NACHKLANG DER LEBENSSAITEN. Hil Barast

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NACHKLANG DER LEBENSSAITEN - Hil Barast


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für mich immer eine besondere Freude.

      Wenn ich heutzutage an einer Bäckerei vorbeikomme und es duftet nach frisch gebackenem Brot oder Kuchen, dann bin ich zurückversetzt nach Godshorn. Das sind meine „Madeleines de Proust“ sozusagen.

      An der Straße der Bäckerei lag auch eine Kaserne. Die Soldaten marschierten nie aus, ohne ein Lied zu singen, und ich sang mit und sah sie vom Fenster aus vorbeimarschieren. Onkel Karl lieferte das Brot und auch Obstkuchen an die Kaserne. Manchmal durfte ich ihn begleiten, wenn er Brot lieferte in den anliegenden Dörfern mit seinem nicht gerade bequemen Lieferwagen. In der Backstube durfte ich Formen kneten aus Teigresten wie Hampelmänner oder kleine Brote, und wenn diese aus dem Ofen kamen, durfte ich sie mit kalten Wasser bepinseln. Natürlich kamen diese auf unseren Familientisch, und ich war nicht wenig stolz. Auch im Laden durfte ich helfen und Brötchen verkaufen, das Geld einkassieren, aber auch die entsprechenden Lebensmittelmarken. Damals war ich sieben Jahre alt, mein Vetter Peter war geboren, und natürlich drehte sich alles um das Baby. Und da gab es für mich eine Menge zu sehen und zu lernen, wie man dieses kleine Menschlein badet und wickelt und nährt.

      Sechs lange Wochen waren wir dort, um meiner Tante zu helfen. An einem Wochenende kam Vati zu Besuch. Mit Onkel Karl gingen die beiden in den großen Garten, befestigten eine Schießscheibe an einem Baumstamm und veranstalteten ein Wettschießen. Natürlich wurde ich fortgeschickt, viel zu gefährlich für ein kleines Mädchen.

      Als meine Tante großen Bombenschaden erlitten hatte – die oberste Etage war völlig ausgebrannt - fuhren wir wieder hin um zu helfen. Sie erzählte uns, dass sie allein ihre moderne Schrank- Nähmaschine von Singer aus dem brennenden Stockwerk nach unten geschleppt hätte. Onkel Karl war unterdessen an der Front im Osten. Wieder einmal mussten wir während unseres Besuchs in einen Luftschutzkeller flüchten.Der Keller meiner Tante war zu klein. So mussten wir ein Stück laufen bis zum Hochbunker, und der war überfüllt. Wir mussten uns einen Sitzplatz teilen. Ganz in der Nähe muss eine Bombe gefallen sein, der Bunker bebte leicht, ein scheußliches Gefühl. Als endlich Entwarnung war, liefen wir zurück zum Haus meiner Tante. Als die Sirenen den Alarm heulten, saßen wir gerade am Tisch und wollten mit dem Mittagessen beginnen. In der Aufregung wurde der seltene Braten vergessen, den meine Tante vielleicht durch Tausch ergattert hatte. Der Braten war weg, als wir zurückkamen. Vermutlich war der Kater der Übeltäter, und wir hatten das Nachsehen.

      Immer wieder schön waren unsere Weihnachtsbesuche am zweiten Weihnachtstag bei Oma in Holtorf. Dort traf sich die Familie, Vatis Schwester Helene und sein Bruder Hermann, sowie meine fünf Vettern, mit denen ich spielen konnte. Wir saßen mit hochroten Köpfen am Küchentisch und spielten mit dem Stabilbaukasten, den Friedhelm zu Weihnachten bekommen hatte, d. h. ich durfte immer den Schraubenschlüssel oder den Schraubenzieher hinreichen. Natürlich machte das durstig. Auf der Anrichte standen zwei große Wassereimer mit Wasser aus der Pumpe, und wir tranken aus den Kellen.

      Auch Großvater, seit dem Ersten Weltkrieg an einen Rollstuhl gefesselt, - und nicht nur das: seine Hände zitterten sehr, und wir konnten kaum verstehen, was er sagte, nur Oma verstand ihn – schien sich zu freuen, die Familie um sich zu sehen.

      Oma hat es immer geschafft, ihren berühmten Butterkuchen zu backen, Niedersachsens Nationalkuchen, und wir Kinder fielen geradezu darüber her! Oma strickte Strümpfe für alle und saß tagelang am Spinnrad, um Wolle zu spinnen für die einen und die anderen im Dorf. Daher wohl die nie endende Tradition des Butterkuchens, selbst im Krieg.

      Der Weg nach Holtorf im tiefen Winter bei Schnee und Eis war fast eine „Strafe“; wir mussten oft gegen den schneidenden Ost-Nordostwind kämpfen, der auf dem flachen Land keinen Widerstand findet.Auf dem Heimweg in der Dunkelheit sahen wir so gut wie nichts. Selbst unsere kleine Taschenlampe hatte ja Verdunkelung. Nur ein kleiner Schlitz gab etwas Licht.

      Omas Schwester wohnte ganz in unserer Nähe im Leintor. Dort war ich immer gern gesehen. Wenn sie keine Zeit hatte für mich, setzte sie mich in die Werkstatt zu Onkel Heinrich, der Schuster war. Dieser war nicht sehr gesprächig, aber zusehen konnte ich natürlich, und das Besohlen von Schuhen ist so kein Geheimnis für mich. Es roch in der Werkstatt nach Leim und Leder, die kleinen Holzstifte hatten es mir angetan.

      Als Tante Doras Töchter heirateten, nähte Mutti die ganze Bettwäsche für sie. Ich saß ihr gegenüber auf der anderen Seite der Nähmaschine und langweilte mich. Aber ich musste am Ende der Säume die Fäden verknoten. Darin war ich sehr geschickt.

      Bei den Hochzeiten durfte ich Blumen streuen in der Martinskirche. Tante Dora konnte wunderbar backen, und die Hochzeitskaffeetafel war trotz des Krieges beeindruckend.

      Man musste eben Schuster oder Schneider sein, Bäcker oder Fleischer in dieser Zeit …

      Auch wir bekamen natürlich Besuch: Tante Elsa und Kusinchen Trautchen freuten sich immer, mal für ein paar Tage dem Bombenhagel in Hannover zu entrinnen. Sie hatten nur noch eine einzige Fensterscheibe in ihrem großen Fenster, die anderen Scheiben waren durch Bretter ersetzt. Bei uns war ständig Fliegeralarm, aber es fielen keine Bomben.

      Onkel Joseph war bei der Kriegsmarine in Wilhelmshaven. Sobald er ein paar Tage Urlaub hatte, traf sich die kleine Familie bei uns. So haben sie auch einmal Weihnachten bei uns verlebt. Mutti hatte für Trautchen eine wunderschöne Puppe erstanden mit Zöpfen und schließenden Augen Als Trautchen diese Heiligabend unter dem Tannenbaum entdeckte, wollte sie immer unter den Baum krabbeln.

      Ich freute mich über jeden Besuch, besonders über den Besuch Onkel Josephs. Er schaffte es immer, mich, der Leseratte, mit einem Buch zu beglücken. Das Buch über das Leben einer südwestafrikanischen deutschen Familie „Die Kinderfarm“ besitze ich heute noch. Es öffnete mir den Blick für eine ganz andere Welt. Heute heißt das Land Namibia.

      Sobald Besuch kam, wurde der Tisch hübsch gedeckt, und Mutti holte von ihren sehr eingeteilten Vorräten aus dem Keller wie eingekochte Leberwurst im Glas, selbst eingelegte saure Gurken, ein Stück geräucherten Schinken. Dazu gab es eine Tasse schwarzen Tee mit Rum für die Erwachsenen. Und für den Rum hat Onkel Joseph gesorgt.

      Ich musste regelmäßig die eingelagerten Äpfel kontrollieren im Vorratskeller. Bekamen Äpfel Flecken, wurden sie aussortiert, und Mutti kochte Kompott.

      Wie gut ist es doch, wenn man sich über noch so kleine Dingen freuen kann. Gibt es das noch?

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