Der Dunkelgraf. Ludwig Bechstein

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Der Dunkelgraf - Ludwig Bechstein


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beim Clushof weder eine Gestalt der Tugend, noch eine des Lasters nahe, sondern nur die Gestalt des Bauers und seines Knechtes, die nach einem Trinkgeld für ihre Bemühung lungernd die groben schmutzigen und arbeitgewohnten Hände aufhielten.

      Wohin wir reiten, Philipp? fuhr Ludwig aus seinen träumerischen und selbstquälerischen Gedanken auf, indem er die Ansprüche des Bauers und des Knechtes zu befriedigen Anstalt traf; denn wahrlich, er hatte an diese Frage selbst noch nicht gedacht, er hatte keine Absicht, keinen Plan, keinen Zweck, nie wurde mehr ein Ritt ins Blaue hinein, was in das Friesische übersetzt: ins Nebelgraue hinein lautet, angetreten, und so sah sich der Graf Ludwig wider Verhoffen und fast willenlos zu einem fahrenden Ritter und Abenteurer durch des Schicksals Willen gestempelt. Er überdachte einige Augenblicke die an ihn gestellte Frage und erwog deren Schwere. »Nach den Niederlanden!« Dies setzte sich in ihm als Hauptgedanke fest, aber welchen Weg dahin einschlagen? Den endlos langen einförmigen über Oldenburg, Quaakenbrück und Lingen, oder den an der frischen Nordsee, durch Friesland, wo täglich, ja stündlich sich Gelegenheit bot, zu Schiffe zu gehen und die Welt zu durchfahren? Nordwärts lichtete sich der Himmel und die Ferne, und die Bockhorner Mühle ließ ihre gewaltigen Flügel, ein Spiel des Windes, rasch umdrehen; südwärts schleierte die stehende Nebelwand alles ein, und so kam es, daß Ludwig, zumal ihm zu rechter Zeit die abschreckende Schilderung einfiel, welche ihm vor wenigen Stunden noch der Haushofmeister seiner Großmutter, Herr Windt, von seinem Wege gemacht, raschen Entschlusses auf seine Isabelle sich schwang und dem Diener, der ein Gleiches auf seinen Braunen gethan, gegen Bockhorn zu auf der sandigen Haidestraße voransprengte, bis es nöthig wurde, die Thiere wieder im gemachsamen Schritt gehen zu lassen. Der Weg war besser, und führte in schnurgerader Linie nach und durch Bockhorn, von da am Blauhand Grod und an cultivirtem und nicht cultivirtem Geestland vorüber, bis fast nahe zu den Deichdämmen des Jahdebusens, in die Herrlichkeit (soviel als Herrschaft) Gödens hinein und hindurch und endlich in die Herrlichkeit Kniphausen.

      Schon erhob sich vor den Blicken des Reiters das stattliche alterthümliche und feste Herrenschloß. Ludwig dachte nicht daran, auf dasselbe, das Besitzthum des Mannes zuzureiten, der sein einziger, aber auch zugleich sein bitterster Feind war, sondern wollte dasselbe rechts liegen lassen, mit seinem Diener noch bis Jever reiten, und dort Nachtrast halten. Ludwig kannte jenes Schloß; die Großmutter hatte mit ihm auch dort bisweilen gewohnt, da der Vetter meist sich in den Niederlanden aufhielt, es war groß und reich ausgestattet. Die Gedanken des jungen Grafen konnten sich, so lange er in dem Bereiche der Besitzungen der Familie sich befand, in der er sich selbst von den ersten Jugenderinnerungen an gefunden und heimisch gefühlt, von dieser nicht losreißen. Er dachte beim Anblick des Schlosses auch an den jüngern Vetter, den Grafen Johann Carl, der sein Vaterland verlassen hatte, um in England Kriegsdienste zu nehmen. Dieser hatte sich mit dem älteren Bruder nie recht vertragen. Ebenso war der Oheim, der zweite Sohn der Großmutter, in englischen Seedienst gegangen, hatte sich dort vermählt und eine jüngere Linie begründet. Diesen hatte Ludwig nicht gekannt; er war vor des Letzteren Geburt bereits im Jahre 1775 verstorben. –

      Als am Morgen dieses Tages der Erbherr mißmuthig und schweigsam aus dem Schlosse Varel fuhr, war es seine Absicht, nur bis zum Strande zu fahren, und sich auf seiner Jacht einzuschiffen, seine Dienerschaft aber, bis auf die nöthigste, wieder zurückzusenden. Mit aufgeregtem und grollendem Gemüth, und weit mehr von Haß und Aerger gegen die Großmutter, als gegen den ihm im Wege stehenden Verwandten erfüllt, sehnte er sich wieder auf das Meer, dessen stürmisch bewegte Wellen zu dem unruhevollen Wogen seines Gemüthes paßten. Er wollte dann in rascher Fahrt aus dem Jahdebusen steuern und längs der Inselkette der Nordseeküste, von Wangerooge bis Norderney und Ameland segeln, dann durch die Watten in die Zuyder-See einlaufen und Amsterdam gewinnen, wo jetzt der Schauplatz seiner politischen Thätigkeit war. Vor der Einschiffung aber wollte der Graf einen Weg, den seine Vorfahren um die Mitte des Jahrhunderts angelegt hatten, der in Abfall gekommen und durch ihn erneut worden war, besichtigen und mit eigenen Augen schauen, da er sich einmal im Lande befand, in welcher Weise seine Aufträge vollzogen worden seien. Dieser neue Weg führte über das Gehöft Buppel zu einem zweiten, welches vorzugsweise den Namen: »beim neuen Wege« führte, übersprang dort das kleine Flüßchen Wapel und führte über Heupult nach Jahde, dessen 1523 erbaute Kirche stattlich in Mitten der Häuser des bedeutenden Dorfes stand, welche sich wie ein großer Zug wilder Gänse, oder in Form des Gestirns der Hyaden unabsehbar erstreckten. Mitten hindurch rann das Flüßchen Jahde und ringsum wurde außer den Häusern und wenigen vereinzelten Bäumen nichts erblickt, als Dämme und Deiche, die Zeugen des ewigen Kampfes der die Ufer bewohnenden Menschen mit dem gewaltigen Element des Wassers, das fort und fort wühlend, steigend und fallend, fluthend und ebbend, mit jedem Wellenschlage der Fluth wiederholend und drohend anpocht, und verheißt, seine Drohungen wahr zu machen, die es schon oft und zum starren Entsetzen ganzer, großer, weiter und blühender Landstrecken wahr gemacht hat.

      Graf Wilhelm Gustav Friedrich fand den neuen Weg vortrefflich und besser als die Wege außerhalb seiner Herrlichkeit, und fuhr nun in etwas erheiterterer Stimmung über die Vareler Groden nach dem großen und hohen Deichdamm, der in unermeßlicher Zickzackausdehnung den Jahdebusen und seine Geesten umfängt. Als das Deichthor geöffnet war, rollte der Reisewagen rasch über die harte Kiesfläche des unfruchtbaren grobkörnigen Meersandes, dem Jahder und Wapler Siel vorüber und dem Vareler Siel zu, wo die »schöne Susanna«, so hieß die Jacht des Grafen, vor Anker lag. Des Grafen scharfer Blick fand sie bald unter den andern in der Bucht geankerten Fahrzeugen heraus, aber dieser Blick verfinsterte sich, als er mit kundigem Auge entdeckte, daß das Schiff nicht segelfertig sei, und er entsann sich jetzt mit Verdruß, daß er vergessen hatte, dazu Befehl zu geben, vielmehr wußten der Steuermann und die wenigen Matrosen, die der Dienst des kleinen Schiffes erforderte, nicht anders, als der Gebieter werde mehrere Tage am Lande bleiben, daher auch sie sich an demselben nach ihrer Art von der widrigen Seereise zu erholen trachteten. Noch mehr aber stieg der Unwille des Grafen, als er am Hafenplatze den Zimmermann seines Schiffes mit einigen am Lande geholten Arbeitern antraf, der eben nach der Jacht sich zu begeben im Begriff war, und meldete, das Schiff habe eine Beschädigung erlitten, zu deren völliger Ausbesserung mehr als die Zeit eines Tages erforderlich sei, eher könne die schöne Susanne ohne große Gefahr nicht wieder in die See gehen. Da half weder Zürnen noch Schelten, an welchem der Erbherr, ohnedies in der übelsten Stimmung, es nicht fehlen ließ; er mußte sich in das Unvermeidliche fügen, und da er mit seiner Dienerschaft und den Pferden nicht am Strande verweilen konnte, so blieb ihm nur die Wahl, entweder nach Varel zurückzukehren, oder nach einem andern in der Nähe gelegenen bedeutenderen und für ihn angemesseneren Orte zu fahren.

      Zur Rückkehr konnte sich der Graf unmöglich entschließen, denn sein schneller Weggang sollte für die Großmutter eine Strafe sein – er faßte daher rasch seinen Entschluß, befahl, daß die Jacht sogleich nach ihrer Wiederherstellung in fahrbaren Stand durch den Busen hinab, an der Ecke von Heppens vorbei, in die Jahde-Strömung einfahren und am Rustringer Siel anlegen sollte. Als dieser Befehl gegeben war, fuhr der Graf längs des sich endlos vor ihm ausdehnenden, vielfach gewinkelten Deichs (Dammes) bis hinunter zur Dan-Geest, ließ das Salze-Brak rechts, fuhr am Ellenser Grod hin, und verließ erst drunten beim Marien-Siel den Deichwall, um aus dem Gebiete des umfangreichen Jahdebusens weiter nordwärts zu eilen. Es verging eine gute Anzahl Stunden, durch mancherlei Aufenthalt und der Wege Unfahrbarkeit, bevor der Graf das Oertchen Accum erreichte. –

      Graf Ludwig nebst seinem Diener Philipp ließen ihre Rosse gemachsamen Schritt gehen, als sie von weitem eine Kutsche, die mit vier Apfelschimmeln bespannt war, auf sich zukommen sahen, und plötzlich rief Philipp aus: Sind die toll, oder was ist das? – und Ludwig gewahrte jetzt auch, daß die Pferde in den rasendsten Sätzen galoppirten, daß der Wagen gar nicht mehr auf der Fahrstraße war, daß er schwankend und wankend wie eine Feder emporhüpfte, wenn es über einen durch das Marschland gezogenen schmalen Wassergraben ging, jeden Augenblick umzustürzen drohte, daß der Kutscher wie ein Wüthender an den Strängen zog und zerrte, und bereits den Hut verloren hatte, und daß für Menschen und Thiere die augenscheinlichste Todesgefahr vorhanden war. Das ist ein Unglück! die Pferde gehen durch! – Dies rufend und sein Pferd in Galopp setzend, dem Wagen entgegen, war von Seiten Graf Ludwig’s das Werk eines Augenblicks, Philipp folgte nicht minder rasch dem Beispiele seines Gebieters. Wenn jener Wagen nur noch eine Minute lang in dieser Weise fuhr, so stürzte Schiff und


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