Weihnachtsmärchen. Charles Dickens

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Weihnachtsmärchen - Charles Dickens


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Weihnachten an? Der

      Henker hole die fröhlichen Weihnachten! Welchen Nutzen hatte

      er wohl jemals davon gehabt?

      »Die Schule ist nicht ganz verlassen«, nahm der Geist wieder das

      Wort. »Ein Kind, eine verlassene Waise, sitzt noch einsam dort.«

      Scrooge sagte, er wisse es. Und er schluchzte.

      Sie verließen nunmehr die Heerstraße auf einem wohlbekannten

      Feldweg und erreichten bald ein Haus aus dunkelroten

      Backsteinen mit einem kleinen Türmchen auf dem Dach und

      einer Glocke drin. Es war ein großes Haus, aber jetzt

      vernachlässigt und ziemlich verwahrlost, weil die geräumigen

      Gemächer wenig gebraucht waren, die Wände feucht und grün,

      die Fenster zerbrochen, die Türen morsch und halb zerfallen.

      Hühner gluckten und scharrten in den Ställen, und der

      Wagenschuppen war mit Gras überwachsen. Auch im Innern

      war nichts übriggeblieben von seiner alten Pracht, denn als sie in

      den verödeten Hausflur eintraten und durch die offenen Türen in

      die vielen Zimmer blickten, sahen sie nur ärmlich ausgestattete,

      kalte, große Räume. Ein erdiger, multriger Geruch lag in der Luft,

      kalte, große Räume. Ein erdiger, multriger Geruch lag in der Luft,

      eine frostige Unbehaglichkeit von allzu häufigem Aufstehen bei

      Kerzenlicht und nicht al zu reichlichem Essen.

      24

      Der Geist ging mit Scrooge über den Hausflur nach einer Tür auf

      der Rückseite des Hauses. Sie öffnete sich vor ihnen und zeigte

      ihnen einen langen, kahlen, unbehaglichen Saal, den Reihen von

      einfachen hölzernen Bänken noch kahler und unbehaglicher

      machten.

      Auf einer davon saß einsam ein Knabe neben einem schwachen

      Feuer und las; und Scrooge setzte sich auf eine Bank nieder und

      weinte, als er sein eigenes, vergessenes Selbst sah, wie es in

      früheren Jahren war.

      Kein dumpfer Widerhall in dem Haus, kein Rascheln der Mäuse

      hinter dem Getäfel, kein Getröpfel des halbgefrorenen

      Brunnentrogs hinten im Hof, kein Seufzer in den blattlosen

      Zweigen einer verlassen trauernden Pappel, nicht das Knarren

      der vom Wind hin und her bewegten Tür des Vorratshauses im

      Hof, selbst nicht das Knistern des Feuers war für Scrooge

      verloren. Alles fiel auf sein Herz wie erweichende Töne und löste

      seine Tränen.

      Der Geist berührte seinen Arm und wies auf sein jüngeres, in ein

      Buch vertieftes Abbild. Plötzlich stand draußen vor dem Fenster

      ein Mann in fremdartiger Tracht, mit einer Axt im Gürtel und

      ein Mann in fremdartiger Tracht, mit einer Axt im Gürtel und

      einen mit Holz beladenen Esel am Zaume führend.

      »Was! Das ist ja Ali Baba!« rief Scrooge voller Freude aus. »Es

      ist der alte, liebe, ehrliche Ali Baba. Ja, ja, ich weiß es noch.

      Einst zur Weihnachtszeit geschah es, daß dieser verlassene

      Knabe ganz allein hier saß, und er zum ersten Male wirklich

      kam, gerade wie er dort steht. Der arme Junge! Und Valentin«,

      fuhr Scrooge fort, »und auch sein wilder Bruder Orson, dort

      gehen sie! Und wie heißt doch der, der mitten im Schlaf vor das

      Tor von Damaskus gesetzt wurde?

      Siehst du ihn nicht? Und der Stallmeister des Sultans, der von

      den bösen Geistern auf den Kopf gestellt wurde, dort ist er ja

      auch! Ha, ha, es geschieht ihm schon recht! Wer hieß es ihn

      auch, die Prinzessin heiraten wol en!«

      Scrooge mit vollem Ernst über solche Gegenstände reden zu

      hören und mit einer zwischen Lachen und Weinen schwankenden

      Stimme, dann auch sein vor Freude aufgeregtes Gesicht zu

      sehen: das wäre für seine Geschäftsfreunde in der City gewiß

      eine große Überraschung gewesen.

      »Da ist ja auch der Papagei«, rief Scrooge, »der mit grünem Leib

      und gelbem Schwanz, da ist er! Der arme Robinson, er rief ihn,

      als er von seiner Inselumsegelung wieder nach Hause kam

      ›Robinson Crusoe, wo bist du gewesen?‹ Er glaubte, er träume,

      aber das war der Papagei. Ha, dort läuft Freitag in der kleinen

      aber das war der Papagei. Ha, dort läuft Freitag in der kleinen

      Bucht. Es gilt das Leben. Hallo, hob, hal o!«

      Dann sagte er mit einem schnel en Wechsel der Gefühle, der

      seinem gewöhnlichen Charakter sehr fremd war: »Der arme

      Knabe!«, und er weinte wieder. Dann wischte er sich mit dem

      Ärmelaufschlag die Augen, steckte die Hand in die Tasche und

      murmelte: »Ich wünschte - aber es ist jetzt zu spät.«

      »Was willst du?« fragte der Geist.

      »Nichts«, sagte Scrooge, »nichts. Gestern abend sang ein Knabe

      ein Weihnachtslied vor meiner Tür. Ich wünschte, ich hätte ihm

      etwas gegeben, weiter war es nichts.«

      25

      Der Geist lächelte gedankenvoll und winkte mit der Hand. Dann

      sagte er: »Laß uns ein anderes Weihnachtsfest sehen.«

      Scrooges früheres Selbst wurde bei diesen Worten größer, und

      das Zimmer etwas finsterer und schwärzer, das Getäfel warf

      sich, die Fensterscheiben sprangen, Stücke des Kalkbewurfs

      fielen von der Decke und das bloße Lattenwerk zeigte sich: aber

      wie das alles geschah, wußte Scrooge ebensowenig wie ihr. Er

      wußte nur, daß alles stimmte und sich ganz so zugetragen habe,

      und daß er's nun wieder sei, der dort al ein sitze, während die

      andern Knaben nach Hause gereist waren zur fröhlichen

      Weihnachtsfeier.

      Weihnachtsfeier.

      Er las nicht, sondern ging wie in Verzweiflung im Zimmer auf und

      ab.

      Scrooge blickte den Geist an und schaute mit einem traurigen

      Kopfschütteln und in banger Erwartung nach der Tür.

      Da ging sie auf und ein kleines Mädchen, viel jünger als der

      Knabe, sprang herein, schlang die Arme um seinen Hals,


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