Die Eissphinx. Jules Verne

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Die Eissphinx - Jules Verne


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      Nach Verlauf eines Monats waren die einfachen Einrichtungen vollendet und drei Mann von der Besatzung wurden ausgewählt, auf Tsalal zurückzubleiben. Bisher hatte man nicht die geringste Ursache gehabt, gegen die Eingebornen irgendwelchen Verdacht zu hegen. Vor der letzten Verabschiedung wollte sich der Kapitän Guy noch einmal nach dem Dorfe Klock-Klock begeben, ließ aber aus Vorsicht sechs Mann auf dem Schiffe zurück, dessen Kanonen geladen waren und dessen Anker zum Lichten schon emporgehoben war. Diese Leute sollten sich unbedingt jeder Annäherung von Eingebornen widersetzen.

      Von hundert Kriegern begleitet, zog Too-Wit seinen Gästen entgegen. Der Weg führte durch ein schmales Thal zwischen Hügeln und einem fettigen Gestein, einer Art Steatit, hin, wie es Arthur Pym noch niemals gesehen hatte. Weiter folgten einander tausend Windungen zwischen sechzig und achtzig Fuß hohen Abhängen, die einen kaum vierzig Fuß breiten Raum zwischen sich ließen.

      Ohne besonderes Mißtrauen, obwohl die Oertlichkeit für einen Ueberfall wie geschaffen schien, marschierten der Kapitän Guy und seine Begleiter eng aneinandergeschlossen dahin.

      Rechts und etwas voraus hielten sich Arthur Pym, Dirk Peters und ein Matrose, namens Allen.

      An einem Spalt angelangt, der sich an der Seite eines Hügels öffnete, fiel es Arthur Pym ein, dahin einzudringen, um einige Haselnüsse zu pflücken, die von verkrüppelten Büschen in Träubchen herabhingen. Gleich darauf wollte er umkehren, als er sah, daß der Mestize und Allen ihm gefolgt waren. Eben gedachten nun alle drei, den Ausgang aus dem Spalt wieder zu gewinnen, als ein heftiger, plötzlicher Stoß sie zu Boden warf. Gleichzeitig barsten die seifigfetten Massen des Hügels und sie erkannten, daß sie hier lebendig begraben würden....

      Lebendig?... Alle drei?... Nein, nur Allen war unter den Schuttmassen schon so tief begraben, daß er nicht mehr athmete.

      Sich auf den Knieen hinschleppend und mit dem Messer einen Weg ausbrechend, wobei sie ihr großes Bowiemesser benützten, gelang es Arthur Pym und Dirk Peters, einige Vorsprünge aus etwas widerstandsfähigerem, schiefrigem Thon und von hier eine Art natürlicher Plattform am Ende einer bewaldeten Schlucht zu erreichen, über der ein Streifen blauen Himmels leuchtete.

      Von hier aus konnten sie die ganze Umgebung weithin überblicken.

      Es war ein ausgedehnter Bergsturz, was sich eben ereignet hatte..... doch ein künstlicher Bergsturz, den die Eingebornen hervorgerufen hatten. Der Kapitän Guy nebst seinen achtundzwanzig Begleitern war, von Millionen Tonnen Erde und Gestein verschüttet, für immer verschwunden....

      Das Land umher wimmelte von Eingebornen, die wohl auch von den Nachbarinseln mit dem Verlangen gekommen waren, die »Jane« zu plündern. Siebzig Boote mit Auslegern drangen gegen die Goëlette vor. Die sechs an Bord zurückgebliebenen Leute sandten ihnen eine schlecht gezielte Salve entgegen, darauf eine zweite von Kartätschen und Kettenkugeln, die eine schreckliche Wirkung hatte. Nichtsdestoweniger wurde die »Jane« gestürmt, angezündet und ihre Besatzung umgebracht. Zuletzt entstand eine entsetzliche Explosion, als die Pulverkammer Feuer fing – eine Explosion, die wohl tausend Eingeborne zerriß und ebenso viele verstümmelte, während die übrigen unter dem Rufe »tekeli-li!... tekeli-li!« flüchteten.

      Die ganze folgende Woche lebten Arthur Pym und Dirk Peters von Haselnüssen, Rohrdommelnfleisch und Weichthieren, und entgingen auch den Eingebornen, die ihre Gegenwart gewiß nicht mehr vermutheten. Sie hielten sich dabei fast immer in der Tiefe eines ausgangslosen Abgrunds auf, der sich in den Steatit und eine Art Mergel mit eingesprengten Metallkörnern einsenkte.

      Er hing nur nach einer Seite mit einer Reihe weiterer Schlünde zusammen, von deren geometrischen Anordnung Arthur Pym eine Skizze entwarf, die in ihrer Gestalt ein Wort arabischen Stammes mit der Bedeutung »Weißes Wesen« und eines ägyptischen Ursprungs, ?FUG??C, mit der Bedeutung »Südgebiet«, wiedergiebt. Man erkennt, daß der amerikanische Verfasser die Unwahrscheinlichkeiten schon auf die Spitze treibt. Ich hatte übrigens nicht nur den Roman »Arthur Gordon Pym, wiederholt gelesen, sondern kannte auch die andern Werke Edgar Poe's. Ich wußte, was man von diesem mehr sensitiven als intellectuellen Geiste zu halten hatte. Einer seiner Kritiker sagt gewiß mit vollem Rechte: Die Phantasie überwiegt bei ihm alle andern Anlagen... eine sozusagen göttliche Anlage, die die tiefsten und geheimsten Beziehungen der Dinge durchdringt, ihre übereinstimmenden und analogen Seiten erkennt....

      Unzweifelhaft ist es, daß in diesen Arbeiten bisher niemand etwas anders gesehen hatte, als Schöpfungen der Phantasie. Wie konnte nun, ohne geistesgestört zu sein, ein Mann gleich dem Kapitän Len Guy diese Schöpfungen lebendigster Einbildungskraft für thatsächlich wahr hinnehmen?

      Ich fahre weiter fort:

      Arthur Pym und Dirk Peters konnten natürlich nicht für immer in ihrem tiefen Schlupfwinkel bleiben, doch erst nach vielen Versuchen gelang es ihnen, an einem Abhange des Hügels hinabzugleiten. Sofort stürzten fünf Eingeborne auf sie zu. Dank ihren Pistolen und der außergewöhnlichen Körperkraft des Mestizen wurden vier davon getödtet, der fünfte aber von den Flüchtlingen mit fortgeschleppt, die am Ufer ein mit drei großen Schildkröten beladenes Boot fanden. Zwanzig Insulaner, die ihnen nacheilten, versuchten vergeblich, sie anzuhalten. Sie wurden zurückgetrieben und das mit den nöthigen Pagaien versehene Boot glitt aufs Meer hinaus und wandte sich nach Süden.

      Arthur Pym befand sich jetzt jenseits des vierundachtzigsten Grades südlicher Breite. Es war zu Anfang des März, also kurz vor Eintritt des antarktischen Winters. Im Westen tauchten fünf oder sechs Inseln auf, an denen man aber aus Vorsicht vorüberfuhr. Arthur Pym vertrat immer die Ansicht, daß die Temperatur je näher dem Pole desto milder sein werde. Am Ende der vorn am Boote aufgerichteten zwei Pagaien wurde ein Segel angebracht, das aus den mit einander verbundnen Hemden Arthur Pym's und Dirk Peters' bestand – weißen Hemden, vor deren Farbe der gefangene Eingeborne, der den Namen Nu-Nu führte, einen grenzenlosen Abscheu zu erkennen gab. Begünstigt von einem mäßigen Nordwinde und bei noch fortwährender Tageshelle ging die seltsame Fahrt acht Tage lang fort, über ein Meer ohne jede Eisscholle, denn bei der höheren, auch im Wasser vorhandenen Temperatur hatte sich schon von der Insel Bennet an keine einzige solche gezeigt.

      Jetzt drangen nun Arthur Pym und Dirk Peters in ein neues und wunderbares Gebiet ein. Am Horizont lagerte eine breite Schicht grauen, leichten Dampfes mit weit hervorschießenden Ausstrahlungen, wie man solche an Nordlichtern beobachtet. Eine ziemlich rasche Strömung unterstützte noch die Wirkung des Windes. Das Boot glitt über eine außerordentlich flüssige Masse von milchigem Aussehen hin, die von unten her bewegt zu werden schien. Da begann eine weiße Asche niederzufallen, was den Schrecken Nu-Nu's, dessen Lippen sich bis über seine schwarzen Zahnreihen zurückzogen, nur vermehrte.

      Am 9. März verdoppelte sich der Aschenregen und nahm die Temperatur des Wassers so sehr zu, daß man die Hand nicht mehr hineinhalten konnte. Die ungeheure Dampfschicht, die den fernen Halbkreis des Horizonts einnahm, glich einem unbegrenzten Wasserfalle, der still von irgend einem hohen, in der Höhe des Himmels verlorenen Walle herniedersank....

      Zwölf Tage später breitet sich über die Umgebung die Finsterniß, nur unterbrochen durch leuchtende Ausströmungen, die sich aus der milchigen Tiefe des antarktischen Oceans erheben, in den der nie nachlassende Aschenregen niederrieselt.

      Das Boot näherte sich dem Katarakte mit unheimlicher Schnelligkeit, über deren Ursachen Arthur Pym keinen Aufschluß giebt. Zuweilen spaltete sich die Dunstmasse, und dann erblickte man hinter ihr ein Chaos schwankender, unbestimmter Bilder, die von mächtigen Luftströmungen bewegt zu werden schienen....

      Mitten durch die entsetzliche Dunkelheit flatterten Schaaren riesiger Vögel von fahlweißer Farbe, die ihr ewiges »tekeli-li« kreischten, und dabei hauchte der von Schaudern ergriffene Wilde seinen letzten Seufzer aus.

      Plötzlich stürzt das Boot, von rasender Schnelligkeit gepackt, sozusagen in die Arme des Katarakts, indem sich ein Abgrund öffnet, wie um es zu verschlingen.... Doch gleichzeitig erhebt sich dem Boote gegenüber eine verschleierte menschliche Gestalt von einer Größe, wie man auf Erden wohl noch keine gesehen hat... und die Hautfarbe der Erscheinung war ganz schneeweiß....

      Das ist der merkwürdige Roman, den das übermenschliche Genie des größten Dichters


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