Die Eissphinx. Jules Verne

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Die Eissphinx - Jules Verne


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Betrachtung von Hypothesen denen es an jeder Unterlage gebricht. Noch etwas mehr, und ich fing vielleicht an, an die Existenz Arthur Pym's und Dirk Peters', an deren Gefährten und an die im südlichen Packeise verlorne »Jane« zu glauben!... Hatte mich die Verwirrung des Kapitän Len Guy bereits angesteckt? In der That hatte ich mich ja dabei überrascht, einen Vergleich zwischen dem Wege der »Jane«, als sie nach Westen steuerte, und dem anzustellen, dem die »Halbrane« auf ihrer Fahrt nach Tristan d'Acunha folgte.

      Wir schrieben jetzt den 3. September. Kam es zu keiner Verzögerung – und die hätte nur ein Seeunfall herbeiführen können – so mußte unsere Goëlette binnen drei Tagen in Sicht des Hafens sein. Die Inselgruppe steigt übrigens so hoch empor, daß man sie bei günstiger Witterung schon aus großer Ferne sieht.

      An diesem Tage spazierte ich zwischen zehn und elf Uhr vormittags an der Windseite zwischen Vorder-und Hintertheil des Schiffes hin und her. Wir glitten leicht über das schwach bewegte, kaum plätschernde Meer. Die »Halbrane« glich mehr einem ungeheuern Vogel, einem der von Arthur Pym erwähnten riesenhaften Albatrosse, der, sein mächtiges Gefieder entfaltend, eine ganze Mannschaft durch den Luftraum mit forttrug. Ja, für einen etwas phantastisch angelegten Kopf war das keine Seefahrt mehr, sondern ein Flug, und das Schlagen der Segel war das Schlagen von Fittichen.

      Am Spill, vom Gaffelsegel geschützt und das Fernrohr vor den Augen, stand Jem West und schaute an der Leeseite an Backbord nach einem in ein bis zwei Seemeilen Entfernung schwimmenden Gegenstande hin, nach dem mehrere, über die Schanzkleidung gebeugte Matrosen mit dem Finger zeigten.

      Es war das eine Masse von zehn bis zwölf Quadratyard Oberfläche, von unregelmäßiger Gestalt und mit einer lebhaft glänzenden Erhebung in der Mitte. Diese Masse hob und senkte sich mit den Wellen, die sie in der Richtung nach Nordwesten weitertrugen.

      Ich begab mich nach dem Vorderdecke und faßte jenen Gegenstand scharf ins Auge.

      Dabei vernahm ich die Bemerkungen der Mannschaften, die für die geringsten Seetriften allemal besonderes Interesse haben.

      »Ein Walfisch ist das nicht, erklärte der Segelmaat Martin Holt. Er würde, seit wir ihn beobachten, mindestens schon zehnmal ausgeathmet und also eine Wassersäule mit Luft vermengt emporgetrieben haben.

      – Nein, von einem Wal kann keine Rede sein, bestätigte Hardie, der Kalfatermeister. Vielleicht ist es der Rumpf eines verlassenen Schiffes...

      – Das der Teufel vollends versenken möge! rief Rogers. Daran sollten wir in der Nacht nur einmal anstoßen! Da käme keiner mehr dazu, sich hinter den Ohren zu kratzen, und wir gingen unter, ohne zu wissen, wie und warum!

      – Hast Recht, stimmte Drap ihm bei. Diese Wracks sind schlimmer als Felsen, denn sie treiben heute hier und morgen da... wer könnte sich ihrer erwehren?«

      Eben trat Hurliguerly zu den Leuten heran.

      »Was denken Sie davon, Hochbootsmann?« fragte ich ihn, als er sich neben mir auf die Reling gelehnt hatte.

      Hurliguerly blickte scharf hinaus, und da die von frischer Brise getriebene Goëlette sich der Masse rasch näherte, war jetzt ein Urtheil schon leichter abzugeben.

      »Was wir da draußen sehen, Herr Jeorling, antwortete der Hochbootsmann, ist meiner Ansicht nach weder ein Wal, noch eine Seetrift, sondern ganz einfach eine Eisscholle....

      – Eine Eisscholle? rief ich verwundert.

      – Hurliguerly täuscht sich nicht, fiel jetzt Jem West ein. Es handelt sich ganz einfach um eine Eisscholle, um ein Stück eines Eisbergs, das die Strömung weggeführt hat....

      – Wie, versetzte ich, bis herab zum fünfundvierzigsten Breitengrade?

      – Das kommt zuweilen vor, erwiderte der Lieutenant. Manchmal verirren sich Eisschollen bis in die Nähe des Caps, wenn man einem französischen Seefahrer, dem Kapitän Blosseville, glauben darf, der 1828 solche in dieser Höhe getroffen zu haben behauptet.

      – Dann wird diese hier aber wohl bald zerschmelzen? bemerkte ich, erstaunt, daß mich der Lieutenant West einer so langen Antwort gewürdigt hatte.

      – Sie wird schon zum größten Theil aufgelöst sein, versicherte der Lieutenant, und was wir hier sehen, ist gewiß nur der Rest eines Eisberges, der vielleicht mehrere Millionen Tonnen Gewicht gehabt hat.«

      Inzwischen war der Kapitän Len Guy aus seiner Cabine herausgekommen. Als er die Gruppe von Matrosen um Jem West stehen sah, ging er auch selbst nach vorn.

      Nach einigen, mit leiser Stimme gewechselten Worten übergab der Lieutenant ihm das Fernrohr.

      Len Guy richtete es auf den schwimmenden Gegenstand, dem sich die Goëlette jetzt bis auf eine Seemeile genähert hatte, und nachdem er jenen eine Minute lang beobachtet hatte, sagte er:

      »Es ist eine Eisscholle und für uns ein Glück, daß sie im Schmelzen ist! Die »Halbrane« hätte eine ernste Havarie davontragen können, wenn sie in der Nacht mit ihr collidierie....

      Mir fiel die Sorgfalt auf, womit der Kapitän seine Beobachtung fortsetzte. Es schien, als ob seine Augen von dem Ocular des Fernrohrs, das sozusagen seine Pupille geworden war, gar nicht weichen könnten. Er blieb, wie an den Boden gebannt, regungslos stehen. Unempfänglich für das Rollen und Schlingern, die beiden Arme seiner Gewohnheit gemäß straff ausgestreckt, hielt er die Eisscholle unverrückbar im Gesichtsfelde des Objectivs. Sein ernsthaftes Gesicht zeigte hier und da hektische Flecken, bleiche Stellen und über seine Lippen kamen unverständliche Worte.

      So verstrichen einige Minuten. Die »Halbrane« war schon nahe dabei, an der Scholle vorüberzusegeln.

      »Um ein Quart abfallen!« befahl der Kapitän, ohne das Fernrohr abzusetzen.

      Ich errieth, was im Gehirn des von einer fixen Idee befallenen Mannes vorging.

      Diese vom südlichen Packeis abgesprengte Scholle kam ja aus den Gebieten, wohin ihn sein Gedanke unablässig zog. Er wollte sie näher sehen... vielleicht sie anlaufen... vielleicht irgend etwas davon mitnehmen....

      Infolge des von Jem West übermittelten Befehls, hatte der Hochbootsmann die Schooten langsam nachschießen lassen, und um ein Quart beigedreht lief die Goëlette nun auf die Eisscholle zu. Bald waren wir nur noch zwei Kabellängen davon entfernt und ich konnte sie jetzt besser erkennen.

      Wie schon erwähnt, schmolz die Erhebung der Mitte von allen Seiten ab. Wasserfäden schlängelten sich an ihren Wänden hinunter. Im September dieses schon frühzeitig warmen Jahres hatte die Sonne bereits die Kraft, die Auflösung alles Eises hervorzurufen und sogar zu beschleunigen.

      Am Ende des Tages war sicherlich nichts mehr von der Scholle übrig, die die Strömungen bis zum fünfundvierzigsten Breitengrade getragen hatten.

      Der Kapitän Len Guy behielt sie noch immer im Auge, ohne jetzt das Fernrohr nöthig zu haben. Allmählich unterschied man auf dem Eise einen fremdartigen Körper, der beim weitern Schmelzen immer mehr zum Vorschein kam – eine Gestalt von dunkler Farbe, die auf dem weißen Untergrunde lag.

      Wie erstaunten, wie erschraken wir aber, als wir erst einen Arm, dann ein Bein, endlich einen Rumpf nebst Kopf hervortreten sahen, kurz eine Menschengestalt, die nicht nackt, sondern noch mit dunkler Kleidung verhüllt war....

      Einen Augenblick glaubte ich gar, daß diese Glieder sich bewegten... daß diese Hände sich gegen uns ausstreckten....

      Die Mannschaft konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken.

      Nein, der Körper bewegte sich zwar nicht, er glitt aber langsam aus seinem eisigen Bette herab.

      Ich sah den Kapitän Len Guy an. Sein Gesicht war so bleich wie das des Leichnams, der aus den hohen Breiten des südlichen Polarmeers hierher verschlagen war.

      Was möglich war, um den Unglücklichen aufzunehmen, geschah ohne Zögern... wer wußte, ob er nicht vielleicht noch ins Leben zurückgerufen werden konnte. Jedenfalls enthielten seine Taschen irgend ein Schriftstück, das seine Persönlichkeit festzustellen erlaubte. Dann würde ein letztes Gebet gesprochen und dieser Ueberrest eines menschlichen


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