Kind des Lichtes. Kerstin Wandtke

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Kind des Lichtes - Kerstin Wandtke


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Sie nickte zögernd, wusste ja nicht was sie zu erwarten hatte, doch er schloss sie glücklich in seine Arme und hob sie hoch.

      „Das wird ganz wundervoll, glaube mir, ich werde dir alles zeigen, dir alles Erklären. Du wirst so viele neue Dinge sehen, und ich werde bestimmt gut auf dich Acht geben, versprochen.“

      Damit wirbelte er sie ausgelassen herum, dass ihr ganz schwindelig wurde. Sie schlang beide Arme um seinen kräftigen Hals und barg ihr Gesicht unter sein Kinn. Er stoppte langsam und streichelte anschließend über ihr langes, weißes Haar.

      „Du bist so schön, kleine Fee, so wunderschön, dass es einem in der Seele schmerzt dich zu betrachten. Wie gern würde ich dich in Liebe berühren, dir zeigen, was es heißt eine Frau zu sein, aber keiner meines Volkes wird je mit dir die Wonnen teilen.“ Sie sah fragend zu ihm auf, verstand nicht, was er damit meinte. Zärtlich, aber auch voller Trauer blickte er zu ihr hinunter.

      „Du bist so klein, so zart,“ er sah sie traurig lächelnd an, „Menschenweiber sind so viel größer als du und doch sterben sie häufig noch unter uns. Was würde mit dir Geschehen, wo du doch so viel kleiner und zarter als sie bist?“ Er küsste sie ganz zärtlich auf ihre glatte Stirn.

      „Nein, keiner meines Volkes wird dich je in Liebe berühren.“ Er setzte sie jetzt ab, streichelte ihr noch einmal traurig über ihr Haar und ging dann rasch zum Feuer, um nach dem Fleisch zu sehen. Seine Traurigkeit hielt ihn auch noch den ganzen weiteren Abend gefangen, und so sehr Alina sich auch bemühte, sie konnte ihm kein Lächeln mehr entlocken. Das betrübte sie sehr, zumal sie nicht verstand, warum er so verzweifelt war. Sie ahnte nur, dass es etwas mit ihr zu tun hatte. Raven fühlte sich an diesem Abend trotz ihrer Nähe sehr einsam. Der Gedanke, sie zurück lassen zu müssen, betrübte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte. Sie fesselte ihn, und er wusste, er hätte bald nicht mehr die Kraft, sich ihr zu entziehen. Was sollte er nur machen, mir ihr und mit sich selbst. So lagen beide des Nachts wach, und im großen Kamin knisterte nur leise das behagliche Feuer, das diesem Ort nach Jahrzehnten wieder Licht und wärme gab.

      Am Morgen des folgenden Tages weckte er sie schon früh, und nachdem sie gegessen hatten machten sie sich an die Erforschung des alten Gemäuers. Sie beraten zunächst wieder den Raum mit den Treppen am Ende. Dunkelheit erwartete sie dort oben.

      „Komm, wir gehen erst nach oben,“ meinte er jetzt wieder vergnügt und zog sie mit sich. Vorsichtig erstiegen sie die erste Treppe und betraten danach einen breiten Flur, der auf jeder Seite von großen, schweren und reichverzierten Türen gesäumt wurde. Raven öffnete die Erste, stemmte diese mit ganzer Kraft auf und beide sahen vorsichtig hinein. Das Zimmer war groß und ehemals bestimmt sehr prächtig. Doch jetzt waren die Wände verstaubt, die Möbel zerbrochen oder schimmlig, die Vorhänge hingen in Fetzen und die hohen Pfosten des ehemals schönen Bettes ragten wie die knorrigen Finger einer alten Hand empor. Dieser Raum ließ Alina schaudern und sie wandte sich rasch ab. Die restlichen Zimmer dieser Etage glichen einander in ihrer Einrichtung und ihrem Zerfall. Raven fragte sich, warum die ehemaligen Bewohner ohne ihre vielen Habseeligkeiten fortgegangen waren. Er sah viele Spiegel, Kämme, Börsen aus Leder und andere Gebrauchsgegenstände. Wurden sie überrascht? Sind sie eiligst geflohen, während eines der vielen Kriege?

      Oder wurden sie von einer Krankheit dahingerafft? Es gab so viele Fragen zu diesem düsteren Ort. Sie folgten dem Flur bis zu dessen Ende und betraten danach eine lange Galerie. Die großen und dabei bunten Fenster, die regelmäßig an der linken Seite verliefen, tauchten sie in ein diffuses Licht. An der langen rechten Wand hingen die alten, dabei aber kunstvollen Gemälde der ehemaligen Bewohner. Einige hingen noch an ihrem Platz, andere lagen zerstört darunter. Sie waren staubig, die Farben zum Teil schon abgeblättert, doch auf Alina verübten sie einen ganz besonderen Reiz. Raven folgte ihr zu jedem Einzelnem und sah, wie genau sie die alten Bilder betrachtete, wie sie diese manchmal zart, fast ehrfürchtig berührte. Er sah an der Kleidung der dargestellten Männer und Frauen seines Volkes, das deren Zeit schon lange verstrichen sein musste. Dennoch berührten sie auch ihn, konnte er doch durch sie in eine ferne, eine prachtvolle Zeit zurückblicken.

      Alina war völlig verzaubert. Sie ging von Bild zu Bild, gefesselt von der Schönheit der dargestellten Personen, die sich alle sehr ähnelnd und arrogant und mit kaltem Blick auf sie herunter starrten. Als sie das Ende der Galerie erreichten fiel es ihr schwer, diese zu verlassen und sie beschloss, später noch einmal hierher zurück zu kehren. Raven legte einen Arm um ihre Schultern und sie sah wieder einmal fragend zu ihm auf.

      „Ich weiß nicht, was hier geschehen ist, aber lass uns weitergehen, vielleicht finden wir doch noch Antworten auf unsere Fragen.“ So wurde aus ihrer Besichtigung eine Suche und je weiter sie in die Burg eindrangen desto verwirrender wurde alles. In der großen Küche stießen sie auf die trockenen Überreste einer ehemals üppigen Festtagstafel. In den Stallungen lagen die bleichen Gebeine des Viehs. Überall sahen sie Zeichen, das, dass, was hier vorgefallen war, sehr schnell gegangen sein muss. Doch warum war noch alles vorhanden? Warum hatte man das Vieh in den Ställen jämmerlich sterben lassen? Und weshalb schien alles so unberührt, verfallen, ja, aber er sah keine Spuren die auf Kampf oder Plünderung hinwiesen. Doch dann hatte ihre Suche plötzlich ein jähes Ende und sie fanden die Bewohner der alten Burg.

      Raven stemmte sich mit aller Kraft gegen die schwere Holztür, drückte diese aber nur langsam auf. Sie hatten diese am fuße des halb eingestürzten Turmes entdeckt, als beide den Burghof überquerten. Als er sie halb geöffnet hatte, stieß sie auf Wiederstand und er sah in die totale Finsternis dahinter. Alina wurde hier mehr als nur unbehaglich.

      „Warte hier, es ist dunkel dort drinnen, ich hohle schnell eine Fackel.“ Sie blickte durch die Öffnung und sah grob behauende, staubige Felsstufen die in eine tiefe Dunkelheit hinab führten.

      Sie verspürte nicht den Drang mutig zu sein und wartete geduldig auf seine Rückkehr. Raven hatte eine Ahnung auf was sie gestoßen sein könnten, er kannte diese Wege, die nur nach unten führten und nicht wieder hinauf. Sogar in seinem fernen Schloss gab es welche. Er wusste nicht, wie er sie auf das nun Folgende vorbereiten sollte, aber ihm war klar, dass es keinen Sinn hatte es ihr zu Verheimlichen. Sie war klug und früher oder später würde sie selbst drauf stoßen. Doch was sie nun erwarten sollte, hätte er ihr trotzdem lieber erspart. Sie stiegen gemeinsam die steinernen Stufen hinab und standen dann in einem dunklen Korridor. Die Luft hier unten roch schlecht und im Fackelschein tanzten unruhige Schatten über die Wände. Die schweren Holztüren, zu beiden Seiten des Ganges, standen gähnend offen und gewährten ihnen einen Blick auf die Überreste des alten Strohs, mit dem einst ihre Böden belegt wurden. Schimmelig und streng riechend lag es hier und verrottete. Raven sah seine Vermutung bestätigt, sie befanden sich jetzt im Kerker der Burg und er erwartete die gebleichten Gebeine der Gemeuchelten zu sehen. Doch sie fanden vorerst nichts dergleichen, was ihn erst etwas verwunderte. Wenn er sich aber nicht sehr täuschte, mussten zur Glanzzeit der Burg viele Menschen hier unten ihren baldigen Tod erwartet haben. Aber nichts deutete darauf hin. Er spürte Alinas Angst und sah ihr tief in die sonderbaren Augen.

      „Sollen wir weitergehen.“ Sie nickte langsam und vorsichtig.

      „Bist du dir sicher, ich weiß nicht was wir hier noch finden werden.“ Sie nickte wieder.

      „Gut, dann weiter.“ Er ergriff ihre kleine Hand und als sie das Ende des Korridors erreichten, stiegen beide abermals langsam steinerne Stufen hinab. Die Dunkelheit wurde immer umfassender, ja, fast lebendig. Sie zerrte an ihnen, zog sie immer tiefer hinab. Die Luft hier unten wurde immer schlechter, zum Schluss kaum noch zu Atmen und ihnen brannten die Augen sehr vom aufgewirbelten Staub, der sich nur langsam wieder zu leben schien.

      Dann, plötzlich, endeten die Stufen, und sie fanden sich in der Folterkammer der alten Burg wieder. Das riesige Gewölbe war seinerzeit wohl in die umgebenen Felsen geschlagen worden und die hohe Decke wurde von mächtigen Säulen getragen. Ravens Fackel vermochte dieses große Gewölbe nur schwach zu beleuchten und so blieben die entfernten Bereiche jetzt in völliger Finsternis. Sie traten nur langsam und zögernd näher und der Anblick, der sich ihnen dabei bot, war so furchtbar, dass Alina unkontrolliert zu zittern begann, während Ravens Nackenhaar sich langsam aufrichtete.

      Sie hatten die ehemaligen Bewohner der Burg jetzt gefunden.


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