Unterwegs und Daheim. Mark Twain

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Unterwegs und Daheim - Mark Twain


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Sie sind gerade noch so hartherzig wie vor dreizehn Jahren auf dem Schiff, sonst würden Sie mich nicht so bestraft haben. Sie sind noch ganz wie Sie waren, von innen und von außen. Sie sehen ebenso jung aus wie damals, Ihre Schönheit ist unverändert und findet ihr Abbild in Ihrem prächtigen Knaben! – Und nun – wenn diese Worte Sie gerührt haben, lassen Sie uns Frieden schließen, denn ich bekenne mich für besiegt und überwunden.« Dies wurde zum Beschluß erhoben und auf der Stelle ausgeführt.

      Als ich zu Harris zurückkam, sagte ich: »Nun siehst du, was Talent und Geschicklichkeit ausrichten können!«

      »Bitte sehr, ich sehe, was riesige Unwissenheit und Einfalt zu thun imstande sind! Daß ein Mensch, der seine fünf Sinne bei sich hat, sich auf diese Weise fremden Leuten aufdrängt und eine halbe Stunde in sie hineinredet, so etwas ist noch nicht dagewesen! Was hast du ihnen nur gesagt?«

      »Gar nichts Schlimmes! Ich habe das Mädchen gefragt, wie es hieße!«

      »Meiner Treu, das sieht dir ähnlich! Du bist imstande, so etwas zu thun! Es war dumm von mir, – ich hätte nicht zugeben sollen, daß du hingehst, um dich zum Narren zu machen. Wer wie konnte ich mir vorstellen, daß du dich so weit vergessen würdest! Was werden die Leute von uns denken? Aber, wie hast du es gesagt? auf welche Weise? Ich hoffe, nicht ganz ohne Einleitung!«

      »O nein, ich sagte: Mein Freund und ich, wir möchten gern wissen, wie Sie heißen, – wenn Sie nichts dagegen haben!«

      »Nein, das war wirklich nicht mit der Thür ins Haus gefallen! – Du warst in der That von einer Höflichkeit, die dir Ehre macht, und ich danke dir noch besonders, daß du mich auch hineingemischt hast! Was that sie aber?«

      »Gar nichts Ungewöhnliches! Sie nannte mir einfach ihren Namen.«

      »Ist es möglich! – und zeigte auch gar keine Überraschung?«

      »Doch – etwas hat sie gezeigt – vielleicht war es Überraschung – mir kam es aber vor, als sei es Freude.« »Sehr wahrscheinlich ... es muß natürlich Freude gewesen sein – wie hätte sie sich auch nicht freuen sollen, von einem Fremden mit einer solchen Frage angefallen zu werden. – Was thatest du weiter?«

      »Ich reichte ihr die Hand und sie schüttelte sie.«

      »Das habe ich gesehen – ich traute meinen Augen kaum! Hat der Herr denn nicht gesagt, er würde dir den Hals umdrehen?«

      »Nein, mir schien es, als ob sie sich alle freuten, meine Bekanntschaft zu machen.«

      »Das wird auch wohl der Fall gewesen sein; sie werden bei sich gedacht haben: dieser Ausstellungsgegenstand muß seinem Wärter entlaufen sein, wir wollen uns einen Spaß mit ihm machen! Das ist die einzige Erklärung für ihre Sanftmütigkeit. – Du nahmst Platz – haben sie dich dazu aufgefordert?«

      »Nein, ich dachte, sie hätten es vergessen.«

      »Welchen sicheren Instinkt du hast! Was hast du noch gethan? Wovon hast du denn gesprochen?«

      »Ich fragte das Mädchen, wie alt es wäre.«

      »Nein, wirklich, dein Zartgefühl ist über alles Lob erhaben! Weiter – weiter – kümmere dich nicht um meine traurige Miene, – so sehe ich immer aus, wenn ich eine tiefe innere Freude empfinde. Sprich weiter! Sie gab dir ihr Alter an?«

      »Ja, und dann erzählte sie mir von ihrer Mutter, ihrer Großmutter, den übrigen Verwandten und von ihren eigenen Angelegenheiten.«

      »Alles von selbst?«

      »Nein, das nicht gerade. Ich stellte die Fragen und sie gab mir die Antworten.«

      »Das ist ja himmlisch! Hast du nicht auch nach ihren politischen Ansichten gefragt?«

       »Freilich – sie ist Demokratin und ihr Mann Republikaner.«

      »Ihr Mann? Das Kind ist doch nicht verheiratet?«

      »Sie ist kein Kind; sie ist verheiratet, und der Herr, der neben ihr sitzt, ist ihr Mann!«

      »Hat sie auch Kinder?«

      »Ja, sieben und ein halbes.«

      »Das ist unmöglich!«

      »Nein, es ist die reine Wahrheit. Sie hat es mir selbst gesagt.«

      »Aber – sieben und ein halbes? – Was soll das halbe bedeuten?«

      »Das ist aus einer anderen Ehe – solch ein Stiefkind wird nur halb gerechnet.«

      »Aus einer anderen Ehe? So hat sie schon einmal einen Mann gehabt?«

      »Ja, vier; dies ist der vierte.«

      »Ich glaube kein Wort davon, die Unmöglichkeit liegt ja auf der Hand. Ist der Knabe ihr Bruder?«

      »Nein, ihr Sohn und zwar der jüngste. Er ist nicht so alt wie er aussieht, erst elf und ein halbes Jahr.«

      »Das ist alles vollständig unmöglich! Die Sache scheint mir ganz klar: sie haben gesehen, wen sie vor sich hatten, und dich zum Narren gehalten. Ich bin froh, daß ich nichts damit zu schaffen habe; hoffentlich denken sie nicht, wir zwei seien. Leute vom gleichen Schlage. Wollen sie denn lange hier bleiben?«

      »Nein, sie reisen noch vor Mittag ab.«

      »Ich kenne jemand, der herzlich froh darüber ist. Wo hast du es erfahren? Du hast sie wahrscheinlich gefragt?«

      »Nein, zuerst fragte ich im allgemeinen nach ihren Plänen, und sie sagten, sie würden eine Woche hier bleiben und Ausflüge in die Umgegend machen. Gegen das Ende der Unterhaltung äußerte ich dann, wir würden sie gern auf ihren Touren begleiten und schlug vor, dich zu holen und ihnen vorzustellen. Dann zögerten sie ein wenig und fragten, ob du aus derselben Anstalt seiest wie ich. Ich sagte ja, worauf sie bemerkten, sie hätten sich anders besonnen und wollten sofort nach Sibirien abreisen, um einen kranken Verwandten zu besuchen.«

      »Das setzt deiner Dummheit die Krone auf! So weit hat es noch niemand gebracht. Wenn du vor mir stirbst, setze ich dir ein Denkmal von Eselsköpfen, so hoch wie der Straßburger Kirchturm! Sie wollten wirklich wissen, ob ich aus derselben Anstalt wäre wie du? – Was für eine Anstalt meinten sie denn?«

      »Ich weiß nicht, es fiel mir nicht ein, danach zu fragen.«

      »Aber ich weiß es! – Sie meinten ein Irrenhaus, eine Anstalt für Blödsinnige. Und jetzt halten sie uns doch für zwei gleiche Narren. – Siehst du nun, was du angerichtet hast? Schämst du dich gar nicht?« –

      »Weshalb auch? – Meine Seele dachte an nichts Böses; was schadet es denn? Es waren sehr nette Leute und ich schien ihnen zu gefallen.«

      Harris machte einige grobe Bemerkungen und begab sich in sein Schlafzimmer – um Tische und Stühle kurz und klein zu schlagen, wie er sagte. Er ist ein merkwürdig cholerischer Mensch und die geringste Kleinigkeit bringt ihn ganz außer sich. –

      Die junge Dame hatte mich schön in die Klemme gebracht, aber an Harris habe ich mich wieder schadlos gehalten. Man muß sein Mütchen immer auf eine oder die andere Weise kühlen, sonst schmerzt die wunde Stelle noch lange.

Ein Landsmann

      (Nummer 1.)

      Von Luzern aus machte ich eines Tages einen Ausflug auf dem Dampfer nach Flüelen. Es war ein prächtiger sonniger Tag, und unter dem Dach von Segeltuch saßen die Passagiere plaudernd und lachend auf den Bänken des oberen Verdecks und ließen ihr Entzücken über die wunderbare Scenerie von Zeit zu Zeit laut werden. Man kann sich auch wirklich kein herrlicheres Vergnügen denken, als eine Fahrt auf diesem See! Die Berge waren ein immer neues Wunder und stiegen manchmal so gerade aus dem See auf und ragten so gewaltig in die blaue Luft empor, daß unser winziges Dampfboot zu ihren Füßen ganz zu verschwinden schien.

      Es sind dies keine Schneeberge, aber doch umhüllen die Wolken ihre Häupter, sie starren


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