Unterwegs und Daheim. Mark Twain

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Unterwegs und Daheim - Mark Twain


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Sie gewohnt?« –

      »Bei Schreiber.«

      »Ja, da war ich auch. Lauter Amerikaner, nicht wahr? Sie kommen alle hin, und sind immer da zu finden. Das sagt jeder! In welchem Schiff sind Sie herübergekommen?«

      »In der Ville de Paris.«

      »Wahrscheinlich ein französisches Schiff! Was für eine Überfahrt haben Sie – – ach, bitte, entschuldigen Sie, da kommen eben Amerikaner, die ich noch nicht gesehen habe!«

      Fort war er! – und ich ließ ihn wirklich mit heiler Haut davon kommen! – Ich gestehe, daß ich zuerst die mörderische Absicht hatte, ihn von hinten mit einem Alpenstock zu durchbohren, aber als ich eben die Waffe erheben wollte, verging mir die Lust dazu. Ich konnte es nicht übers Herz bringen, ihm das Leben zu nehmen – er war ein so fröhlicher, unschuldiger und gutmütiger Einfaltspinsel!

      Eine halbe Stunde später betrachtete ich von meiner Bank aus mit dem größten Interesse einen herrlichen Monolith, an dem wir vorbeifuhren. Nicht Menschen hatten dieses Monument geformt, sondern die Hand der Natur selbst hatte vor undenklichen Jahren diesen achtzig Fuß hohen pyramidalen Felsen gebildet, im Hinblick auf den Tag, an welchem er einem Menschen zum Denkmal dienen sollte, der seiner würdig wäre! Endlich kam die Zeit – und auf der Fläche des ehrwürdigen Gedächtnissteines steht jetzt Schillers Name in Riesenbuchstaben.

      Merkwürdigerweise ist dieser Felsen nirgends bekritzelt oder verunziert worden! Vor zwei Jahren soll sich ein Fremder mit Stricken und einem Flaschenzuge von oben herabgelassen haben, um quer über den Stein mit blauer Farbe und mit Buchstaben, die größer waren als die von Schillers Namen, die Worte zu malen:

       – Pears Seife für den Teint! –

       Sozodont giebt Schönheit und Jugend!

       – Paillards Spieldosen! –

       Wades Kopiertinte!

      Man ergriff ihn auf frischer That und es stellte sich heraus, daß er ein Amerikaner war. Bei seinem Verhör sagte der Richter: »Sie sind aus einem Lande, wo man um elenden Gewinnes willen die Natur ungestraft und nach Belieben beleidigen und entweihen darf, und in ihr den Schöpfer! Aber hier wird das nicht gestattet! – Mit Rücksicht auf Ihre Unwissenheit und weil Sie ein Fremder sind, will ich Ihnen ein gnädiges Urteil sprechen; wären Sie ein Eingeborener, so würde Ihre Strafe weit strenger ausfallen. Vernehmen Sie meinen Spruch: Sie werden sofort jede Spur Ihrer abscheulichen That von dem Schillerdenkmal entfernen und eine Geldstrafe von zehntausend Franken bezahlen. Ferner sind Sie zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilt, worauf Ihnen die Ohren abgeschnitten und Sie bis zur Grenze des Kantons gepeitscht und für immer verbannt werden! – Die härteren Strafen werden Ihnen in diesem Falle erlassen, – nicht um Ihnen Gnade zu erweisen, sondern um der großen Republik willen, die das Unglück gehabt hat, Ihnen das Leben zu geben.«‹

      Die Bänke auf dem Dampfboot stehen so, daß die Passagiere einander den Rücken zukehren. Hinter mir saßen gerade einige Damen. Auf einmal wurden sie von jemand angeredet und ich hörte folgendes Gespräch mit an:

      »Sie sind wohl aus Amerika? Ich auch.«

      »Ja, wir sind aus Amerika.«

      »Das wußte ich – ich erkenne die Amerikaner immer. In welchem Schiff sind Sie herübergekommen?«

      »In der City of Chester.«

      »Von der Inman-Linie, nicht wahr? Wir in der Batavia, – Cunard, wie Sie wissen. Was für eine Überfahrt haben Sie gehabt?«

      »Eine ziemlich ruhige.«

      »Da können Sie von Glück sagen; unsere war schrecklich rauh. Der Kapitän sagte, so rauh wäre es nur selten. Wo sind Sie her?«

      »Von New-Jersey.«

      »Ich auch – nicht doch, ich meine aus New-England, in Neu-Bloomfield bin ich zu Hause. Gehören diese Kinder Ihnen beiden?«

      »Nur mir, meine Freundin ist unverheiratet.«

      »So! Ich auch. – Reisen die beiden Damen allein?«

      »Nein, mein Mann reist mit uns.«

      »Unsere ganze Familie ist mit; allein zu reisen ist schrecklich langweilig – meinen Sie nicht auch?«

      »Das ist wohl möglich.«

      »Oho, da kommt der Pilatus wieder heraus. Er heißt nach Pontius Pilatus, wie Sie wissen, welcher Wilhelm Tell den Apfel vom Kopf geschossen hat; im Reisehandbuch steht die ganze Geschichte, aber ich habe sie nicht gelesen – ein Amerikaner hat es mir erzählt. Ich lese nie, wenn ich so von einem Ort zum andern gehe und mich gut unterhalte. Haben Sie schon die Kapelle gesehen, in der Wilhelm Tell gepredigt hat?«

      »Gepredigt hat er da Wohl nicht!«

      »O doch, der Amerikaner hat es mir gesagt; er hat seinen Bädeker immer offen und kennt den See besser als die Fische, die darin schwimmen. Warum sollte sie denn auch sonst Tells Kapelle heißen?! Sind Sie schon früher hier gewesen?«

      »Ja.«

      »Ich nicht; es ist meine erste Reise, aber wir waren allenthalben – in Paris und überall. Nächstes Jahr soll ich in Harvard studieren und ich lerne jetzt immerfort Deutsch; ehe ich nicht Deutsch kann, werde ich nicht aufgenommen. Ich habe Ottos Grammatik immer bei mir und sehe hinein, wenn ich Lust dazu bekomme; jetzt beim Herumreisen lerne ich nicht ordentlich, sondern sage mir nur manchmal her: »ich habe gehabt, du hast gehabt, er hat gehabt, wir haben gehabt, ihr habet gehabt, sie haben gehabt!« Das geht so wie im Schlaf, und dann bin ich's wieder für ein paar Tage los. Es strengt den Verstand ganz schauderhaft an, Deutsch kann man nur in kleinen Dosen lernen; zuerst läuft alles in einander, wie geschmolzene Butter. Mit dem Französischen ist's etwas ganz anderes, das wird mir ganz leicht, ich kann: j'ai, tu as, il a u.s.w. herunterrasseln wie das Abc! In Paris bin ich sehr gut damit durchgekommen und überall, wo französisch gesprochen wird. In welchem Hotel wohnen Sie?«

      »Im Schweizerhof.«

      »Was? wirklich? Ich habe Sie ja nicht im Salon gesehen! Ich gehe sehr oft dahin, weil ich dort so viele Amerikaner treffe, und eine Menge Bekanntschaften mache. Sind Sie schon auf dem Rigi gewesen?«

      »Nein.« »Wollen Sie hin?«

      »Ja, es ist unsere Absicht.«

      »In welches Hotel gehen Sie?«

      »Ich weiß nicht.«

      »Dann gehen Sie zu Schreiber, es ist voll Amerikaner. In welchem Schiff sind Sie herübergekommen?«

      »In der City of Chester.«

      »Ach ja, das habe ich Sie schon einmal gefragt, aber ich frage jeden, in welchem Schiff er herübergekommen ist, und da passiert es mir manchmal, daß ich die Frage wiederhole. Gehen Sie nach Genf?«

      »Ja.«

      »In welchem Hotel werden Sie wohnen?«

      »Wahrscheinlich in einer Pension.«

      »Das wird Ihnen nicht gefallen – in den Pensionen sind wenig Amerikaner. In welchem Hotel wohnen Sie hier?«

      »Im Schweizerhof.«

      »Ja so, das habe ich Sie auch schon gefragt; aber ich frage jeden danach und da habe ich den ganzen Kopf voll Hotels; es dient aber doch zum Gespräch, und ich unterhalte mich sehr gern, es ist eine rechte Erholung auf solcher Fahrt – finden Sie das nicht auch?«

      »Ja – zuweilen.«

      »Mich erfrischt es förmlich. So lange ich im Gespräch bin, langweile ich mich nie, – geht es Ihnen nicht auch so?«

      »Ja, – gewöhnlich, aber es giebt Ausnahmen von der Regel.«

       »O natürlich! – ich spreche auch nicht gern mit jedermann. Manche Leute fangen gleich ein Gewäsch


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