Der Kampf ums Recht oder Das unsichtbare Böse, 2. Band. Walter Brendel

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Der Kampf ums Recht oder Das unsichtbare Böse, 2. Band - Walter Brendel


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ihm geleitete MfS war die wohl meistgefürchtete und -respektierte Institution in der DDR. Eine DDR ohne Mielke ist heute nicht mehr vorstellbar, zu lange hat er hinter den Kulissen die Fäden in der Hand gehalten und die Umsetzung der Parteibeschlüsse nach eigenem Gutdünken durchgesetzt, zum großen Teil mit Gewalt. „Wer ist wer?“ war Mielkes Credo, auf dem er seinen Schnüffelapparat im In- und Ausland aufbaute. Er war der Herr über Operative Vorgänge, Inoffizielle Mitarbeiter; er entschied, ob ein politisches Urteil auf Tod lautete oder nicht. Wenn es in der am Ende in aller Stille gescheiterten DDR-Führung einen Repräsentanten des Roten Wedding gegeben hat, dann war das Erich Fritz Emil Mielke.

      Erich Mielke wuchs mit der kommunistischen Jugendorganisation auf, früh und mit Begeisterung engagierte er sich in der Handballgruppe des Arbeitersportvereins „Fichte“. Bis er dann auch dem paramilitärisch organisierten, zeitweise verbotenen Rot-Frontkämpferbund beitrat. Dort grüßten sich die Genossen in den späten zwanziger Jahren im sicheren Lebensgefühl der unmittelbar bevorstehenden proletarischen Erhebung mit der Formel: „Bis bald, in Sowjetdeutschland!“ Wie viele seiner Altersgenossen war auch Erich Mielke früh in eine politische Kameradschaft geraten, die in den Stürmen und Bedrohungen der Zeit ein Minimum an Geborgenheit versprach. Nebenbei gab sie den Jugendlichen, wofür Jugendliche in einem bestimmten Alter ohnehin empfänglich sind: Eine feste politische Überzeugung, einen Standpunkt, eine Hoffnung auf den Weg in eine bessere Zukunft. Damals nannte man das Weltanschauung.

      Es sind die proletarischen Lieder der Zeit, die neben Filmen wie „Kuhle Wampe“ bis heute eine einprägsame Vorstellung davon geben, wie diese Welt zwischen der kleinen Freiheit des Schrebergartens, der Spartakiade und der Hoffnung auf ein besseres Leben ausgesehen hat. Es war die Solidarität, die dem Proletarier aus der Vereinzelung befreite, ihm zu kollektiver Kraft, zu Selbstsicherheit und politischer Wirksamkeit verhalf. Die Solidarität, das Kollektiv waren Selbsthilfe, Stütze und Kampfform zugleich. Sie stählten den Einzelnen als Kämpfer, aber auch als Bedrohten, der den Gefahren der Verelendung, der Verzweiflung ausgesetzt war.

      Dazu kam die gemeinschaftliche Lust der jungen Leute am Katz- und Mausspiel mit der Polizei, das bestenfalls halbbewusste Zündeln an einer in ihren gesellschaftlichen Grundlagen äußerst instabilen Demokratie: „Links, links, links, der Rote Wedding mar-schiert, hier wird nicht gemeckert, hier wird nicht gelacht, denn was wir spielen, ist Klassenkampf unterm Hintern der Bourgeoisie...“ Das war die Fun-Welt des jungen Mielke, halb weltverbesserisch, halb jugendlich-abenteuerlustig. Blutiger Ernst wurde es für ihn persönlich erst, als er von der KPD-Führung am 9. August 1931, im Alter von 23 Jahren, zum Doppelmörder gemacht wurde.

      Mielke und sein Mittäter Erich Ziemer gehörten damals dem PSS, dem Parteiselbstschutz, einer radikalen, militärisch durchorganisierten Abspaltung des Rot-Frontkämpferbundes. Die Mitglieder, die selbstverständlich Decknamen trugen und im Geheimen agierten, übten „die Kunst des Aufstandes“ und verstiegen sich in die Vorstellung, sie selbst seien die deutsche Sturmtruppe der kommunistischen Weltrevolution. Die intellektuellen Anführer hielten die sehr jungen Kämpfer ihrer Privatarmee ständig in einer Art Fünf-vor-zwölf-Stimmung. Mitte 1931 stand für sie fest: „Der bevorstehende Kampfwinter muss Sowjetdeutschland bringen.“ Der Hauptfeind war tragischerweise die als „sozialfaschistisch“ eingestufte SPD. Gegen sie ging die KPD im Sommer 1931 ein „taktisches Bündnis“ mit Hugenberg und Hitler ein. Die Folgen sind bekannt.

      Die Polizistenmorde auf dem Berliner Bülowplatz, der später in Horst-Wessel-Platz und dann in Rosa-Luxemburg-Platz umbenannt wurde, stellten für Mielke die Lebensweichen. Die politisch Verantwortlichen - Ernst Thälmann, Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck - hatten zwei junge Männer instrumentalisiert. Anschließend ließen sie die beiden - gegen den erklärten Willen Mielkes - in die Sowjetunion abtauchen. Obwohl viel zu jung und parteiorganisatorisch unerfahren, wurde Mielke dort an der Lenin-Schule zum Berufsrevolutionär ausgebildet. Diese durchaus nicht selbstbestimmte Wendung in seiner Biografie machte ihn zum Aktivisten im euro-päischen Bürgerkrieg: In der stalinistischen Sowjetunion, im Spanischen Bürgerkrieg, in Frankreich und später in der SBZ/DDR.

      Diese plötzliche, unfreiwillige Wendung ließ Mielke bis zum Lebensende gleichsam unerwachsen bleiben, unfähig zur Umkehr, zum Umdenken oder auch nur zum Selbstzweifel. Alle, die ihn in dieser geistigen Fixierung auf die frühen dreißiger Jahre zu stören schienen, wurden automatisch zu Feinden in der DDR: Es waren die „Abweichler“, die „Verräter“, die „Sozialdemokraten“ und „Renegaten“. Um es in seinen Worten von 1962 zu sagen: „Wir sind verpflichtet, dass wir einheitlich und geschlossen hinter unserer Parteiführung stehen. Die Beschlüsse unserer Partei sind goldrichtig. Wir haben eine saubere Politik in der DDR.“

      Eine Woche nach den Bülowplatz-Morden schrieb Carl von Ossietzky in der „Weltbühne“ eine Vorschau auf den späteren Aufstieg und Fall der DDR: Die KPD werfe massenhaft diejenigen hinaus, „die unter Kollektivismus nicht den Verzicht auf eigenes Denken verstehen“, und bilde „in ihrer Geistesenge das Musterbild eines Staates, in dem die Autarkie ausgebrochen ist. So kann einmal Deutschland aussehen, wenn die Apostel der eigenen Kraft sich durchsetzen sollten.“

      Diesen von der KPD in ihrer borniertesten Phase geschmiedeten Menschentypus verkörperte Erich Mielke. Den meisten wird er als gewissensschwacher Verfolger, Herr der Spitzel, Mörder und Staatskrimineller in Erinnerung bleiben. Aber er war auch das Opfer einer Verblendung, die ihn zum Repräsentanten der Tragödien des 20. Jahrhunderts macht. Wie er in seinen letzten Jahren darüber dachte, wissen wir nicht. Einmal, 1993, äußerte er sich so: „Da sind Millionen gefallen - für Nichts. Für Nichts. Alles, wofür wir gekämpft haben - in Nichts hat es sich aufgelöst.“

      Worin unterscheidet sich der juristische Umgang mit der DDR-Vergangenheit in Deutschland seit 1990 von der Praxis anderer Transformationsländer - vorzugsweise in Osteuropa?

      Beim Blick auf die osteuropäischen Transformationsstaaten zeigt sich, wie sehr der jeweils eingeschlagene Weg der „Vergangenheitspolitik“ mit den Grundzügen der vorherigen politischen Ordnung, der Art des Übergangs und Besonderheiten der nachfolgenden Demokratie korrespondiert. Dementsprechend war deutsche „Vergangenheitspolitik“ mit ihrer Präferenz einer umfassenden Verfolgung von DDR-Unrecht maßgeblich durch den Charakter der Wiedervereinigung geprägt. Die amerikanische Publizistin Tina Rosenberg beschreibt sie als Vorgang, bei dem Ostdeutschland von einer vergleichsweise gesunden und stabilen Demokratie geschluckt wurde. Spätestens 1991 sei gesamtdeutsche politische Stabilität eingekehrt. Tatsächlich bestand nach dem 3. Oktober 1990 im vereinigten Deutschland keinerlei Gefahr einer Restaurierung alter Verhältnisse mehr. Rücksicht auf politische Unsicherheiten oder Zwänge war nicht geboten. Ganz entscheidend hatte dazu ein rasanter Elitenaustausch in allen Sphären der Gesellschaft beigetragen. An personellen Ressourcen mangelte es nicht. Zumeist waren es Westdeutsche, mit denen die Ostdeutschen ausgetauscht wurden. Auch einstmals Verfolgte und Unterdrückte des DDR-Systems waren jetzt - jedenfalls in gewisser Weise - selbst Teil der Macht in der Demokratie und konnten ihren Willen zur Ahndung von Unrecht durchsetzen. Was jedoch die Justiz betraf, erfolgte die Strafverfolgung in aller Regel durch Richter und Staatsanwälte aus dem Westen. So fand die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit unter allseits gesicherten Machtverhältnissen statt, resultierte daraus eine ausgesprochen geringe Neigung zu Amnestiedebatten, die immer wieder aufgeschoben wurden. Hierin zeigen sich gravierende Unterschiede zu anderen Transformationsgesellschaften Osteuropas: Dort geriet der Bruch mit dem alten System nicht derart radikal wie in Deutschland, wurde Demokratie nicht implantiert, sondern musste erst herausgebildet werden, konnten (und sollten) auf bisherige Eliten nicht völlig ausgegrenzt bleiben. Das hat eine andere „Vergangenheitspolitik“ geprägt und natürlich Schlussstrich- und Versöhnungsmentalitäten befördert. In Russland, Weißrussland, der Ukraine - teilweise in Rumänien und Bulgarien - sah der Elitenwechsel zuweilen so aus, dass die zweite Reihe der einstigen Nomenklatura an die Spitze des Staates strebte. In Tschechien konzedierten Politiker wie Vaclav Havel, die früher selbst Verfolgte waren, dass eine klare Trennlinie zwischen Tätern und Opfern nicht gezogen werden könne. Überdies kamen ökonomische Faktoren in Betracht - Deutschland wollte und konnte sich seine Form von Vergangenheitsbewältigung auch finanziell leisten.

      Allein in der ZENTRALEN ERMITTLUNGSSTELLE REGIERUNGS- UND VEREINIGUNGSKRIMINALITÄT (ZERV) in Berlin waren mehr als


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