Elduria - Runa oder das Erwachen. Norbert Wibben

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Elduria - Runa oder das Erwachen - Norbert Wibben


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dem breiten Verkehrsweg gefolgt sein. Ob sie dann im Nebel umgekehrt sind? Sie hatten auch vorher kaum erkennen können, wo wir gelaufen sind. Das ist aber anders, wenn ein Magier nachträglich zu ihnen gestoßen ist.«

      Runa erschauert. Weshalb sollte ein Zauberer versuchen, sie zu fangen? Kann das mit ihrer Aktion vor dem Rathaus zusammenhängen? Dabei hat sie lediglich einem jungen Mann das Leben gerettet. Die Erkundigung auf dem Marktplatz mag vielleicht verdächtig erscheinen, ist nach ihrem Empfinden aber harmlos. Es ist doch natürlich, wenn sie sich nach dem Mann erkundigt, dessen Name sie dort gehört hat. Andererseits blickte sein Sohn verwundert auf ihr Mal am linken Unterarm. Könnte das der Grund sein? Owain hatte Atropaia entführt, könnte dieser Brendan nicht genauso …

      »Wir müssen schneller gehen!«, wird sie aus ihren Gedanken gerissen. »Kannst du noch etwas Regen herbeirufen? Es ist nicht so, dass ich unbedingt auf Wasser stehe, aber die Tropfen können helfen, unseren Weg zu verschleiern. Und das ist überlebenswichtig!«

      Runa will aus Verärgerung stehenbleiben. Doch der kräftigere Junge zieht sie weiter. Dabei entgeht ihr, dass Dragon niemals zuvor derart viele Worte gesprochen hat, wie seit ihrem Aufbruch im »Fuchs und Gans«.

      »Was fällt dir ein? Ich kann und will allein laufen!« Sie kraust die Stirn und widersetzt sich mit aller Macht seinem Bestreben, sie weiterzuziehen.

      »RUNA! Das ist KEIN Spiel!« Seine eindringlichen Worte erzeugen ein Kribbeln auf ihrem Rücken. In seinen hellbraunen Augen, mit denen er sie beschwörend und ernst anschaut, bewegt sich etwas. Sollte das eine lodernde, kleine Flamme sein? Das Mädchen grübelt. Wo hat es beim Blick in eine dunkle Pupille bereits Derartiges gesehen? Die Wärme in ihrem linken Unterarm bemerkt sie kaum. In Gedanken prüft sie die Worte ihres Gefährten. Alles spricht dafür, seinem Vorschlag zu folgen. Wortlos nimmt sie ihre wetterfeste Jacke aus dem Rucksack. Sie zieht das Kleidungsstück aber nicht an, sondern will es über sich und Dragon halten.

      »Uisge!«, murmelt sie, ohne die Reaktion von vor wenigen Momenten zu erwarten. Doch sofort fallen dicke Regentropfen auf sie herab. »Ich kann zaubern!«, stellt sie erstaunt fest.

      »So sieht es aus!«, bestätigt der Junge. »Das sollte dir der Beweis sein, dass es Zauberer gibt. Nach unserem vorhin Erlebten ist zu folgern, dass sich ein böser Magier auf unserer Spur befindet, zumindest einer.« Er folgt der Aufforderung des Mädchens, sich unter den Schutz der Jacke zu begeben.

      »Aber warum sollte das so sein? Ich habe doch nichts verbrochen!« Runa legt die Stirn in Falten und versucht, eine logische Erklärung zu finden. Sie widersetzt sich dem Jungen nicht mehr. Wegen des Regens laufen sie dicht nebeneinander tiefer in den Wald hinein. Sie halten jeder eine Seite der Jacke über sich, die dadurch wie ein breiter Schirm wirkt. Ob sie noch dem Pfad folgen, können sie nicht erkennen. Nach längerer Zeit, die Arme sind inzwischen lahm und gefühllos geworden, fragt Dragon:

      »Kannst du den Dauerregen abstellen? Ich denke, das ist genug Wasser gewesen.«

      »Wenn ich wüsste wie, würde ich das machen. Am Waldrand hörte er doch schon auf, sobald wir die ersten Schritte in den Wald gemacht hatten.«

      »Das hatte den Grund, dass von außen nichts Magisches in ihn eindringen kann. Alte Schutzzauber vermutlich.«

      Runa schaut den Jungen erstaunt an. Woher weiß er das? Parallel dazu geht sie in Gedanken erneut die Liste der Zaubersprüche durch.

      »Inhibeo!«

      Dieses Wort beendet tatsächlich den Regen. Erleichtert senken beide die Arme und Runa schüttelt die Jacke aus. Ob die anderen Sprüche in ihrem Buch auch von Erfolg gekrönt sein werden, wenn sie sie spricht? Etwas Wärme wäre jetzt nicht schlecht. Die große Luftfeuchtigkeit lässt sie frösteln. Im Wald dringen die Sonnenstrahlen nicht durch das hohe Blätterdach. Soll sie versuchen, ein wärmendes Feuer zu entzünden? Doch Runa schüttelt den Kopf. Sie ahnt instinktiv, dass das Probieren der verschiedenen Sprüche in einer Katastrophe enden könnte. Bewegung wird zu dem gleichen Ergebnis führen, ist sie überzeugt, und dabei völlig ungefährlich.

      Die Wanderung durch den Wald geht schon über Stunden. Die Vogelstimmen, die zu Beginn wie eine Begrüßung geklungen hatten, haben nur kurzzeitig durch den Sturm eine Unterbrechung erfahren. Doch sie hörten mit Einsetzen des Regens auf. Seitdem der vorbei ist, sind sie nicht wieder zu hören. Liegt das an der einsetzenden Dämmerung? Der Junge horcht in wechselnden Abständen nach hinten. Zuerst irritiert ihn das Geräusch, wenn Tropfen von den Blättern zu Boden fallen, doch das ändert sich schnell. Wenn hinter ihnen Reiter kommen, könnten sie die Huftritte erst spät wahrnehmen, weil der Waldboden sie dämpfen wird. Deshalb ist größte Vorsicht angebracht!

      Runa hat bei diesen Gedanken sofort wieder das Ereignis von vor sieben Jahren vor Augen. Damals erfolgte das Eindringen der Entführer ins Haus nur wenige Augenblicke später, nachdem die Huftritte im Inneren zu vernehmen waren. Sie sieht den grellen Blitz und die berstende Tür, und wie ein silbern glänzendes Netz über die Amme geworfen wird. Erst jetzt fällt ihr auf, dass sich zu dem Zeitpunkt ihre Gestalt bereits geändert haben musste. Die Sicht auf das Geschehen war aus einer niedrigeren Position heraus erfolgt. Atropaia muss sie in die Haselmaus verwandelt haben! Also besaß ihre Amme magische Kräfte! – Warum konnte sie sich dann nicht gegen die Eindringlinge wehren? Die Erkenntnis über Atropaias Fähigkeit einerseits, aber deren nahezu widerstandslose Fesselung andererseits, trifft sie wie ein Schlag.

      Da sie stehenbleibt, dreht sich Dragon nach ihr um.

      »Bist du müde?«

      »Nein. – Wenn ich ehrlich bin, aber doch. Ich weiß aus der Erinnerung, dass wir das Haus heute nicht mehr erreichen werden. Mit fünf Jahren waren meine Schritte sicher kleiner als die, die wir jetzt machen. Das wird jedoch dadurch ausgeglichen, dass ich damals die ganze Nacht wanderte. Ich traute mich nicht, den Abstand zu den Reitern zu groß werden zu lassen. – Wir sollten abseits von unserer bisherigen Wanderrichtung ein Plätzchen im Laub suchen.«

      Bis hierher hat das Regengebiet offenbar nicht gereicht. Der Boden ist trocken. Die auch hier wachsenden Buschwindröschen scheinen ihnen im schwachen Restlicht den Weg zu weisen. Sie entdecken schon bald eine kleine Lichtung, auf der zwei große Laubhaufen liegen. Das wirkt wie für sie vorbereitet. Sie zögern trotzdem nicht, sie zu nutzen, dafür sind sie zu müde. Derart viel Laub in einem sonst frühlingshaften Wald müsste ihnen seltsam fehl am Platz erscheinen. Sie überlegen nicht, ob das eine für sie aufgestellte Falle sein könnte, sondern wühlen sich jeweils eine Vertiefung in einen der Haufen. Am Lichtungsrand rupfen sie zusätzlich einige Farnwedel ab und breiten sie als Unterlage in die Mulden. Völlig erschöpft legen sie sich darauf und häufeln die Blätter von den Rändern über sich.

      »Schlaf gut!«, flüstert Runa. Doch das hört Dragon schon nicht mehr. Er ist bereits eingeschlafen. Die Auseinandersetzung mit dem Zaubernebel hat ihn stärker in Anspruch genommen, als er zu erkennen gegeben hat. Er wollte aus Vorsicht möglichst schnell einen großen Abstand zum Waldrand gewinnen, sonst hätte er schon eher eine Rast vorgeschlagen.

      Ob eine Wache in ihrer Situation nicht dringend angebracht wäre, hat er noch kurz überlegt. Sollten die Reiter bemerkt haben, dass sie ihnen nicht mehr auf der Spur waren, würden sie bestimmt umkehren und auf den abzweigenden Wegen suchen. Er ist nicht sicher, ob der Regen alle Hinweise auf ihre Anwesenheit am Waldrand genügend verwischt hat. Er will sich erheben und die Reihenfolge der Wachablösung mit Runa besprechen. Zuvor muss er sich nur kurz ausruhen, aber dann will er sofort zu ihr hinübergehen. Nur schnell etwa fünf oder besser zehn Atemzüge im Liegen? Das sollte seine Kraftreserven etwas erneuern. Doch die Müdigkeit ist übermächtig und lässt ihn bereits beim zweiten Einatmen in tiefen Schlummer sinken.

      Runa liegt dagegen noch eine Zeit lang wach. Sie vernimmt das »Schuhu« einer Eule, der aus entgegengesetzter Richtung eine zweite antwortet. Das Knacken im Unterholz deutet auf kleinere Tiere hin, die dort nach Nahrung suchen. Weitere nächtliche Tierstimmen versetzen sie in ihre Kindheit zurück. Sie meint, das vertraute Angesicht ihrer Amme zu sehen, die sie an ihrem Bett sitzend zudeckt.

      »Paia«, murmelnd, schläft auch sie ein.

      Runa erwacht vom Zwitschern eines Vogels. Sie


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