Eine Frage der Macht. Hermann Brünjes

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Eine Frage der Macht - Hermann Brünjes


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Heitmann ist unser Chef. Er hebt den Daumen und er senkt ihn. Jetzt sind beide unten. Aus seiner Sicht hat das ganze Team versagt. Die Lüneburger Zeitung war schon wieder mal schneller.

      »Wie kommen die an ihre Fotos und ihr wisst noch nicht mal, wie man Wolf buchstabiert? Wo seid ihr, wenn was passiert? Jens, ja, dich meine ich vor allem. Warst mal auf Zack. Bist vielleicht doch langsam zu alt. Jetzt laufen wir der Konkurrenz hinterher!«

      Was soll ich sagen? Ich war tatsächlich mal jünger.

      Vor uns liegt die aktuelle Ausgabe der Lüneburger Zeitung. »Der 4. Abschuss!« titelt sie stolz und darunter steht: »Wolfssterben im Süsing.« Ich frage mich wie alle am Tisch, wie die Kollegen der Nachbarstadt an diese Fotos kommen und an die Infos dazu. Vermutlich sind sie einfach besser in die Förster- und Jägerszene vernetzt als wir. Ärgerlich ist nur, dass die Fundorte der illegal geschossenen Wölfe allesamt in unserem Landkreis liegen.

      Mein Online-Kollege, der sonst auf alles eine Antwort hat, Sportredakteur Steini, der immer mitredet, auch ohne dass er etwas weiß, die zwei jungen und noch unerfahrenen Regionalredakteure und auch ich als gewissermaßen Reporter-Urgestein der Kreiszeitung senken unsere Blicke wie Schüler, die von ihrem Lehrer der völligen Ahnungslosigkeit überführt wurden.

      Nur unsere hübsche Kollegin aus Ostfriesland versucht eine Erklärung. Sie hat echt Mut, die hübsche Blonde aus dem Norden.

      »Chef. Die haben vermutlich bessere Kontakte als wir.«

      Elske schaut mit ihren funkelnden blauen Augen sogar ein bisschen frech ins zornrote Gesicht unseres Vorgesetzten. Und sie setzt noch eins drauf.

      »Und, Chef, mach mal halblang. Vielleicht müssen die Kollegen dort auch nicht zu jedem Feuerwehr- oder Schützentreffen, müssen sich die Abende nicht in langweiligen Sitzungen oder immer ähnlichen Konzerten vertreiben und auch nicht hundertmal ihre Abrechnungen nach unten korrigieren!«

      Der Hammer, was sie sich traut! Unsere Blicke richten sich zaghaft auf das Gesicht unseres Chefs. So mit ihm zu reden, traut sich nur Elske, unser überaus charmantes »Küken«!

      Florian Heitmann starrt sie an. Man sieht es in ihm arbeiten. Über den dichten Augenbraunen pulsieren die Adern. Seine fleischigen Hände liegen wie eingefroren auf dem Tisch. Er erinnert mich an einen Feuerwerkskörper vom Vorjahr. Gerade entzündet, wartet man gespannt darauf, ob und wann er explodiert.

      Doch genau das passiert nicht.

      Florian entspannt sich plötzlich. Er nickt Elske versöhnlich zu und lehnt sich zurück.

      »Elske, du hast natürlich recht. Über die Sache mit den Aufträgen reden wir später – aber du hast recht mit der Vernetzung der Konkurrenz. Wir sind stark in Sachen Vereine und Veranstaltungen. Die sind stark, was die Vernetzung in Berufsgruppen und so was angeht. Kein Wunder. Ihre Redaktion ist ja auch mehr als doppelt so groß als unsere.«

      Wir alle atmen auf. Man kann unseren Chef als cholerisch bezeichnen, ihn für unfair halten oder auch seine Leitungsqualitäten anzweifeln, für eine positive Überraschung ist er jedoch immer gut! Und nun kann die wöchentliche Sitzung sogar noch konstruktiv werden. Genau genommen hat der Chef ja sogar recht. Wir haben in Sachen »Wolf« den Anschluss verpasst. Nach vielen Berichten über tote Schafe auf der Weide, Demos der Weidebesitzer und hunderten zum Teil extrem bissigen Leserbriefen ist uns der Stoff während der letzten Wochen schlicht ausgegangen. Die Nachbarn im Norden waren, was diese illegalen Abschüsse der letzten Monate angeht, wirklich schneller. Sie haben offenbar auch gute Kontakte zur Polizei. Die Kripo ermittelt. Wolfsberater und Experten analysieren die Kadaver. Man versucht, so gut es geht, Spuren der Wilderer zu finden... alles bisher umsonst. Aber auch wenn etwas umsonst ist, kann man fast täglich darüber berichten.

      »Wir sortieren also mal, was für den Mai noch so anliegt.«

      Florian Heitmann ist wieder bei der Sache. Was er besonders gut kann, außer die Zeitung leiten und in Politik, Verbänden und bei Anzeigenkunden gut Wetter zu machen, ist das Delegieren von Arbeit. Manche finden das doof, ich finde es prima. Was sonst ist die Aufgabe eines guten Chefredakteurs und Leiters? Er oder sie soll den Laden inhaltlich und wirtschaftlich am Laufen halten, ihn nach außen vertreten und sein Team motivieren und es machen lassen.

      »Wir haben neben den Veranstaltungen vor allem drei Themen: Den Wahlkampf und das ganze Machtgerangel um die Herrschaft im Land einschließlich des Europatages am Neunten. Den Wolf. Und Muttertag am Achten.«

      »Den Volkslauf Anfang Juni müssen wir auch schon in Blick nehmen. Da hängt viel Arbeit dran!« Was Steini unter »viel« Arbeit versteht, ist allerdings unklar. Meistens wirkt der Sportkollege ziemlich entspannt.

      »Richtig, Kollege Stein. Das ist natürlich einzig deine Sache! Jetzt, wo diese Coronakacke endlich vorbei ist, kann auch dein Sportlerherz wieder unbeschwert schlagen!«

      Florian lacht und wendet sich an die beiden jungen Kollegen ihm gegenüber am Tisch. »Und ihr zwei, ihr übernehmt die kulturellen, kirchlichen und sonstigen Veranstaltungen in eurer Region. Ihr könnt da gerne noch freie Mitarbeiter einspannen.«

      Die beiden Regionalredakteure lachen nicht, nicken aber. Florian visiert nun Elske und mich an.

      »Und ihr? Klar, ihr macht den Rest. Ihr kümmert euch um die aktuellen Themen.«

      Elske runzelt die Stirn.

      »Was heißt das denn, Chef? Ich bin eigentlich Öffentlichkeitsbeauftragte und Pressesprecherin dieser Zeitung, aber doch nicht Reporterin oder Redakteurin.«

      Florian Heitmann wedelt wieder mit den Fingern.

      »Und wenn, Kollegin. Du bist einfach zu gut fürs Büro. Und einer muss ja unserem lieben Jens auf die Finger schauen!«

      Damit meint er mich. Was mich nicht stört, ist doch mein Verhältnis zu Elske hervorragend. Mit ihr im Team macht die Arbeit doppelt Spaß. Ihr scheint es ähnlich zu gehen.

      »Okay, Chef, dann arbeite ich also ab sofort mit Jens zusammen. An was denkst du?«

      Dass ich nicht zu Wort komme, macht mir nichts aus – jedenfalls nicht, solange alles in meinem Sinn läuft.

      »Ihr macht die Berichterstattung über den Europatag und alles, was mit den Wahlen zusammenhängt.«

      »Okay. Sollen wir auch Interviews machen? Mit den Kandidaten und so...?«

      »Klar. Was ihr wollt, Hauptsache, ihr kitzelt denen ihre wahren Motive und Absichten raus. Was wollen sie wirklich? Warum greifen sie tatsächlich nach der Macht und streben auf Deubel komm raus einen politischen Schleudersitzjob an?« Florian lacht jetzt schelmisch. »Ihr müsst keine Skandale aufdecken, dürft es aber natürlich gerne, wenn es sich ergibt!«

      Typisch Florian. Er war vor seiner Zeit bei der Kreiszeitung Redakteur der BILD in Hamburg. Es ist uns bis heute nicht gelungen, unserem Chef gewisse Tendenzen der Boulevardpresse auszutreiben.

      Ich habe noch ein Anliegen, weiß jedoch nicht, wie ich es vorbringe. Schade, dass ich darüber nicht schon vor der Sitzung mit Elske gesprochen habe. Sie hätte es vermutlich besser als ich einbringen können. Aber okay, ich hoffe, es gelingt mir, mein Anliegen vorsichtig zu formulieren.

      »Chef, im Mai gibt es wieder einen kirchlichen Feiertag!«

      Es war wohl doch nicht vorsichtig genug.

      Er runzelt skeptisch die buschigen Augenbraunen. Allein das Wort »kirchlich« ist für meinen Chef ein Reizwort. Wie ich vor Jahren während eines feuchtfröhlichen Betriebsfestes herausbekommen habe, hat Florian Heitmann vor seiner Journalistenkarriere ein paar Semester Theologie studiert. Dann gab es einen Bruch in seiner Biografie. Die Hintergründe dazu kennt vermutlich nur er selbst. Seitdem stänkert er herum, wann immer es um Kirche, Glauben und Theologie geht. War also doch nicht so schlau mit dem »kirchlich«.

      »Jens, das muss doch nun nicht auch noch sein! Weihnachten, Ostern und Pfingsten hast du nun durch – und nun auch noch Himmelfahrt?«

      Ich wusste


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