Die Wahlverwandtschaften. Johann Wolfgang von Goethe

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Die Wahlverwandtschaften - Johann Wolfgang von Goethe


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worauf denn Charlotten und den übrigen sogleich der Hammer gereicht wurde, um durch ein dreimaliges Pochen die Verbindung des Steins mit dem Grunde ausdrücklich zu segnen.

      »Des Maurers Arbeit«, fuhr der Redner fort, »zwar jetzt unter freiem Himmel, geschieht, wo nicht immer im Verborgnen, doch zum Verborgnen.

      Der regelmäßig aufgeführte Grund wird verschüttet, und sogar bei den Mauern, die wir am Tage aufführen, ist man unser am Ende kaum eingedenk.

      Die Arbeiten des Steinmetzen und Bildhauers fallen mehr in die Augen, und wir müssen es sogar noch gutheißen, wenn der Tüncher die Spur unserer Hände völlig auslöscht und sich unser Werk zueignet, indem er es überzieht, glättet und färbt.

      Wem muß also mehr daran gelegen sein, das, was er tut, sich selbst recht zu machen, indem er es recht macht, als dem Maurer?

      Wer hat mehr als er das Selbstbewußtsein zu nähren Ursach?

      Wenn das Haus aufgeführt, der Boden geplattet und gepflastert, die Außenseite mit Zieraten überdeckt ist, so sieht er durch alle Hüllen immer noch hinein und erkennt noch jene regelmäßigen, sorgfältigen Fugen, denen das Ganze sein Dasein und seinen Halt zu danken hat.

      Aber wie jeder, der eine Übeltat begangen, fürchten muß, daß, ungeachtet alles Abwehrens, sie dennoch ans Licht kommen werde, so muß derjenige erwarten, der insgeheim das Gute getan, daß auch dieses wider seinen Willen an den Tag komme.

      Deswegen machen wir diesen Grundstein zugleich zum Denkstein. Hier in diese unterschiedlichen gehauenen Vertiefungen soll verschiedenes eingesenkt werden zum Zeugnis für eine entfernte Nachwelt.

      Diese metallnen zugelöteten Köcher enthalten schriftliche Nachrichten; auf diese Metallplatten ist allerlei Merkwürdiges eingegraben; in diesen schönen gläsernen Flaschen versenken wir den besten Wein, mit Bezeichnung seines Geburtsjahrs; es fehlt nicht an Münzen verschiedener Art, in diesem Jahre geprägt: alles dieses erhielten wir durch die Freigebigkeit unseres Bauherrn.

      Auch ist hier noch mancher Platz, wenn irgendein Gast und Zuschauer etwas der Nachwelt zu übergeben Belieben trüge«.

      Nach einer kleinen Pause sah der Geselle sich um; aber wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt: niemand war vorbereitet, jedermann überrascht, bis endlich ein junger, munterer Offizier anfing und sagte: »wenn ich etwas beitragen soll, das in dieser Schatzkammer noch nicht niedergelegt ist, so muß ich ein paar Knöpfe von der Uniform schneiden, die doch wohl auch verdienen, auf die Nachwelt zu kommen«.

      Gesagt, getan!

      Und nun hatte mancher einen ähnlichen Einfall.

      Die Frauenzimmer säumten nicht, von ihren kleinen Haarkämmen hineinzulegen; Riechenfläschchen und andre Zierden wurden nicht geschont; nur Ottilie zauderte, bis Eduard sie durch ein freundliches Wort aus der Betrachtung aller der beigesteuerten und eingelegten Dinge herausriß.

      Sie löste darauf die goldne Kette vom Halse, an der das Bild ihres Vaters gehangen hatte, und legte sie mit leiser Hand über die anderen Kleinode hin, worauf Eduard mit einiger Hast veranstaltete, daß der wohlgefugte Deckel sogleich aufgestürzt und eingekittet wurde.

      Der junge Gesell, der sich dabei am tätigsten erwiesen, nahm seine Rednermiene wieder an und fuhr fort: »wir gründen diesen Stein für ewig, zur Sicherung des längsten Genusses der gegenwärtigen und künftigen Besitzer dieses Hauses.

      Allein indem wir hier gleichsam einen Schatz vergraben, so denken wir zugleich, bei dem gründlichsten aller Geschäfte, an die Vergänglichkeit der menschlichen Dinge; wir denken uns eine Möglichkeit, daß dieser festversiegelte Deckel wieder aufgehoben werden könne, welches nicht anders geschehen dürfte, als wenn das alles wieder zerstört wäre, was wir noch nicht einmal aufgeführt haben.

      Aber eben, damit dieses aufgeführt werde: zurück mit den Gedanken aus der Zukunft, zurück ins Gegenwärtige!

      Laßt und nach begangenem heutigem Feste unsre Arbeit sogleich fördern, damit keiner von den Gewerken, die auf unserm Grunde fortarbeiten, zu feiern brauche, daß der Bau eilig in die Höhe steige und vollendet werde und aus den Fenstern, die noch nicht sind, der Hausherr mit den Seinigen und seinen Gästen sich fröhlich in der Gegend umschaue, deren aller sowie sämtlicher Anwesenden Gesundheit hiermit getrunken sei!«

      Und so leerte er ein wohlgeschliffenes Kelchglas auf einen Zug aus und warf es in die Luft; denn es bezeichnet das Übermaß einer Freude, das Gefäß zu zerstören, dessen man sich in der Fröhlichkeit bedient.

      Aber diesmal ereignete es sich anders: das Glas kam nicht wieder auf den Boden, und zwar ohne Wunder.

      Man hatte nämlich, um mit dem Bau vorwärtszukommen, bereits an der entgegengesetzten Ecke den Grund völlig herausgeschlagen, ja schon angefangen, die Mauern aufzuführen, und zu dem Endzweck das Gerüst erbaut, so hoch, als es überhaupt nötig war.

      Daß man es besonders zu dieser Feierlichkeit mit Brettern belegt und eine Menge Zuschauer hinaufgelassen hatte, war zum Vorteil der Arbeitsleute geschehen.

      Dort hinauf flog das Glas und wurde von einem aufgefangen, der diesen Zufall als ein glückliches Zeichen für sich ansah.

      Er wies es zuletzt herum, ohne es aus der Hand zu lassen, und man sah darauf die Buchstaben E und O in sehr zierlicher Verschlingung eingeschnitten: es war eins der Gläser, die für Eduarden in seiner Jugend verfertigt worden.

      Die Gerüste standen wieder leer, und die leichtesten unter den Gästen stiegen hinauf, sich umzusehen, und konnten die schöne Aussicht nach allen Seiten nicht genugsam rühmen; denn was entdeckt der nicht alles, der auf einem hohen Punkte nur um ein Geschoß höher steht! Nach dem Innern des Landes zu kamen mehrere neue Dörfer zum Vorschein, den silbernen Streifen des Flusses erblickte man deutlich, ja selbst die Türme der Hauptstadt wollte einer gewahr werden.

      An der Rückseite, hinter den waldigen Hügeln, erhoben sich die blauen Gipfel eines fernen Gebirges, und die nächste Gegend übersah man im ganzen.

      »Nun sollten nur noch«, rief einer, »die drei Teiche zu einem See vereinigt werden; dann hätte der Anblick alles, was groß und wünschenswert ist«.

      »Das ließe sich wohl machen«, sagte der Hauptmann; »denn sie bildeten schon vorzeiten einen Bergsee«.

      »Nur bitte ich, meine Platanen- und Pappelgruppe zu schonen«, sagte Eduard, »die so schön am mittelsten Teiche steht«.

      »Sehen Sie«, wandte er sich zu Ottilien, die er einige Schritte vorführte, indem er hinabwies »diese Bäume habe ich selbst gepflanzt«.

      »Wie lange stehen sie wohl schon?« fragte Ottilie.

      »Etwa so lange«, versetzte Eduard, »als Sie auf der Welt sind.

      Ja, liebes Kind, ich pflanzte schon, da Sie noch in der Wiege lagen«.

      Die Gesellschaft begab sich wieder in das Schloß zurück.

      Nach aufgehobener Tafel wurde sie zu einem Spaziergang durch das Dorf eingeladen, um auch hier die neuen Anstalten in Augenschein zu nehmen.

      Dort hatten sich auf des Hauptmanns Veranlassung die Bewohner vor ihren Häusern versammelt; sie standen nicht in Reihen, sondern familienweise natürlich gruppiert, teils, wie es der Abend forderte, beschäftigt, teils auf neuen Bänken ausruhend.

      Es ward ihnen angenehmen Pflicht gemacht, wenigstens jeden Sonntag und Festtag diese Reinlichkeit, diese Ordnung zu erneuern.

      Eine innere Geselligkeit mit Neigung, wie sie sich unter unseren Freunden erzeugt hatte, wird durch eine größere Gesellschaft immer nur unangenehm unterbrochen.

      Alle vier waren zufrieden, sich wieder im großen Saale allein zu finden; doch ward dieses häusliche Gefühl einigermaßen gestört, indem ein Brief, der Eduarden überreicht wurde, neue Gäste auf morgen ankündigte.

      »Wie wir vermuteten«, rief Eduard Charlotten zu; »der Graf wird nicht ausbleiben, er kommt morgen«.

      »Da ist also auch die Baronesse nicht weit«, versetzte


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