Jochen Klepper: Der Vater Roman eines Königs. Jochen Klepper
Читать онлайн книгу.junge Mann machte kein Hehl daraus, dass er die Hoheit erkannt hatte. Ohne jede Befangenheit, doch mit viel Bitterkeit sprach er weiter.
„Warum sind der Herr Kronprinz um diese Stunde hier?“
Er beschrieb am Fenster einen weiten Bogen um die armen Hütten und verkommenen Wege. „Hier ist kein Fest. Die Feiern sind drüben hinter dem Lustgarten.“
Der Kronprinz knöpfte an seinen Reithandschuhen. „Hör Er, die Feste werden auch hier bald beginnen. Eine neue und herrliche Stadt wird auch hier bald entstehen. Es gibt ja nun Gold.“
Der junge Mann zeigte sich vollkommen unterrichtet.
„Ja, Herr Kronprinz, Preußens letztes Gold in des Generalmajors Graf Gaëtano Tasche.“
Jetzt prägte Friedrich Wilhelm sich das Gesicht des Mannes genau ein. Seine Züge waren klar und klug. Aber die junge Hoheit sagte: „Er ist sehr kühn. Warum traut Er elender Untertan nicht dem, was seines höchsten Herrn und Königs heißester Glaube ist?“
„Weil Graf Gaëtano sich gestern nach der Tafel von des Königs Majestät fünfzigtausend Taler zusichern ließ für die neue Goldbrauerei.“ Der junge Mensch beschrieb wieder einen Halbkreis um die Elendshütten vor dem Fenster. „Fünfzigtausend Taler, Kronprinzliche Gnaden.“
„Was schließt Er daraus?“ Friedrich Wilhelm ließ sich auf den Holzschemel nieder, den der andere ihm blank gewischt hatte. Er riss seinen Mantel auf.
„Dass es mit den Künsten des Goldmachers nicht stimmen kann, Euer Gnaden. Wie könnte er sonst in Geldverlegenheiten sein.“
Der Kronprinz bezwang seine Unruhe. Er gab sich sehr kühl. „Woher hat Er Botschaft, was an der königlichen Tafel gesprochen wird?“
Die Bitterkeit in der Antwort des Mannes war größer als der Stolz seines Ausdruckes. „Ich habe nur zum Freunde, wer mir und meinesgleichen helfen kann. Die königlichen Küchenjungen können unsereinem schon gute Freundschaftsdienste leisten, wenn sie nur den Herren Tafellakaien öfter ein wenig gefällig sind. Freilich, manchmal wollen sie mehr sagen, als sie wissen. Dann muss man sorgfältig sondern; denn die Küchenjungen tun nun auch noch ihr Teil dazu.“
Er lächelte flüchtig. Friedrich Wilhelm sah ihn von der Seite an, den Knopf der Reitpeitsche an den Mund gelegt. Der junge Mann wartete keinen Einwurf ab. Mit einer hastigen Wendung zu der Hoheit hin rief er hell, fast scharf: „Aber hier ist nichts übertrieben. Aber hier ist alles wahr, Euer Gnaden.“
„Trotz Küchenjungen- und Tafellakaiengeschwätz“, fiel der Kronprinz ein und hatte eine tiefe Falte zwischen den Brauen, „- das ist wahr.“
Er streifte die Handschuhe über. „Wie heißt Er?“
Es klang trotz der rauen, abgerissenen Sprechweise der jungen Hoheit nicht unfreundlich.
„Creutz.“ Der einfache Mann verneigte sich mit großer Höflichkeit.
„Creutz“, wiederholte der Prinz. Schon trat er aus der engen Kammer; und Name, Mensch und Schicksal waren ihm eingeprägt. Im Takte seines Rittes dachte er nichts mehr als die eigenen Worte: „Aber das ist wahr – das ist wahr –“
Woher nahm der Vater noch fünfzigtausend Taler für den Goldmacher? Er zahlte seinen Beamten die Gehälter nicht mehr und war seinen Großen tief verschuldet, die ihn ausgesogen hatten. Bei denen, die sich schamlos an ihm bereichert hatten, musste er borgen.
Aber dem Sohne schlug er es mit hochmütigem, mitleidsvollem Lächeln ab, als er ihn bat, seinen kronprinzlichen Etat von fünfunddreißigtausend Talern herabzusetzen. Das sei ein kleiner Etat. Der Kronprinz von Preußen müsse doch Tafel halten. Der erste Kronprinz von Preußen dürfe doch nicht derart bürgerliche Wäsche, Manschetten und Krawatten tragen. Von seiner Tafel, heiße es, stehe man manchmal hungrig auf.
Ach, über Tafel und Krawatten! Er brauchte sein Geld zu Wichtigerem; und dies war nun sehr seltsam: Genau die fünfzigtausend Taler hatte der Kronprinz gespart, die der Goldmacher vom König verlangte. Er hatte sie gespart, obwohl der eigene Vater ihm, noch als er Knabe war, schon über dreißigtausend Taler schuldete. Er hatte sie gespart, obwohl er gewaltige Mengen seines Knabentaschengeldes immer wieder in seine Miliz gesteckt hatte. Die war so angewachsen, dass er seine Leute in den Scheunen verstecken musste, kam der Vater König einmal nach Wusterhausen hinaus.
Er war bereit, seine Ersparnisse dem König zu leihen – zu solch harter Kur. Er wollte auch nur eine einzige Garantie von ihm: den Sturz der drei Minister, den Sturz vor allem Graf Wartenbergs. Denn der war Oberkämmerer, Erster Staatsminister, Generalpostmeister, Generalökonomiedirektor, Oberhauptmann der Schatullämter, Oberster Stallmeister aller Gestüte, Protektor der Akademien und Erbstatthalter der oranischen Erbschaft; er war es ohne jede Kontrolle und mit unumschränkter Verfügungsgewalt. Die Gräfin – einst die Frau des Kammerdieners Bidekap und im Packwagen aus Emmerich mitgebracht – schickte Geld nach England, denn sie traute Preußens Zukunft nicht recht; der Graf kaufte Güter in der Pfalz. Ihre Tafel kostete mehr als die königliche.
Der König dankte. Der König lehnte ab. Der Kronprinz investierte über zwanzigtausend Taler in „Bau Wusterhausen, Garten und Landmiliz“. So hatte die Preußische Krone ein schuldenfreies Gut. Der König pochte vor den Gläubigern auf seine oranische Erbschaft, gab dem Goldmacher Versprechen und hoffte.
* * *
Friedrich Wilhelm ersuchte den König um seine Entfernung vom Hofe.
Friedrich I. fand seinem Sohn gegenüber nur noch müde Gesten. Dabei war es doch durchaus kein ungebräuchliches Mittel, sich eines etwas schwierigen jungen Herrn für eine Weile dadurch zu entledigen, dass man ihn auf Reisen schickte. Aber selbst an diese Erwägung knüpften sich unangenehme Erinnerungen. Denn war der Kronprinz vielleicht auf die Große Tour gegangen, wie sie für Fürstensöhne üblich war? Hatte er sich etwa durch das Leben an fremden Höfen verfeinern lassen? Über Holland war er überhaupt nicht hinausgekommen. Und in Amsterdam hatte er lediglich die Polizei, die Armenhäuser, die Gefängnisse, Schiffe und Magazine besichtigt, in Leiden nur die Anatomie aufgesucht!
Aber gut, gut; mochte er doch wieder reisen auf seine Art. Im Augenblick war seine Abwesenheit nur zu genehm. Was er nur wünschte an Urlaub, Ermächtigungen, Empfehlungen, sollte ihm zugebilligt sein.
Aber der Kronprinz wollte gar nicht reisen. Er wollte in den Krieg nach Flandern; und in der Verfechtung dieses Planes entwickelte er eine rhetorische Gewandtheit, die man bis dahin noch nicht an ihm wahrgenommen hatte, dass er dem Vater seinen Willen klarzumachen suchte in dessen eigener Sprache und von der Fürstentragödie redete, die um die spanische Erbfolge aufgeführt werde: Das entschied den Erfolg seiner Bitte.
Die überraschenden Redewendungen gefielen dem Herrscher. Sie wären nicht bäurisch, wie so vieles an dem Sohn. Die Majestät raffte ihren Mantel zusammen und erhob sich. „Reisen Sie meinethalben auch nach Flandern – ich gewähre es Ihnen gern. Reisen Sie zu meinen Truppen – nur quälen Sie mich nicht mit Ihrer Engherzigkeit, Verzagtheit, Ihrer Kleingläubigkeit.“ Er wollte den aussichtslosen Kampf gegen seinen Sohn nicht weiterführen.
Die Kronprinzessin fand es angebracht, dass der Kronprinz sich nach der Taufe des Stammhalters nun auch den Truppen zeigen wollte. Solche Besuche bei der Armee waren abwechslungsreich und ungefährlich. Das wusste die junge Fürstin von Vater und Bruder, dem Kurfürsten und Kurprinzen von Hannover.
König Friedrich aber wurde plötzlich wieder besorgt um den einzigen Sohn; nirgends und niemals war er des vollen Einsatzes fähig. Er ließ dem Kronprinzen schriftlich einen Befehl zugehen, nach welchem er ihn zum Besuch der verbündeten Heerführer ins flandrische Hauptquartier entsandte, keineswegs aber in seiner Eigenschaft als Chef des Kronprinzenregimentes. Schreibend blieb der schwache Vater fest; der Begegnung mit dem Sohne wich er aus.
Der gesamte Hof glaubte, sobald der Aufbruch des Kronprinzen zur Armee bekannt geworden war, die junge Hoheit von dem Goldmacher in die Flucht geschlagen. Wer konnte ahnen, dass der neue Regimentsschreiber in der Wusterhausener Truppe des Kronprinzen ein Spürhund gegen Gaëtano war. Wer konnte wissen, wer