Eine Frage der Macht. Hermann Brünjes
Читать онлайн книгу.nicht? Meine vorigen Reportagen waren für unsere Zeitung doch recht erfolgreich, oder?«
Elske nickt aufmunternd und auch die anderen am Tisch scheinen dieser Meinung zu sein. Und wirklich, meine über die letzten Jahre verteilten Reportagen über die kirchlichen Feste passten jeweils supergut zu den Themen der Zeit, waren hochaktuell und brachten teilweise sogar sensationelle Auflagen. Es waren wohl die besten und aufregendsten Recherchen, die ich je gemacht habe.
Daran erinnert sich nun vermutlich auch der Chef.
»Okay, Jens. Ich gebe zu, dass du ein gewisses Talent hast, aus kirchlichen Festen Skandale und Kriminalgeschichten zu generieren. Bei Himmelfahrt allerdings weiß ich nicht, wie das gehen sollte!«
Nun springt Elske in die Bresche. Sie hat im Gegensatz zu mir eine geradezu fromme Vergangenheit. In Ostfriesland war sie Gruppenleiterin im EC, bei den »Entschiedenen Christen«.
»Oh, Chef, das würde ich nicht sagen. An Himmelfahrt geht es um nichts anderes als bei den Wahlen und im Wahlkampf.«
Wieder Stirnrunzeln, jetzt nicht nur beim Chef, sondern rundum, auch bei mir. Wieso das?
»Für mich ist Himmelfahrt vor allem Vatertag!«
Steini spricht wieder schneller, als er denken kann.
»Da ziehen wir mit dem Bollerwagen durch die Heide und geben uns die Kante! Freu’ mich riesig drauf. Musste wegen Corona zwei Jahre ausfallen!«
Elske nickt.
»Stimmt. Weil wir mit Himmelfahrt nichts anfangen können und Muttertag uns zu einseitig erscheint, haben wir einen Vatertag draus gemacht. Aber das ist tiefsinniger, als ihr glaubt.«
Der Chef nickt. Ich sag´s ja, er weiß Bescheid. Aber er will mit der Sitzung weiterkommen und unterbricht Elske jetzt.
»Ist schon gut, Kollegin. Wir wollen hier jetzt nicht in Theologie und Zeitgeschichte einsteigen. Ihr macht also auch was über Himmelfahrt – aber nur, wenn ihr es mit aktuellen Themen verbindet und nicht einfach nur frommes Geschwafel! Einverstanden?«
Wir nicken.
»Einverstanden!« sagen wir gleichzeitig.
Ich bin schon gespannt, wie Elske einen Zusammenhang zwischen den Wahlen und Himmelfahrt herstellt. Meine Erfahrung mit diesem Feiertag geht eher in Richtung Steini: Bollerwagen und Besäufnis. Oder mir fällt ein, dass der Flugplatz nahe unserer Kreisstadt dann immer ein riesiges Fest feiert. Himmel und Fliegen passt ja auch gut!
Es wartet viel Arbeit auf uns.
»Ein Thema übernehmt ihr noch!«
Noch mehr Arbeit. Aber ich ahne schon, womit Florian jetzt kommt.
»Ihr steigt tiefer in die Wolfsthematik ein als bisher! Ich will wissen, wer der Wilderer ist, der unsere Wölfe killt. Überlasst das also nicht der Polizei oder den Lüneburger Kollegen. Die Abschüsse sind alle in unserem Revier passiert. Also sind sie unser Thema! Und achtet darauf: Nicht Partei ergreifen, nur recherchieren und sachlich berichten!«
In Elske regt sich Widerstand.
»Aber die Wölfe sind streng geschützt!«
Steini murmelt etwas wie »Auch die Schafe wollen leben! Also abschießen!« vor sich hin. Florian geht dazwischen.
»Genau deshalb! Das Thema polarisiert hier bei uns wie kaum ein anderes. Wir brauchen sachliche Information, keine Stimmungsmache – egal in welche Richtung! Okay?«
Elske und ich nicken auch diesmal wieder synchron.
*
»Am Sonntag kommen die Kinder!«
Maren strahlt. Ihre Tochter mit Enkel und ihren Sohn Benni hat sie seit Weihnachten nicht gesehen.
»Bruno ist nun schon sieben! Ich bin echt gespannt auf ihn. Mir kommt es vor, als habe ich in den fast zwei Jahren Coronabeschränkungen völlig den Anschluss an seine Entwicklung verpasst. Nicht mal bei seiner Einschulung war ich.«
Für mich ist Maren mit ihren 58 Jahren eine tolle, begehrenswerte Frau. Tatsächlich aber ist sie Oma. Und sie ist es gerne. Sie liebt Kinder und findet es schade, dass ich keines und sie nur ein Enkelkind hat. »Mit deinen 63 hättest du längst einige Enkel haben können!« hat sie mir mal ins Stammbuch geschrieben. »Aber du hast ja nicht einmal Kinder!«
Mir gefällt ihr Humor.
Ich erzähle, was in der Redaktion los war. Sie lacht.
»Typisch Chef. Verteilt die Arbeit. Was macht er eigentlich, wenn die Sitzung vorbei ist? Sitzt vermutlich im Sessel und trinkt heimlich seinen Simpel-Dimple?«
Maren hat von diesem offenen Geheimnis gewissermaßen zwangsweise von mir erfahren. Wann immer einer seiner Leute ihn glücklich gemacht hat, schenkt Florian Heitmann von seinem hinter Akten versteckten Whisky ein. Wer privilegiert ist, seinen Spruch »Jedem Simpel einen Dimple« zu hören, muss damit rechnen, ganz furchtbar zu versacken. Maren musste mich leider während unseres zweijährigen Zusammenlebens in Himmelstal schon zweimal spät abends und völlig fahruntüchtig aus der Redaktion abholen.
Ich sehe mich trotzdem genötigt, Florian zu verteidigen.
»Er leitet. Der Chef sorgt dafür, dass die Einnahmen und die Positionierung des Blattes in Politik und Öffentlichkeit stimmen und die Anzeigenkunden bei der Stange bleiben.«
Maren schmunzelt wissend.
»Toll. Also Telefon, Sektempfänge und kaltes Büffet.«
»So ähnlich. Aber wie gesagt, das kann er gut. Unser Blatt ist bisher durch alle Krisen unbeschadet hindurchgekommen.«
»Und du kannst also euren Leserinnen und Lesern nun wieder einen kirchlichen Feiertag nahebringen. Die hübsche Ostfriesin und der clevere Reporter als Himmelfahrtskommando.«
Sie lacht. Ich berichte ihr vom Strategiegespräch mit Elske, das wir gleich nach der Sitzung geführt haben.
Meine Kollegin hat mir den Zusammenhang von Himmelfahrt und Wahlkampf plausibel gemacht. Es klang einfach, birgt aber vermutlich doch dicke Fragezeichen. »Jens«, hat sie lachend erklärt, »Himmelfahrt bedeutet, dass Jesus Christus die Macht übernommen hat. Erst tot, dann auferstanden, dann im Himmel bei Gott, also auf dem Herrscherthron über alle Welt. Jesus ist der Chef von allem, könnte man auch sagen. Er hat ›alle Macht im Himmel und auf Erden‹ – vermutlich kennst ja sogar du als ehemaliger Religionsbanause das Zitat aus Matthäus! Also, was verbindet den Wahlkampf mit Himmelfahrt? Das Thema Macht!«
Als ich Maren davon erzähle, strahlen ihre braunen Augen ähnlich wie die von Elske heute Nachmittag.
»Jens. Deine Kollegin trifft den Nagel auf den Kopf! Immerzu geht es um Macht. Klar, es geht auch um Geld und Ansehen, und manchmal vielleicht sogar um Verantwortung oder Liebe. Aber die Kernfrage in all dem ist oft genug: Wer hat die Macht? Wer bestimmt? Wer kann machen, was er will? Wer setzt sich am Ende durch? Und deine hübsche blonde Lieblingskollegin trifft den Kern: Jesus Christus ist der Chef. Die Politiker, und eigentlich wir alle, tun allerdings gerne so, als wären wir nicht nur unser eigener, sondern auch Chef der anderen.«
Höre ich da einen leisen Ton von Eifersucht auf Elske aus Marens Worten? Nein. Ich weiß, dass Maren viel von meiner Kollegin hält. Die beiden Frauen sind sich mehrfach begegnet und haben sich immer super verstanden. Hoffentlich bleibt es so. Vielleicht spürt Maren aber doch, dass ich Elske sehr sympathisch finde. Hätte ich sie als junger Mann getroffen... Aber nun gibt es wahrlich keinen Grund zur Eifersucht. Ich liebe Maren und nur sie! Aber Frauen...
»Jens, ich kann dir sogar sagen, was die Wölfe mit Himmelfahrt zu tun haben!«
Sie schiebt sich keck ihre braune Haarsträhne aus dem Gesicht. Seltsam, wie gewisse Gesten irgendwie erotisch wirken.
»Na, da bin ich aber gespannt.«
»Nun, der Wolf ist doch ein Symbol für Stärke, Klugheit und, wenn man so