Die Jagd nach dem Meteor. Jules Verne

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Die Jagd nach dem Meteor - Jules Verne


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aus dem Miß Arcadia Walker gekommen war, als sie mit Seth Stanfort in Whaston zusammentraf.

      Hier lag die ganze Stadt vor dem Blicke ausgebreitet mit den Glockentürmen ihrer Kirchen, den hohen Dächern der öffentlichen Gebäude und mit den grünenden Wipfeln fast zahlloser Bäume.

      »Da ist der Konstitutionsplatz, rief Jenny, die sich eines Opernguckers bediente, der auf Anraten Gordons mitgenommen worden war, und dort die Morrißstraße... ich sehe auch unser Haus mit dem Turme und der darüber im Winde flatternden Fahne. Sieh – sieh, da ist jemand oben auf dem Turme.

      – Natürlich der Papa! erklärte Loo ohne Zögern.

      – Es kann ja kaum jemand anders als er sein, sagte Mrs. Hudelson.

      – Er ist es bestimmt, versicherte das junge Mädchen, die sich ohne weiters des Opernguckers bemächtigt hatte. Ich erkenne ihn deutlich. Er sitzt vor seinem Fernrohre. Ihr könnt euch aber leicht überzeugen, daß ihm gar nicht der Gedanke kommt, es auf uns zu richten. Ja, wenn wir auf dein Monde wären!

      – Da Sie Ihr Haus sehen können, Fräulein Loo, unterbrach sie Francis, so können Sie wahrscheinlich auch das meines Onkels sehen, nicht wahr?

      – Jedenfalls, antwortete die Kleine, warten Sie, ich werde danach suchen, ich werde es ja leicht an seinem Turme erkennen. Es muß doch nach dieser Seite zu liegen. Halt! Richtig, da hab' ich es schon!«

      Loo täuschte sich nicht... sie sah richtig das Haus Mr. Dean Forsyths.

      »Auch da ist jemand auf dem Turme, fuhr sie nach kurzem Hinsehen fort.

      – Sicherlich mein Onkel, meinte Francis.

      – Er ist aber nicht allein.

      – Ja ja, Omikron wird bei ihm sein.

      – Was die beiden machen, danach braucht man nicht erst zu fragen, sagte Mrs. Hudelson.

      – Doch dasselbe wie mein Vater«, setzte Jenny mit einem Anflug von Traurigkeit hinzu, denn die heimliche Rivalität zwischen Mr. Dean Forsyth und Mr. Hudelson erfüllte sie schon längst mit einer gewissen Unruhe.

      Nach beendigter Umschau im Hause und nachdem Loo noch einmal ihre vollste Befriedigung darüber ausgesprochen hatte, kehrten Mrs. Hudelson, ihre zwei Töchter und Francis Gordon nach dem Hause in der Morrißstraße zurück. Schon am folgenden Tage sollte mit dem Eigentümer der Mietkontrakt abgeschlossen werden, und dann gedachte man sich mit der Anschaffung der nötigen Möbel zu beschäftigen, damit alles am 15. Mai in bestem Stande wäre.

      Im Laufe dieser Zeit verloren Mr. Dean Forsyth und der Doktor Hudelson gewiß keine Stunde. Doch welche leibliche und geistige Erschöpfung kosteten ihnen die an allen klaren Tagen und in allen heiteren Nächten fortgesetzten Beobachtungen, das Nachsuchen nach ihrer Feuerkugel, die sich darauf versteifte, nicht wieder über dem Horizonte der Stadt aufzuleuchten!

      Bisher verschwendeten die beiden Astronomen, trotz ihrer Beharrlichkeit, alle Mühe vergeblich. Weder am Tage noch in der Nacht hatte das Meteor bei einem Vorübergange über Whaston beobachtet werden können.

      »Wird es überhaupt hier vorüberkommen? seufzte zuweilen Dean Forsyth, wenn er lange Zeit vor dem Okular seines Teleskops gesessen hatte.

      – Das wird es, antwortete dann Omikron mit unerschütterlicher Zuversicht. Ja, ich möchte sagen: es geht schon hier vorüber.

      – Warum sehen wir es dann aber nicht?

      – Einfach, weil es jetzt unsichtbar ist.

      – Das ist rein zum verzweifeln! stieß dann Dean Forsyth hervor. Doch wenn es für uns unsichtbar ist, wird's das auch für die ganze Erde sein... wenigstens für Whaston.

      – Unzweifelhaft!« versicherte Omikron.

      So sprachen der Herr und der Diener sich wiederholt aus, und ihre Worte hätte man, nur in der Form eines Monologs, ebenso von dem wegen seines Mißerfolges verzweifelten Doktor Hudelson wieder hören können.

      Beide hatten von den Observatorien in Pittsburg und Cincinnati auf ihre Briefe Antwort erhalten. Man hatte dort die Mitteilung über das Auftauchen einer Feuerkugel am 16. März über der nördlichen Himmelshälfte von Whaston gebührend angemerkt. Dazu war noch geschrieben, daß es bisher unmöglich gewesen sei, den betreffenden Himmelskörper aufzufinden; Mr. Dean Forsyth und der Doktor Hudelson sollten aber sofort Nachricht erhalten, wenn er sich wieder zeigte.

      Natürlich hatten die Direktoren der Sternwarten jeder für sich geantwortet; es war ihnen ja nicht bekannt, daß von zwei Amateur-Astronomen sich jeder die Ehre der Entdeckung zuschrieb und die der Priorität beanspruchte.

      Nach dem Eingange dieser Antworten hätte man ja auf dem Turme der Elisabethstraße, wie auf dem der Morrißstraße auf weitere ermüdende Nachforschungen verzichten können. Die Sternwarten besaßen doch mächtigere und auch bessere Instrumente, und wenn jenes Meteor nicht ein kometenähnlicher Körper war, sondern sich in einer mehr geschlossenen Bahn bewegte, würde es mit den Fernrohren in Pittsburg und Cincinnati beim Vorübergange schon aufgefunden werden. Mr. Dean Forsyth und Mr. Sydney Hudelson hätten also gut daran getan, das weitere den beiden berühmten Anstalten zu überlassen.

      Mr. Dean Forsyth und Mr. Sydney Hudelson waren aber nun einmal Astronomen, doch keine Philosophen, und so setzten sie denn ihre Arbeit unbeirrt fort, ja sie widmeten ihr jetzt womöglich noch mehr Eifer. Ohne einander etwas von ihren Gedanken zu verraten, hatten sie doch eine Ahnung davon, beide demselben Wild nachzustellen, und die Befürchtung, dabei einer vom andern überholt zu werden, verhinderte sie, auch nur einen Augenblick zu rasten. Die Eifersucht nagte ihnen am Herzen, und die beiden Familien litten nicht wenig wegen dieses Wetteifers.

Dean Forsyth Doktor Sydney Hudelson

      Es lag auch Grund genug zur Beunruhigung vor. Ihre trüben Ahnungen verkörperten sich von Tag zu Tag mehr, und Mr. Dean Forsyth sowie der Doktor Hudelson, früher zwei so vertraute Freunde, überschritten keiner mehr die Schwelle des andern.

      Das brachte die beiden Verlobten in eine recht peinliche Lage. Sie sahen einander ja trotzdem alle Tage, denn die Türe des Hauses in der Morrißstraße stand für Francis Gordon offen wie bisher. Mrs. Hudelson kam diesem immer mit demselben Vertrauen, derselben Freundlichkeit entgegen, sie fühlte aber recht wohl, daß der Doktor dessen Anwesenheit nur mit heimlichem Unwillen betrachtete. Es wirkte jetzt ganz anders als sonst, wenn Mr. Dean Forsyth erwähnt wurde: da wurde Sydney Hudelson erst ganz blaß, dann puterrot und seine Augen schossen Blitze, die er freilich bald durch das Niederschlagen der Lider verdeckte, und diese beklagenswerten Erscheinungen, die Folgen einer gegenseitigen Antipathie, hätte man ganz ebenso bei Mr. Dean Forsyth beobachten können.

      Mrs. Hudelson hatte vergeblich versucht, die Ursache der Erkältung – noch mehr: dieser Aversion – kennen zu lernen, die zwischen den beiden alten Freunden eingetreten war. Ihr Gatte antwortete dann aber auf eine diesbezügliche Frage:

      »Das ist unnütz! Du würdest es doch nicht verstehen; ich hätte mich aber eines solchen Benehmens seitens Forsyths nicht versehen!«

      Welches Benehmens? Eine Erklärung hierüber war nicht zu erlangen. Selbst Loo, das verhätschelte Kind, wußte nichts. Sie hatte allerdings vorgeschlagen, Mr. Forsyth bis in seinen Turm hinauf aufzusuchen; Francis hatte ihr aber diesen kühnen Gedanken ausgeredet.

      »Nein, ich hätte niemals geglaubt, daß Hudelson mir gegenüber eines solchen Benehmens fähig wäre!« so würde ohne Zweifel – ganz entsprechend der des Doktors – die einzige Antwort des Oheims Francis Gordons gelautet haben.

      Einen Beweis dafür lieferte die Art und Weise, wie Mr. Dean Forsyth einmal Mitz abgefertigt hatte, als diese sich eine bezügliche Frage erlaubte.

      »Kümmern Sie sich allein um Ihre eignen Angelegenheiten!« hatte er


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