstens im Anfange vorkam, da ich das Schaukeln noch nicht recht gewohnt war. Endlich wurde es dunkel, und ich kroch in das Zwischendeck hinunter, mir noch vor einbrechender Finsternis meinen Schlafplatz ein wenig zu beschauen.
Wir waren unserer fünf, die das Schicksal und unser eigener Wille vermocht hatten, in einen 6 Fuß breiten und 6 Fuß langen Raum hineinzukriechen, und zwar mit der kühnen Idee, dort dem Schlummergotte zusammen in die Arme zu sinken. Einzeln hätte er uns, beiläufig gesagt, auch gar nicht in die Arme nehmen können; denn wir lagen so dicht beisammen, dass er entweder nur alle fünf in Bausch und Bogen oder gar keinen in Schlaf wiegen konnte.
Unsere Matratzen – jeder hatte eine Matratze und eine Decke – wurden unten hineingelegt, und wir krochen, einer neben den anderen, darauf. Als vier darin lagen – zwei von unseren Schlafkameraden wogen je 230 Pfund, – war der Raum ausgefüllt, und nun entstand die Frage: „Wohin soll der fünfte?“ Quer über? Dagegen protestierte die Unterlage. Unter die Köpfe? Das wäre für H., den fünften Mann, nicht sehr angenehm gewesen, und dann war dieser auch so eckig und knochig, dass ich nicht weiß, ob sich unsere Schädel gut dabei befunden hätten. Wir legten uns endlich sämtlich auf die Seite, und H. schob sich noch ein. Er passte gerade in die Lücke; an ein Umdrehen war aber nun nicht mehr zu denken, und so verbrachten wir die erste Nacht auf dem so lang' ersehnten Schiffe.
Als ich wenigstens auf der linken Seite, denn die rechte war und blieb fest eingeschlafen, am nächsten Morgen aufwachte, schienen mir alle Glieder wie zerschlagen und zerstoßen. Es fehlte nicht viel, so hätte ich das Heimweh bekommen.
Ein Eimer voll Weserwasser, das hier schon halb salzig ist, diente mir an dem Morgen, wie später auf der ganzen Reise, zum Waschbecken. Der Wind pfiff recht kalt und unfreundlich durch das Tauwerk, und die ganze Sache wollte mir eigentlich gar nicht so besonders gefallen. Das war der Anfang der Prosa, wo ich mir gleich vom Anfang an nur Poesie geträumt hatte. Ich schämte mich übrigens, irgendeinem anderen ein Wort davon zu sagen, wenn mir auch später eingefallen ist, dass den anderen vielleicht an dem Morgen ebenso zu Mute war, und verbiss meine Gedanken mit einem so viel als möglich gleichgültigen Gesicht.
Jetzt fing es auch unten an lebendig zu werden, und als ich durch die enge Öffnung in das Zwischendeck hinunterschaute, fiel mir Schillers Taucher recht lebhaft ein, „wie's von Salamandern und Molchen und Drachen sich regt in dem furchtbaren Höllenrachen“. Lachen, Singen, Toben, Kinderschreien, Weinen, Beten, Fluchen – alles, alles tönte von da unten herauf, und bald kletterte ein verschlafenes Gesicht nach dem anderen die steile Leiter herauf und blinzelte mit den an die Dunkelheit gewöhnten Augen der hier und da durch dünne, graue Wolken blinkenden Morgensonne entgegen.
Als das eine Stunde gedauert hatte, in der die Leute oben versuchten, sich den Schlaf aus den Augen zu waschen, rief plötzlich eine kräftige Stimme im Vorderteil des Schiffes: „Schaffen!“ – und gleich darauf kam Leben in den Teil unserer Schiffsmannschaft, welcher schon einige Tage an Bord war und das geheimnisvolle Wort verstand. Aber auch uns sollte es bald erklärt werden, denn es erwies sich als eins der wichtigsten Worte für die ganze Reise, es hieß nämlich „Frühstück, Mittagessen, Abendbrot“, gewissermaßen eine Schiffshieroglyphe. Wir bekamen Kaffee, Schiffszwieback und Schwarzbrot, alles ziemlich gut; jeder musste aber mit seinem Kaffeetopfe oder Kessel, oder was er sonst hatte, hingehen und es sich selber holen.
Jetzt hatte ich erst Zeit, mir meine Reisegefährten ein wenig genauer zu betrachten. Außer H. waren es ein Tischler Mlhr., ein Doktor Tsmr. und ein Apotheker Bgl., die beiden letzten ein paar kolossale Gestalten, die füglich eine Koje für sich allein hätten haben sollen. Alles übrigens, was sich von den Leuten nach dem ersten Eindruck beurteilen ließ, schien mir angenehme Gesellschaft zu versprechen.
Die Unordnung, die jetzt noch auf dem Schiffe herrschte, war wirklich grenzenlos; keiner wusste, wo er hingehörte, und ein jeder fragte nach seinen Sachen, nach dem und dem Koffer, nach der und der Kiste. Die Frauen und Mädchen insbesondere, und wir zählten deren ungefähr 20 bis 25 an Bord, schienen zu gar keinem Ergebnis zu kommen, und wenigstens sprachen immer acht auf einmal.
Leid taten mir in dem Gewirr und Lärm einige Damen, die,