Jochen Klepper: Der Vater Roman eines Königs. Jochen Klepper

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Vater. Die Kronprinzessin blieb in den Sorgen, welche Politik sie nun, da kein Sohn geboren war, einzuschlagen habe, allein. Nur Briefe aus Hannover vermochten ihre Befürchtungen zu zerstreuen. Dann lenkten die Feiern sie ab. Mitten im großen Kriege Europas standen drei Könige Pate: Der „in“ Preußen. Der von Polen. Der von Dänemark.

      Man machte viel Redens davon, dass alle drei den Namen Friedrich trugen und dass jeder einen einzigen Sohn besaß. Sie losten um den Vorrang. Der Hofdichter der preußischen Majestät malte – gegen einen Ehrensold von tausend Dukaten – die Allegorie aus und schrieb von den Heiligen Drei Königen und ihrer Myrrhe, ihrem Weihrauch und Gold.

      Der Kronprinz hörte aus den üblen Versen nur den Kehrreim: Gold.

      Weil es ein Mädchen war, trug das Kind bei der Taufe keine Krone, kein Zepter, keinen Reichsapfel, weder Ordensstern noch Purpur. Sie brachten ihm nur Gold zur Gabe: Die drei Könige, die drei mächtigen Minister, der Goldmacher.

      Der Goldmacher und das Dreifache Weh hielten Friedrich Wilhelms zweites Kind mit den Königen über die Taufe, im zehnten Monat nach der Nacht der Fruchtbarkeit und Schwermut.

      Im elften Monat war die Schlacht die blutigste des jahrelangen Krieges.

      Bei Malplaquet war alles Heer zusammengezogen, und jede der Armeen, die hier miteinander ringen sollten, war über hunderttausend Mann stark.

      Am Morgen lag der Nebel der Ebene und des Herbstes um die Zelte. Die Männer, die das Nebelmeer durchschritten, schienen über irdische Maße groß. So kamen, wie die Helden eines höheren Reiches, in dem ersten Lichte des Septembertages die Generale von Tettau und von Derschau vor das Zelt des Kronprinzen und nahmen der Ordonnanz ihren Dienst ab, den Sohn ihres Königs zu wecken. Der von Tettau stand zu Füßen des Feldbettes, im offenen Eingang des Zeltes. Schon schimmerte die Sonne in dem Nebel, und ein fahler Glanz umgab ihn.

      „Ich komme Abschied zu nehmen“, sagte der von Tettau.

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      Julius Ernst von Tettau

      Und Friedrich Wilhelm gab zurück: „General, wir reiten zusammen.“

      Er war ganz wach, in einem Augenblick.

      Der von Tettau schüttelte den Kopf. „Gebe Gott, dass wir nicht zusammen reiten. Mein Ritt geht in den Tod.“

       Da stand die Sonne über dem Gebirge der Zelte, der Nebel wich, der Tag war da.

      „Wer kann den Tod wissen?“ fuhr der Kronprinz auf und dachte daran, wie arm die Ahnungen und Zeichen der Menschen sind. Hatte sein Söhnlein nicht eine Krone getragen?

      „Ich habe keine Zeit mehr zu reden“, sprach der von Tettau sanft, „ich habe nur noch etwas zu ordnen. Ihres Vaters Majestät hat mich im geheimen beauftragt, stündlich auf Ihr Wohl zu achten. Aber nun habe ich nur noch eine Pflicht und kann auf Sie nicht mehr achten.“

      Friedrich Wilhelm hatte sich im Feldbett aufgesetzt. Er lächelte, jedoch in Unruhe. „Ich werde auf Sie achtgeben, General.“

      „Keiner, Hoheit, kann uns bewahren“, griff nun der von Derschau ins Gespräch ein, „und niemand soll es. In uns ist keine Furcht.“

      Der Kronprinz wandte sich um. Er suchte den von Derschau. Der stand zu Häupten seines Lagers. Der Kronprinz redete mit einer Heftigkeit, die fast etwas gequält schien. „Ja, ja, ja – alles kann sein. Die Schlacht wird kommen und wie jede Schlacht Tote bringen. Dies kann man sehr wohl vorher wissen. Aber wer es sein wird, vermag der Mensch nicht zu ahnen.“

      Der von Tettau sagte: „Wenn Gott es will – ja.“

      Und der von Derschau sprach nach: „So fest, dass kein Zweifel ist.“

      Friedrich Wilhelm sprang aus dem Bett. Er goss sich aus seinem Ledereimer das Wasser über das Gesicht, die entblößten Schultern und Arme, griff nach dem Rock und den Stiefeln. Er wollte hinaus, noch einmal zum Prinzen Eugen, zum Herzog von Marlborough, in letzter Stunde alles vor ihnen zu wiederholen, was er seit Tagen immer wieder vorgehalten hatte: dass es nun, nach so vielen versäumten Monaten zu spät war für die Schlacht. Man werde aller Voraussicht nach siegen, ja und abermals ja, aber die Opfer seien zu groß; niemand könne solche Verantwortung auf sich laden.

      Er hat den Herzog von Marlborough, er hat den Prinzen Eugen nicht erreicht. Sie waren für die jungen Herren aus großem Hause nicht zu sprechen. Sie hielten ihn hin. Zwei breite Ströme, wälzte sich nun das Heer gegen Mons und Malplaquet. Zur Rechten sangen sie vom „Edlen Ritter“, zur Linken klang „s'en va-t-en guerre ...“ Vom jungen Prinzen, der allein die rechte und die schlechte Stunde dieser Schlacht erkannt hatte, sang kein Grenadier, kein Kanonier, kein Reiter.

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      Schlacht bei Malplaquet – 1709

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      Schlacht bei Malplaquet – 1709

      Niemand hat an diesem Tage Rat oder Tat von ihm gefordert, obwohl er sich in der Schlacht beständig bei den beiden hohen Feldherren hielt. Aber der Tod wollte Antwort von ihm auf mancherlei Frage.

      Ein Sattelknecht des Prinzen von Savoyen ritt hinter Friedrich Wilhelms Pferd, ganz dicht.

      Nur dass sich des Sattelknechts Pferd, ganz nahe an seiner Seite, bäumte: dann verlor es sich herrenlos im Gewühl, und Rappen und Schimmel sprengten über den Leichnam des Burschen. Die beiden Ordonnanzen des Kronprinzen sprengten heran, ihn von dem gefährdeten Platze wegzuholen. Mit aufgehobenen Händen wehrte Friedrich Wilhelm ab: „Nicht näherkommen – nicht näher!“

       Da sanken sie unter die Hufe, beide im gleichen Augenblick.

      „Wir müssen über tausend Mann verloren haben“, rief der Adjutant des Herzogs von Marlborough dem Kurprinzen von Brandenburg zu, als es wie eine Pause war im Pfeifen der Kugeln.

      So begann das Zählen, die grausige Rechnung des Sieges. Die Stunden des steigenden Tages nahmen die Tausende und aber Tausende hin; sechzigtausend mussten sterben, ehe das letzte große Heer des Sonnenkönigs geschlagen war. Der ungenannte Sieger neben dem Prinzen Eugen und dem Herzog von Marlborough war der Fürst von Anhalt-Dessau mit der Truppe, die er nicht befehligen durfte, weil die Höflinge den hellen Klang seines Namens nicht mehr ertrugen.

      Als der von Derschau und der von Tettau tot am Sohne ihres Herrn vorübergetragen wurden, war der Sieg schon entschieden, nur dass die Völker und die Fürsten und die Söldner um seine Sinnlosigkeit noch nicht wussten. Der Kaiser wollte nicht den Frieden. Er wollte den greisen Sonnenkönig dazu zwingen, gegen den eigenen Enkel zu Felde zu ziehen.

      Der Erbe Brandenburgs ritt aus der Schlacht, ein Grübler.

      Sein anklagender Hass gegen den Bourbonen und den Habsburger wurde sehr groß. Das Amt eines Landesherrn wurde ihm noch größer. Die Fragen, die auf ihn einstürmten, setzten sich in ihm fest für immer, nicht nur für die Nacht von Malplaquet.

      Der Königssohn trat seine Pilgerfahrt an durch die Nacht des Todes, die Söhne des Landes zu suchen, dessen Fürst er einmal werden sollte.

      Aber hier blieb er schon bei einem Dänen stehen; dem bettete er den Kopf auf den Mantel, den er einem Toten ausgezogen hatte. Und dort befreite er einen ächzenden Portugiesen, der sich nicht vom Fleck bewegen konnte, von der Last des über ihn gestürzten Pferdeleichnams. Mehr vermochte er nicht zu helfen. Doch lernte er in dieser Stunde die Milde roher Männer kennen. Überall suchten sie mit flackernden Laternen das Feld ab, in Gebüschen, unter Kanonentrümmern, bei zersplitterten Bäumen. Überall stützten sie Sterbende, tränkten sie Verdurstende, verbanden sie Blutende; und als vermöchte es eine Linderung des Geschickes zu bedeuten, strichen sie den Toten über die Lider. Als er einsah, dass es kein Helfen gab in dieser Nacht des Leidens, hockte er sich auf einen Baumstumpf und sah den Lichtern nach. Was der Morgen ihm enthüllen würde, machte ihn zur Nacht schon frösteln. Er wollte hin zu den Laternen. Er


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