Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe

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Dichtung und Wahrheit - Johann Wolfgang von Goethe


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schloß, läßt sich wohl denken, daß man ebenso durch geschlachtete Tiere ein Bündnis zu befestigen glaubte, fließt aus dem Vorhergehenden; auch daß man die Götter, die man doch immer als Partei, als Widersacher oder als Beistand, ansah, durch Getötetes herbeiziehen, sie versöhnen, sie gewinnen könne, über diese Vorstellung hat man sich gleichfalls nicht zu verwundern. Bleiben wir aber bei den Opfern stehen, und betrachten die Art, wie sie in jener Urzeit dargebracht wurden, so finden wir einen seltsamen, für uns ganz widerlichen Gebrauch, der wahrscheinlich auch aus dem Kriege hergenommen, diesen nämlich: die geopferten Tiere jeder Art, und wenn ihrer noch so viel gewidmet wurden, mußten in zwei Hälften zerhauen, an zwei Seiten gelegt werden, und in der Straße dazwischen befanden sich diejenigen, die mit der Gottheit einen Bund schließen wollten.

      Wunderbar und ahndungsvoll geht durch jene schöne Welt noch ein anderer schrecklicher Zug, daß alles, was geweiht, was verlobt war, sterben mußte: wahrscheinlich auch ein auf den Frieden übertragener Kriegsgebrauch. Den Bewohnern einer Stadt, die sich gewaltsam wehrt, wird mit einem solchen Gelübde gedroht; sie geht über, durch Sturm oder sonst; man läßt nichts am Leben, Männer keineswegs, und manchmal teilen auch Frauen, Kinder, ja das Vieh ein gleiches Schicksal. Übereilter und abergläubischer Weise werden, bestimmter oder unbestimmter, dergleichen Opfer den Göttern versprochen; und so kommen die, welche man schonen möchte, ja sogar die Nächsten, die eigenen Kinder, in den Fall, als Sühnopfer eines solchen Wahnsinns zu bluten.

      In dem sanften, wahrhaft urväterlichen Charakter Abrahams konnte eine so barbarische Anbetungsweise nicht entspringen; aber die Götter, welche manchmal, um uns zu versuchen, jene Eigenschaften hervorzukehren scheinen, die der Mensch ihnen anzudichten geneigt ist, befehlen ihm das Ungeheure. Er soll seinen Sohn opfern, als Pfand des neuen Bundes, und, wenn es nach dem Hergebrachten geht, ihn nicht etwa nur schlachten und verbrennen, sondern ihn in zwei Stücke teilen, und zwischen seinen rauchenden Eingeweiden sich von den gütigen Göttern eine neue Verheißung erwarten. Ohne Zaudern und blindlings schickt Abraham sich an, den Befehl zu vollziehen: den Göttern ist der Wille hinreichend. Nun sind Abrahams Prüfungen vorüber: denn weiter konnten sie nicht gesteigert werden. Aber Sara stirbt, und dies gibt Gelegenheit, daß Abraham von dem Lande Kanaan vorbildlich Besitz nimmt. Er bedarf eines Grabes, und dies ist das erstemal, daß er sich nach einem Eigentum auf dieser Erde umsieht. Eine zweifache Höhle gegen den Hain Mamre mag er sich schon früher ausgesucht haben. Diese kauft er mit dem daran stoßenden Acker, und die Form Rechtens, die er dabei beobachtet, zeigt, wie wichtig ihm dieser Besitz ist. Er war es auch, mehr als er sich vielleicht selbst denken konnte: denn er, seine Söhne und Enkel sollten daselbst ruhen, und der nächste Anspruch auf das ganze Land, sowie die immerwährende Neigung seiner Nachkommenschaft, sich hier zu versammeln, dadurch am eigentlichsten begründet werden.

      Von nun an gehen die mannigfaltigen Familienszenen abwechselnd vor sich. Noch immer hält sich Abraham streng abgesondert von den Einwohnern, und wenn Ismael, der Sohn einer Ägypterin, auch eine Tochter dieses Landes geheiratet hat, so soll nun Isaak sich mit einer Blutsfreundin, einer Ebenbürtigen, vermählen.

      Abraham sendet seinen Knecht nach Mesopotamien zu den Verwandten, die er dort zurückgelassen. Der kluge Eleasar kommt unerkannt an, und um die rechte Braut nach Hause zu bringen, prüft er die Dienstfertigkeit der Mädchen am Brunnen. Er verlangt zu trinken für sich, und ungebeten tränkt Rebekka auch seine Kamele. Er beschenkt sie, er freiet um sie, die ihm nicht versagt wird. So führt er sie in das Haus seines Herrn, und sie wird Isaak angetraut. Auch hier muß die Nachkommenschaft lange Zeit erwartet werden. Erst nach einigen Prüfungsjahren wird Rebekka gesegnet, und derselbe Zwiespalt, der in Abrahams Doppelehe von zwei Müttern entstand, entspringt hier von einer. Zwei Knaben von entgegengesetztem Sinne balgen sich schon unter dem Herzen der Mutter. Sie treten ans Licht: der ältere lebhaft und mächtig, der jüngere zart und klug; jener wird des Vaters, dieser der Mutter Liebling. Der Streit um den Vorrang, der schon bei der Geburt beginnt, setzt sich immer fort. Esau ist ruhig und gleichgültig über die Erstgeburt, die ihm das Schicksal zugeteilt; Jakob vergißt nicht, daß ihn sein Bruder zurückgedrängt. Aufmerksam auf jede Gelegenheit, den erwünschten Vorteil zu gewinnen, handelt er seinem Bruder das Recht der Erstgeburt ab, und bevorteilt ihn um des Vaters Segen. Esau ergrimmt und schwört dem Bruder den Tod, Jakob entflieht, um in dem Lande seiner Vorfahren sein Glück zu versuchen.

      Nun, zum erstenmal in einer so edlen Familie, erscheint ein Glied, das kein Bedenken trägt, durch Klugheit und List die Vorteile zu erlangen, welche Natur und Zustände ihm versagten. Es ist oft genug bemerkt und ausgesprochen worden, daß die Heiligen Schriften uns jene Erzväter und andere von Gott begünstigte Männer keineswegs als Tugendbilder aufstellen wollen. Auch sie sind Menschen von den verschiedensten Charaktern, mit mancherlei Mängeln und Gebrechen; aber eine Haupteigenschaft darf solchen Männern nach dem Herzen Gottes nicht fehlen: es ist der unerschütterliche Glaube, daß Gott sich ihrer und der Ihrigen besonders annehme.

      Die allgemeine, die natürliche Religion bedarf eigentlich keines Glaubens: denn die Überzeugung, daß ein großes, hervorbringendes, ordnendes und leitendes Wesen sich gleichsam hinter der Natur verberge, um sich uns faßlich zu machen, eine solche Überzeugung dringt sich einem jeden auf; ja wenn er auch den Faden derselben, der ihn durchs Leben führt, manchmal fahren ließe, so wird er ihn doch gleich und überall wieder aufnehmen können. Ganz anders verhält sich's mit der besondern Religion, die uns verkündigt, daß jenes große Wesen sich eines Einzelnen, eines Stammes, eines Volkes, einer Landschaft entschieden und vorzüglich annehme. Diese Religion ist auf den Glauben gegründet, der unerschütterlich sein muß, wenn er nicht sogleich von Grund aus zerstört werden soll. Jeder Zweifel gegen eine solche Religion ist ihr tödlich. Zur Überzeugung kann man zurückkehren, aber nicht zum Glauben. Daher die unendlichen Prüfungen, das Zaudern der Erfüllung so wiederholter Verheißungen, wodurch die Glaubensfähigkeit jener Ahnherren ins hellste Licht gesetzt wird.

      Auch in diesem Glauben tritt Jakob seinen Zug an, und wenn er durch List und Betrug unsere Neigung nicht erworben hat, so gewinnt er sie durch die dauernde und unverbrüchliche Liebe zu Rahel, um die er selbst aus dem Stegreife wirbt, wie Eleasar für seinen Vater um Rebekka geworben hatte. In ihm sollte sich die Verheißung eines unermeßlichen Volkes zuerst vollkommen entfalten; er sollte viele Söhne um sich sehen, aber auch durch sie und ihre Mütter manches Herzeleid erleben.

      Sieben Jahre dient er um die Geliebte, ohne Ungeduld und ohne Wanken. Sein Schwiegervater, ihm gleich an List, gesinnt wie er, um jedes Mittel zum Zweck für rechtmäßig zu halten, betriegt ihn, vergilt ihm, was er an seinem Bruder getan: Jakob findet eine Gattin, die er nicht liebt, in seinen Armen. Zwar, um ihn zu besänftigen, gibt Laban nach kurzer Zeit ihm die geliebte dazu, aber unter der Bedingung sieben neuer Dienstjahre; und so entspringt nun Verdruß aus Verdruß. Die nicht geliebte Gattin ist fruchtbar, die geliebte bringt keine Kinder; diese will wie Sara durch eine Magd Mutter werden, jene mißgönnt ihr auch diesen Vorteil. Auch sie führt ihrem Gatten eine Magd zu, und nun ist der gute Erzvater der geplagteste Mann von der Welt: vier Frauen, Kinder von dreien, und keins von der geliebten! Endlich wird auch diese beglückt, und Joseph kommt zur Welt, ein Spätling der leidenschaftlichsten Liebe. Jakobs vierzehn Dienstjahre sind um; aber Laban will in ihm den ersten, treusten Knecht nicht entbehren. Sie schließen neue Bedingungen und teilen sich in die Herden. Laban behält die von weißer Farbe, als die der Mehrzahl; die scheckigen, gleichsam nur den Ausschuß, läßt sich Jakob gefallen. Dieser weiß aber auch hier seinen Vorteil zu wahren, und wie er durch ein schlechtes Gericht die Erstgeburt und durch eine Vermummung den väterlichen Segen gewonnen, so versteht er nun durch Kunst und Sympathie den besten und größten Teil der Herde sich zuzueignen, und wird auch von dieser Seite der wahrhaft würdige Stammvater des Volks Israel und ein Musterbild für seine Nachkommen. Laban und die Seinigen bemerken, wo nicht das Kunststück, doch den Erfolg. Es gibt Verdruß; Jakob flieht mit allen den Seinigen mit aller Habe, und entkommt dem nachsetzenden Laban teils durch Glück, teils durch List. Nun soll ihm Rahel noch einen Sohn schenken; sie stirbt aber in der Geburt: der Schmerzensohn Benjamin überlebt sie, aber noch größern Schmerz soll der Altvater bei dem anscheinenden Verlust seines Sohnes Joseph empfinden.

      Vielleicht möchte jemand fragen, warum ich diese allgemein bekannten, so oft wiederholten und ausgelegten Geschichten hier abermals umständlich vortrage. Diesem dürfte zur Antwort dienen, daß ich auf keine andere Weise darzustellen


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