Der Weg nach Afrika. Helmut Lauschke
Читать онлайн книгу.die Patres in der Missionsstation Okatana zu besuchen, und so drehte er nach einem Kilometer von der Teerstrasse nach rechts ab, fuhr an den armseligen Wellblechhütten von 'Angola' vorbei, wo die Armut und die grosse Zahl der angolanischen Flüchtlinge mit ihren kinderreichen Familien hausten. Schlanke Schweine mit faltig hängenden Bäuchen liefen neben mageren Ziegen, denen die Beckenknochen höckrig herausstanden, und rippig felldürren Hunden herum. Sie alle waren auf der Suche nach Ess- und Kaubarem. Unter den Hunden war eine ausgemagerte Hündin mit leeren, faltig hin und her schaukelnden Zitzen, aus denen drei junge Welpen den letzten Tropfen mit hungrigen Mäulern ausquetschten und ungehalten über die magere Ausbeute waren, indem sie in die Zitzen bissen, dass die Mutter vor Schmerzen aufschrie und trotzdem stehenblieb. Die Sandstrasse mit den tief eingefahrenen Reifenspuren der 'Casspirs' begann, und der Käfer schaukelte nach beiden Seiten. Die aufgeworfenen Sandbänke kratzten laut am Bodenblech. Dr. Ferdinand sah links den hundert Meter von der Sandpiste entfernten Wasserturm mit dem aufgesetzten, von aufgeschichteten Sandsäcken eingefassten MG, das ihm bei einer frühnächtlichen Rückfahrt von der Mission zunächst Leuchtkugeln in blau, rot und gelb vor die Windschutzscheibe schoss und schliesslich scharf hinterher und nach seinem Leben schoss, als ihn der Schutzengel mit dem Käfer in eine riesige Sandwolke steckte, dass den Augen hinter dem MG das Sehen verging.
Dafür bedankte er sich beim Schutzengel noch einmal, als er den Wasserturm passierte. Die Fahrtspuren der 'Casspirs' waren tiefer und zahlreicher als bei seiner letzten Fahrt, was der letzten Entscheidungsschlacht durchaus entsprach, von der der Brigadier sprach, bei der viel auf dem Spiel stehe. Dass sie aber unmittelbar ans Missionsgelände heranführten und den Platz vor dem kleinen Missionshospital und die schlichte Kirche kreuz und quer aufgewühlt hatten, das war ein schlechtes Zeichen. Da musste erst kürzlich etwas passiert sein, denn sonst hätten die Menschen mit den Schwestern und Patres den Sand schon wieder glatt gerecht, weil sie die Ordnung liebten und den Frieden für den Gottesdienst am morgigen Sonntag brauchten. Das Tor war verkettet. Dr. Ferdinand wartete, bis eine Schwester mit Küchenschürze und Schlüssel aufs Tor zukam, es öffnete und dann wieder verkettete und das Schloss einhängte, als er das Haus der Patres erreichte und den Käfer in den Baumschatten unter einer üppigen Krone abstellte. Die Tür zum langen Flur war nicht verschlossen, sodass er den Weg zum dritten Raum links nahm, in dem drei Patres sassen, von denen einer bereits betagt war. "Ach, Herr Doktor, das ist ja schön, dass Sie mal wiederkommen, Sie waren lange nicht mehr hier." Einer legte den 'Osservatore', das offizielle Vatikanblatt in der deutschen Ausgabe zusammen und auf den Tisch, der andere hielt die 'Deutsche Zeitung', eine Landeszeitung in deutscher Sprache in der Hand, als sie einander begrüssten. Dr. Ferdinand setzte sich an den Tisch, auf dem einige Palmzweige vom vergangenen Palmsonntag noch lagen. Der andere Pater legte die 'Deutsche Zeitung' ebenfalls auf den Tisch zurück.
"Wissen Sie", begann der jüngere Pater, der so jung nicht mehr war, "gestern abend bekamen wir Besuch von der Koevoet. Die durchsuchten die Mission und das Hospital. Die Männer sagten, dass sie nach Männern suchen, die vor einigen Tagen aus dem Polizeigewahrsam ausgebrochen waren und bewaffnete Männer der Swapo seien. Wir konnten da nichts machen, weil sie uns nicht glaubten, dass auf dem Missionsgelände diese Männer nicht seien. Können Sie sich die Aufregung vorstellen, es war doch Karfreitag, und die Menschen bereiteten sich auf das Osterfest vor." Die anderen Patres machten ein ernstes Gesicht, und Dr. Ferdinand konnte sich die Aufregung vorstellen. "Sie haben die ganze Mission durchsucht, sind in jedes Krankenzimmer gegangen, wie die Schwester sagte, dass sich die Patienten erschrocken haben. Sie haben die Räume der Schule und die Wohnstellen der Lehrer kontrolliert, waren in der Küche, wo die Schwester und das Personal mit dem Aufräumen und Spülen beschäftigt waren, durchsuchten mit hellen Lampen die Halle, wo die Autos stehn. Sie wollten sogar in die kleine Kapelle, wo die Schwestern ihre Nachtmesse hielten. Da bedurfte es des energischen Einschreitens von uns allen, sie von diesem Wahnsinn abzuhalten. Die Kirche hatten sie, Gott sei Dank, in Ruhe gelassen. Dann hatten sie sich den Nachtwächter vorgenommen, den guten, alten Mann, der hier seit vielen Jahren seinen Dienst tut. Pater Huben sah es, wie sie in die Mangel nahmen. Er eilte ihm zu Hilfe. Der alte Mann konnte sich nicht ausweisen, und die Koevoet war schon dabei, ihn zu verladen, was Pater Huben dann noch mit guten Worten verhinderte. Sie hatten hier nichts gefunden, und das wollten sie nicht glauben. Mit ihren schweren Fahrzeugen kurvten sie um die Kirche und leuchteten die Gegend ab. Dann fuhren sie in die umliegenden Siedlungen, durchsuchten Kraal für Kraal und luden einige Männer auf, die sie mit nach Oshakati nahmen, weil sie keine Papiere hatten."
Dr. Ferdinand dachte an die letzte Entscheidungsschlacht, die vor der Mission nicht haltmachte und nun bis vor die Tür der kleinen Kapelle heranreichte. Der Pater war erregt: "Und das wenige Stunden vor dem Auferstehungsfest des Herrn. Können Sie sich das vorstellen?" Es war vorstellbar, denn am Oshakati Hospital ging es noch ganz anders zu, da wurden die Schlafenden vor der Rezeption regelrecht aus dem Schlaf gescheucht und die Männer, die sich nicht ausweisen konnten, verprügelt und in den Bauch des 'Casspirs' geworfen, und die weggeschlagene Beinprothese dem Amputierten ins Fahrzeug nachgeschmissen. Dr. Ferdinand fühlte sich genötigt, dazu etwas zu sagen: "Es ist schon traurig, wie rücksichtlos die Koevoet mit den Menschen umgeht, denen die Achtung vor dem Menschen völlig abhanden gekommen ist. Die können nicht schreiben und nicht lesen, aber schlagen, das können sie." "Sagen Sie das nicht", erwiderte der betagte Pater, "einige von denen waren hier in der Schule, und ich habe ihnen das Lesen und Schreiben und die Bibelkunde beigebracht. Und das ist es, was mich traurig macht, dass sie trotzdem den Respekt vor den Menschen verloren haben. Denn was hilft die ganze Schule mit der Bibelkunde, wenn sie später als Barbaren wiederkommen und die Mission auf den Kopf stellen, die sie ehren sollten." Dr. Ferdinand verstand die Trauer, dass der Unterricht im Lesen und Schreiben und in der Bibelkunde es nicht schafften, aus den jungen Menschen durch etwas Bildung reife Menschen zu machen, die Achtung vor dem Menschen haben, wo der menschliche Respekt höher anzusetzen ist als das Geld und gute Essen.
Vom kurzen Steg
"Diese Menschen haben nichts gelernt", fuhr der betagte Pater mit dem leicht nach vorn gekrümmten Rücken fort. "Sie sind trotz Schule böse Menschen geworden, weil sie das Wort Gottes entweder nicht verstanden oder verworfen haben. Sie hätten nach seinem Wort fragen sollen. Sie taten es nicht und verluderten in ihrer geistigen Beengtheit mit der Folge, dass sie das fünfte und die anderen Gebote gedanken- und bedenkenlos übertreten. Das konnte ich damals ihren Kindergesichtern nicht ablesen, als sie vor mir auf der Schulbank sassen. Hätte ich es damals geahnt, ich hätte sie als unbelehrbar nach Hause geschickt, denn so viele Kinder warteten vergeblich auf einen Platz in der Schule, um im Lesen und Schreiben unterrichtet zu werden. Dafür reichten die Räumlichkeiten der Schule nicht, und ich war der einzige Lehrer." Das ging Dr. Ferdinand gründlich durch den Kopf, weil er sich fragte, ob ein Lehrer es erwarten dürfe, dass alle Kinder gute Menschen werden, wenn sie Unterricht bekämen und noch gute Noten in der Schule schrieben. Die Welt müsste dann doch viel besser sein, wenn die Schule in der Lage wäre, gute Menschen heranzubilden. Doch der Teufel in der Welt ist kein Dummkopf, er führt seine Leute mit blendender Bildung, hoher Intelligenz und einer fertigen Sprache vor, in der hypnotische Kräfte stecken, die die menschliche Vernunft ins Verderben schickt. Er fragte deshalb den Pater, ob er das nicht zu pessimistisch sieht. "Mag sein", antwortete er, "aber glauben Sie mir, ich sage es aus meiner langjährigen Erfahrung, der Spalt zwischen Pessimismus und Optimismus ist ein sehr schmaler. Es bedarf nur eines kurzen Steges, den schmalen Spalt der Realität nach beiden Seiten hin zu überqueren, weil die Realität in einer tiefen Schlucht schlummert und nur wie die Spitze des Eisbergs hervortritt. Natürlich sieht die Eisbergspitze anders aus, je nachdem wie sie von der Sonne beleuchtet wird, weil eine Seite im Licht und dafür die andere Seite im Schatten ist, wo aber der ganze Eisberg nicht erst ans Tageslicht kommt. Und da liegt das Problem. Ähnlich ist es mit dem Menschen, wenn er noch auf der Schulbank sitzt, Sie sehen ihm in die Augen und glauben seinen Charakter zu erkennen und können es nicht begreifen, wenn er sich ganz anders entpuppt."
Dr. Ferdinand stieg der Schluchtabbildung nach und fragte ihn, wie er sagen konnte, jene Kinder, die sich später nicht zum reifen Menschen entpuppt hatten, als unbelehrbar nach Hause zu schicken, wenn er es damals geahnt hätte. "Sehen Sie", sagte der alte Pater, "das Leben ist kurz, und so gibt es nur wenige Chancen, ein Mensch zu werden, während für den Unmenschen die Chancen