Demokratie macht Spaß!. Winfried Brinkmeier

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Demokratie macht Spaß! - Winfried Brinkmeier


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Bürgerrechtler hatte durch seinen Einsatz für die Opfer von Zwangssterili- sierungen und Landenteignungen den Zorn der chinesischen Behörden auf sich gezogen. Er wurde ins Gefängnis gesteckt. Nach seiner Entlassung im September 2010 stellten ihn die örtlichen Behörden in der östlichen Provinz Shandong in seinem Heimatort unter Hausarrest. Im April 2012 floh der blinde Dissident, dessen Markenzeichen seine dunkle Brille ist, mit Hilfe von Unterstützern aus dem Hausarrest und fand vorübergehend Zuflucht in der US-Botschaft in Peking. Daraufhin warf China den USA vor, sich in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen. Dies ist der schwerste diplomatische Vorwurf, den ein Land einem anderen Land machen kann; es ist international anerkannt, dass jedes Land seine inneren Angelegenheiten nach seinen eigenen Vorstellungen regeln kann. Es folgte deswegen ein tagelanges Tauziehen um die Ausreise Chens in die USA auf höchster diplomatischer Ebene. Der Bürgerrechtler verließ dann die Botschaft, weil die Behörden eine Verfolgung seiner Verwandten angedroht hatten. Die Amerikaner haben ihn schließlich frei bekommen. Nachdem der voraussichtliche Gegenkandidat der Republikaner bei der kommenden Präsidentschaftswahl, Mitt Romney, den amerikanischen Präsidenten Obama kritisiert und ihm vorgeworfen hatte, er nehme es mit den Menschenrechten nicht so genau, musste Obama ihn frei bekommen. Sonst wäre sein Ansehen gerade in dieser wichtigen Frage ramponiert gewesen; im November 2012 sind Präsidentschaftswahlen in den USA, bei denen Obama erneut kandidiert und natürlich gewählt werden will. Daher konnte er den schwer wiegenden Vorwurf seines voraussichtlichen Gegenkandidaten nicht stehen lassen; er musste handeln.

      Die Menschenrechtslage in China ist katastrophal. Die chinesischen Kommunisten regieren nach eigenem Gutdünken. Wer Staat und Regierung kritisiert, wird verfolgt. Ausländische, insbesondere westliche Regierungen, tun nicht viel dagegen, weil ihnen die Geschäfte mit China wichtiger sind. Die chinesische Wirtschaft prosperiert und China hat einen riesigen Markt. Da kann viel verdient werden. Deswegen hält man in der Regel den Mund.

      Die USA begrüßten die Ausreise des blinden Menschenrechtlers aus der Volks- republik China. Die Regierung sei erfreut, dass Chen in den USA ein Studium aufnehmen könne und auf diese Weise eine Lösung des Konflikts gefunden sei, sagte ein Sprecher vom Nationalen Sicherheitsrat. Die chinesischen Behörden sind froh, einen unliebsamen Kritiker weniger zu haben. Und Cheng freut sich natürlich, dass er endlich die Freiheit gefunden hat und in den USA studieren kann. Dies ist für ihn wie sechs Richtige im Lotto. Also sind alle Seiten zufrieden.

      Wie man hört, gehen die chinesischen Behörden jetzt gegen die verbliebenen Angehörigen des Bürgerrechtlers in seinem Dorf verstärkt vor.

      Das Problem für die internationale Politik und vor allem die Politik der Staaten des Westens ist: Wie gehen sie mit solch offenkundigen Verletzungen der Menschenwürde um, wie sie in China stattfinden? Auf der einen Seite sind da die Menschenrechte als ein hohes Gut. Für diese stehen insbesondere die westlichen Staaten und Demokratien in allen Sonntagsreden ein. Auf der anderen Seite sind da die wirtschaftlichen Interessen der Staaten, die mit China Geschäfte betreiben; dazu gehört auch Deutschland. China ist ein riesiger Staat mit riesigen Absatzmärkten. Da können gute Geschäfte gemacht werden. Das wissen natürlich auch die chinesischen Politiker und nutzen dies für sich und ihre Politik aus. Sie versuchen, Druck auszuüben auf ihre Handelspartner. Und zwar dahingehend, dass die Staaten, die an Geschäften mit China interessiert sind, die Verletzung der Menschenrechte nicht offen anprangern. Damit die chinesische Regierung nicht ihr Gesicht verliert. Dies ist gerade für asiatische Menschen von großer Wichtigkeit. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die Politik; dies erzeugt Spannungen. Die Politiker handeln nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten; deutsche Firmen sollen Geld verdienen. Einseitige Kritik an den Menschenrechten kann leicht dazu führen, dass andere Länder den Deutschen Aufträge wegschnappen. Sie halten sich deswegen mit Kritik an China zurück. Wirtschaft und Geldverdienen sind ein recht kühles Geschäft. Den richtigen Weg zu finden und die verschiedenen Pole miteinander zu verbinden versuchen, sind eine schwierige politische Aufgaben und gleichen oftmals einem Eiertanz. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass gerade deutsche Politiker sehr stark nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten und weniger nach Menschenrechtsgesichtspunkten entscheiden. Da sind sich beim Regieren CDU / CSU und FDP oder SPD und Grüne ähnlich.

      Brauchen wir den Euro wirklich? Diskussion bei Günther Jauch (21. Mai 2012)

      Immer wieder wird gefordert, den Euro abzuschaffen und wieder die gute alte Deutsche Mark (DM) einzuführen. Viele Menschen sind der Auffassung, dass damals die Welt noch in Ordnung war und mit der Rückkehr zur DM die derzeitigen finanziellen Probleme in Deutschland und Europa gelöst werden können. In der Talk-Show bei Günther Jauch diskutierten der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und der ehemalige Berliner Finanzsenator und Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin über das Thema: „Brauchen wir den Euro wirklich?“. Peer Steinbrück argumentierte pro Euro, Thilo Sarrazin contra Euro. Sein neuestes Buch „Europa braucht den Euro nicht“ erschien einen Tag später in einer Erstauflage von 350.000 (!) Exemplaren.

      Nüchtern und in der ihm eigenen trockenen Art eines Oberbuchhalters trug Sarrazin seine Thesen gegen den Euro vor. Er wies auf viele Fehler hin, die bei und nach der Einführung des Euro gemacht worden waren. Insbesondere, dass die Einführung des Euro und die europäische Vereinigung nicht miteinander verknüpft worden waren und dass alle Länder von Anfang an gegen die Maastricht-Kriterien verstoßen hatten. Er forderte eine nachhaltige Rückkehr zu den Maastricht-Kriterien.

      Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) haben sich 1992 durch den Vertrag von Maastricht gegenseitig erstmals zu Kriterien für ein wirtschaftlich und geldpolitisch gemeinsames Handeln verpflichtet. Diese werden nach dem damaligen Tagungsort die Maastricht-Kriterien genannt. Laut Wikipedia bestehen diese Kriterien aus fiskalischen (d. h. finanzpolitischen) und monetären (d.h. wirtschaftspolitischen) Vorgabewerten für alle Länder der EU mit dem Ziel, von staatlicher Seite in der EU eine Angleichung der Leistungsfähigkeiten der einzelnen nationalen Wirtschaftsräume zu fördern. Damit soll eine grundsätzliche wirtschaftliche Stabilität und Solidität der EU gewährleistet werden. Bei den Kriterien handelt es sich im Einzelnen um Preisstabilität (die Inflationsrate darf nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über derjenigen der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegen), um die Finanzlage der öffentlichen Hand (der staatliche Schuldenstand darf nicht mehr als 60 % des Bruttoinlandsproduktes und das jährliche Haushaltsdefizit darf nicht mehr als 3 % des Bruttoinlandsproduktes betragen), um Wechselkursstabilität (der Wechselkurs jedes Landes darf nur um, ca. 15 % vom Eurokurs abweichen; bei größeren Abweichungen muss die Zentralbank des Landes intervenieren) und um langfristige Zinssätze (der Zinssatz langfristiger Staatsanleihen darf nicht mehr als 2 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegen).

      Steinbrück gab Sarrazin recht: Von Anfang an wurde gegen die Kriterien von Maastricht verstoßen, auch von Deutschland.

      Aber die Thesen von Sarrazin waren zu trocken und zu sehr aus dem Elfenbeinturm beobachtet. Peer Steinbrück dagegen wies auf die politischen Dimensionen des Euro hin. Deutschland habe eine europapolitische Verantwortung; dieser müsse das Land gerecht werden. Not frisst Demokratie. Dies muss verhindert werden. Der Euro sei verflochten mit Europa. Dahinter stehe eine Zivilisation, die er in vielen Einzelheiten erläuterte, zum Beispiel die Beachtung der Menschenwürde, die Abschaffung der Todesstrafe und vieles Andere mehr. Diese Zivilisation zu unterstützen und voranzutreiben, lohne sich. Er wies auf die Erschütterungsdynamik hin, die zum Beispiel bei der Rückkehr der Griechen zur Drachme entstehen würde. Andere Länder würden folgen; die Auswirkungen seien im Einzelnen nicht absehbar. Damit dürfe man nicht spielen. Der Euro sei eine tragende Säule für Europa. Greife man diese Säule an, bestünde die Gefahr des Zusammenbruchs des ganzen Hauses. Diese Argumentation ist keine Angstmache, sondern könnte bittere Realität werden. Gerade der Hinweis auf die Verflechtung von Euro und Europa überzeugte bei Steinbrück sehr. Steinbrück bettete seinen Ruf nach Bestand des Euro in eine übergeordnete politische Betrachtung ein. Falsch war laut Steinbrück das Krisenmanagement der vergangenen zweiJahre. Dies hätte anders durchgeführt werden müssen. Falsch war auch die einseitige Ausrichtung auf das Sparen. Es müssen parallel zum Sparen Wachstumsimpulse gegeben werden, damit die Wirtschaften der beteiligten Länder wieder anspringen und sich entwickeln können.

      Steinbrück


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